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LAIRE/056: Anmerkungen zu U. Becks "kosmopolitischen Realitäten" (SB)


Klimawandel-Soziologie

- total global, nur leider fatal


Allem Anschein nach haben Menschen, die einen kosmopolitischen Standpunkt für sich reklamieren, die Neigung, abzuheben und den Blick für die Probleme zu ihren Füßen nicht mehr wahrzunehmen. Dieser Eindruck entsteht bei der Lektüre eines Essays aus der Feder des Soziologieprofessors Ulrich Beck in der "Frankfurter Rundschau" (22.1.2008). Darin ließ er sich über "Kosmopolitische Realitäten" vor dem Hintergrund der künftigen Klimapolitik aus - ein hochaktuelles Thema, das viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen beschäftigt.

Der Sozialwissenschaftler fordert "ein politisches oder sozialwissenschaftliches Narrativ der Klimawandel-Politik" und befand auch schon, wie dieses auszusehen habe: Es dürfe nicht nur technokratische Antworten auf globale Probleme enthalten, sondern solle auch eine Vorstellung davon geben, "wie Kräfte zu mobilisieren sind". Und auch hierauf wußte Beck eine Antwort: Bei Klimapolitik dürfe es keine Trennung von nationaler und internationaler Politik geben.

Dieser Anspruch geht weit an den Realitäten vorbei. Beck scheint zu ignorieren, daß die militärisch hochgerüsteten, führenden Wirtschaftsnationen Klimapolitik bereits als Ausgrenzungspolitik bis hin zur Konsequenz der Vernichtung von Klimaflüchtlingen betreiben. Jedes Jahr ertrinken mehrere tausend Menschen aus Afrika bei dem Versuch, über den Atlantik oder das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Viele von ihnen haben ihre Heimat verlassen, weil die dortigen Lebensverhältnisse für sie unerträglich geworden sein. Dabei spielt der Klimawandel eine nicht zu vernachlässigende Rolle (in Westafrika ist die Niederschlagsmenge in den letzten zwanzig Jahren deutlich zurückgegangen, und in der sudanesischen Provinz Darfur sind klimatische Veränderungen einer von mehreren Gründen für den Bürgerkrieg).

Wenn nun, wie Beck fordert, der Klimawandel als ein internationales Problem aufgefaßt würde, so dürfte die europäische Grenzschutzbehörde Frontex nicht damit befaßt sein, afrikanische Bootsflüchtlinge möglichst frühzeitig vor der Annäherung an europäische Gestade abzudrängen, sondern sie gegebenenfalls sicher übers Meer zu geleiten.

Nur aus dem Turmfenster eines Wolkenkuckucksheims dürfte die folgende Erklärung plausibel klingen:

"Zum ersten Mal in der Geschichte leben alle Völker, alle Kulturen, alle ethnischen Gruppen, alle Religionsgruppen in allen Regionen der Welt im Angesicht einer uns alle gleichermaßen bedrohenden Zukunft."

Was wohl die vom Anstieg des Meeresspiegels akut bedrohten Einwohner Bangladeshs, der Malediven oder Tuvalus dazu sagen würden, wenn man ihnen erklärte, daß alle Menschen "gleichermaßen" durch den Klimawandel bedroht sind? Wenn sie schlagfertig sind, werden sie vermutlich demjenigen vorschlagen, die Plätze zu tauschen, wo ja jetzt alle eine Familie sind ... Beck setzt fort:

"Anders ausgedrückt: Wenn wir überleben wollen, müssen wir diejenigen mit einbeziehen, die zuvor ausgeschlossen waren. Die Klimawandel-Politik ist notgedrungen global und schließt alle mit ein - sie ist kosmopolitische Realpolitik."

Wer ist "wir"? Wenn damit alle Menschen der Erde gemeint sind, einschließlich der Dutzende Millionen, die jährlich verhungern, dann müßten in der Tat alle einbezogen werden, sonst wird es die Menschheit, wie sie heute besteht, nicht mehr geben. Wenn aber, und davon ist auszugehen [1], mit dem Wir diejenigen gemeint sind, die sich selbst als Entscheidungsträger empfinden oder die beschreiben, wie ihrer Meinung nach die Welt beschaffen ist, dann kann damit nur eine sehr kleine Teilmenge der Menschheit gemeint sein.

Die Zivilisationsgeschichte der Menschheit ist geprägt vom Überleben des Menschen zulasten seiner Art. Kein anderes Tier hat diese Neigung so weit entwickelt wie die Spezies Mensch. Wenn es jemals Versuche gegeben hat, etwas anderes zu machen und beispielsweise die Position des Schwächeren und in Not Geratenen einzunehmen, so wurden diese Bemühungen von allen anderen zunichte gemacht. Jedenfalls sind keine Lebensformen, die solch eine Position verwirklicht hätten, überliefert. Diesen Umstand auszublenden könnte man kosmopolitische Realpolitik nennen: Die bloße Propagierung der Gemeinsamkeit war von jeher die Voraussetzung der Unterscheidung - zum Zwecke der Ausgrenzung. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch nicht durch die Neuauflage des ewig gleichen Versprechens auf einen Paradigmenwechsel.

Beck möchte die Zivilgesellschaft mit dem Staat verbinden, eine "kosmopolitische Form der Staatlichkeit" schaffen und transnationale Netzwerke bilden, denen neben Staaten auch Nichtregierungsorganisationen, supranationale Institutionen und transnationale Konzerne angehören. Der Autor räumt ein, daß sein Konstrukt "optimistisch" ist, denn:

"es ist anfällig, weil die Kosten und Nutzen einer aktiven Klimapolitik ungleichmäßig verteilt sind, international wie national, und weil in einer ungleichen Welt den Verteilungskämpfen die brennende Frage der Gerechtigkeit zugrunde liegt. Die Kosten tragen die heute lebenden Generationen, und die Enkel unserer Enkel haben den Nutzen."

Einer als ungleich konstatierten Welt den Anspruch des Gleichen entgegenstellen zu wollen, kann wahrlich als Paradigmenwechsel bezeichnet werden, es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille. Das vordringlichste Problem besteht nicht in der Frage nach der Generationengerechtigkeit, sondern nach Gerechtigkeit. Wenn wirklich alle Menschen uneingeschränkt zusammenhielten, müßte es so etwas wie eine vollständige Umverteilung des Eigentums geben. Dann bräuchte man den Begriff des Eigentums nicht mehr - und auch nicht den der Gerechtigkeit, dessen Funktion in der Legitimation der Eigentumsunterschiede besteht.

Wer eine neue Klimapolitik fordert, ohne die alte bis zu ihren Grundwerten analysiert zu haben, läuft Gefahr, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.


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Anmerkungen:

[1] Der Text ist eine Rede, die Ulrich Beck, Professor für Soziologie an der Universität München und an der London School of Economics and Political Science, auf einer internationalen Konferenz im Schloß von Celle-Saint-Cloud bei Paris gehalten hat. Auf dem Programm standen Fragen der europäischen Außenpolitik und die im Juni anstehende EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs. (Frankfurter Rundschau, 22.1.2008)

24. Januar 2008