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LAIRE/091: Desertec - kein Projekt, um Energie-Autarkie zu erlangen (SB)


"Wüstenstrom" sorgt für fortgesetzte Energieabhängigkeit

Großindustrie und Greenpeace ziehen an einem Strang


Die Wüste ist leer, die Wüste ist groß, ihre Bewohner sind rückständig und sie wollen in den Genuß unseres Lebensstandards kommen - warum also nicht solarthermische Kraftwerke in Nordafrika und im Nahen Osten bauen und dort die hohe Sonneneinstrahlung ausnutzen, um so viel Strom zu produzieren, daß ein Teil davon nach Europa fließen kann? Das sagen sich die Initiatoren eines Konzepts namens Desertec, für das derzeit der Club of Rome, die Umweltorganisation Greenpeace, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und rund ein Dutzend Unternehmen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten die Werbetrommel rühren.

Kratzt man ein wenig am Etikett, zeigt sich: Die Wüste ist nicht unbesiedelt, sie ist nicht ungenutzt, und im übrigen sollen die Desertec-Kraftwerke gar nicht inmitten der Wüste, sondern an küstennahen Standorten, möglichst in Wassernähe, errichtet werden. Der elektrische Strom aus solarthermischen Kraftwerken würde zwar dezentral produziert - was vor allem auf den geringen Wirkungsgrad solcher Anlagen zurückgeht, der die Betreiber dazu zwingt, in die Fläche zu gehen und die Standorte zu verteilen -, aber er soll über einige wenige Hochspannungs-Gleichstromübertragungsleitungen (HGÜ) nach Europa transportiert werden. In der Gesamtbetrachtung handelt es sich bei Desertec eindeutig um ein zentralistisches Energiegewinnungskonzept und nicht um eines, das darauf angelegt wäre, den einzelnen Haushalten, Regionen oder Staaten vollständige Energieautarkie zu sichern.

An dem Projekt, das am Montag zur Gründung der Desertec Industrial Initiative Planungsgesellschaft (DII) geführt hat, sind unter anderem milliardenschwere Konzerne und Banken beteiligt. Es gehören dazu: ABB (Schweiz), Abengoa Solar (Spanien), Cevital (Algerien), Deutsche Bank AG, E.ON AG, HSH Nordbank, MAN Solar Millennium, Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG, M+W Zander, RWE AG, Schott Solar AG und Siemens AG.

Besteht das betriebswirtschaftliche Ziel dieser Unternehmen und Banken darin, sich selbst über kurz oder lang das Wasser abzugraben und ihre Tore zu schließen? Gewiß nicht. Daraus kann umgekehrt jedoch abgeleitet werden, daß sie keiner Energiegewinnungsform das Wort reden würden, aus dem sich nicht für sie potentiell ein Mehrwert herausschlagen ließe. Der Bedarf (in diesem Fall von Energie) darf nie vollständig gestillt werden.

Mangel ist die Voraussetzung des Wirtschaftens, und folgerichtig zielt Wirtschaften darauf ab, Mangel zu erzeugen. Hier treten die Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens offen zutage. Das verdeutlicht ein Gedankenspiel: Angenommen, es gelänge, ein Perpetuum mobile zu konstruieren, das nicht nur seine Bewegung ohne Energiezufuhr aufrechterhielte, sondern auch noch Energie lieferte. Darüber hinaus wäre diese Energie für jedermann ohne Voraussetzungen jederzeit und an jedem Ort vollkommen frei verfügbar. Was würden die Energiekonzerne, was würde der Staat machen?

Beide würden versuchen, die Verfügbarkeit der Energie wieder einzuschränken - die Unternehmen, weil sie profitorientiert arbeiten und ihren Betrieb schließen könnten, wenn es keinen Bedarf für ihre Tätigkeit, wenn es also keinen Mangel gibt; der Staat, weil es für ihn existenzgefährdend ist, sollten die Menschen keinen Bedarf mehr an Staat haben. Denn wo kein Mangel herrscht, wird logischerweise auch keine Verwaltung und Regulation des Mangels benötigt. Das bedeutet jedoch, daß Staat und Wirtschaft an der Aufrechterhaltung einer Mangelsituation und damit der Not interessiert sind. Diese grundsätzlichen Erwägungen beschränken sich selbstredend nicht auf die Energiewirtschaft allein, sondern beziehen sich auf sämtliche Wirtschaftsbereiche.

Warum große deutsche Konzerne und die Bundesregierung auf den Desertec-Zug, der nicht irgendwann zur Energieautarkie führt, sondern in die fortgesetzte Energieversorgungsabhängigkeit, leuchtet somit ein. Ebenfalls nachvollziehbar ist die Frage, warum der Club of Rome das Desertec-Projekt angestoßen hat, schließlich sind dessen Mitglieder handverlesen und stammen aus den einflußreichsten gesellschaftlichen Kreisen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Typischerweise erheben die im Namen dieser elitären Organisation verbreiteten Studien häufig einen globalen Geltungsanspruch. In ihnen wird gern von "die Menschheit" gesprochen, als wenn die Anlagenprobleme der wenigen Milliardäre mit der existentiellen Not der Mehrheit der Menschen gleichgesetzt werden könnte.

Warum sich aber eine sogenannte Nichtregierungsorganisation wie Greenpeace bei der Großindustrie, der Deutschen Bank und dem Versicherungsriesen Münchener Rück anheischig macht und das Desertec-Konzept unterstützt, diese Frage müssen ihre Mitglieder selbst beantworten. Zwar fordert Greenpeace von Desertec die Einhaltung verschiedener Umwelt- und Sozialstandards, aber letztlich handelt es sich bei den solarthermischen Kraftwerken um ein Wirtschaftsprojekt, das ähnliche infrastrukturelle Bedingungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft wie die Erzeugung von Kernenergie.

Photovoltaik wird von dem SPD-Abgeordneten Hermann Scheer und anderen Protagonisten der "Solargesellschaft" gern als Gegenentwurf zur Solarthermie des Desertec-Konzepts präsentiert. Dem ist nur bedingt zuzustimmen. Denn auch bei der Photovoltaik handelt es sich im weiteren Sinn um eine zentralistische Energiegewinnungsform. Der Umstand, daß jeder einzelne Hausbesitzer Solarzellen auf seinem Dach installieren kann, bedeutet nicht zwangsläufig, daß er dadurch energieautark wird. Die Produktion von Solarzellen erfordert spezielles Know-how und stellt höchste Fertigungsanforderungen. Der administrative Verfügungsanspruch wird somit über die Bereitstellung der Technologie gewahrt. Deshalb steht die Photovoltaik dem Herrschaftsanliegen des Staates und dem Profitinteresse des Unternehmens nicht unbedingt entgegen.

Für solarthermische Kraftwerke gilt das um so mehr. Man kann sagen, Desertec ist ein Zukunftskonzept, dessen Fortschritt darin besteht, daß die Energieabhängigkeit der Menschen gesichert bleibt. Das gilt selbstverständlich im besonderen Maße für die Verbrennung von Kohle, Erdgas, Erdöl oder Uranbrennstäben, deren Folge sich zudem für die menschliche Gesellschaft als besonders verheerend erwiesen hat - Stichworte sind Klimawandel und radioaktive Kontamination.

Die Erzeugung sogenannter regenerativer Energien, die einst von der Ökobewegung als Alternative zu konventionellen Energieträgern gepriesen wurde und, was heute in Vergessenheit geraten ist, auch auf Unabhängigkeit von den großen Versorgern zielte (das war die Zeit, als engagierte "Latzhosenträger" erste Solarpaneele auf Berliner Hausdächer schraubten), wurde längst von Kapitalinteressen absorbiert und in die herkömmlichen Produktionsverhältnisse integriert. Das Desertec-Projekt geht erst gar nicht solche Umwege, sondern nimmt von Anfang an die Großindustrie in Anspruch. Die strebt Energieautarkie an, aber nur im Rahmen der von ihr vorgegebenen Verwertungsbedingungen.

14. Juli 2009