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LAIRE/102: Klimawandel - Streit unter Wahrheitsapologeten (SB)


Einige Anmerkungen zu "verdächtigen" E-mails, grünem Kapitalismus und Störenfrieden auf der Klimakonferenz in Kopenhagen


Selbstverständlich ist es reiner Zufall, daß wenige Tage vor Beginn der UN-Klimaschutzverhandlungen in Kopenhagen abgefangene E-mails von Klimaforschern der Universität von East Anglia bekannt gemacht wurden. Angeblich bestätigen sie, daß die Sender und Empfänger der Nachrichten die Öffentlichkeit nach Strich und Faden manipulieren ...

Nun wird aber nicht über die Verletzung der Privatsphäre diskutiert, die ein solcher Vorgang auch bedeutet, sondern darüber, ob die Forscher den Klimawandel nur erfunden oder ihn zumindest weit überzogen dargestellt haben, vielleicht um sich wichtig zu machen, oder gar, um die Bevölkerung zu Maßnahmen zu zwingen, die ihre Lebensverhältnisse massiv einschränken.

Kann das sein? Ist es möglich, daß der Weltöffentlichkeit etwas vorgegaukelt wird? Täuschen die Wissenschaftler, die sich dazu nicht einmal verschworen haben müßten - denn das ist angesichts des breiten Konsenses über Ländergrenzen hinweg kaum vorstellbar -, aber womöglich vom gleichen berufsständischen Interesse bewegt werden und deshalb Alarmismus betreiben?

Wenn das zutrifft, dann besäßen die Einwohner Australiens, Ostafrikas, Indiens und der polaren Breiten, um nur einige zu nennen, ebenfalls ein Interesse an dieser Täuschung. Denn sie behaupten, daß sich ihre Umwelt in den letzten zehn Jahren stark verändert hat. Der Permafrostboden in den Hohen Breiten taut auf, das Eis zieht sich aus immer mehr Regionen zurück, die Eisdecke auf den Seen dünnt aus, so daß die Versorgung mancher Regionen per Lkw nicht mehr möglich ist. Australien erlebt seit Beginn dieses Jahrzehnts eine anhaltende Phase geringen Niederschlags. Die Rede geht von der "Jahrhundertdürre". Im australischen Outback mußte eine Reihe von Farmern das Land, das sie per künstlicher Bewässerung der Wüste entrissen hatten, dieser wieder zurückgeben. Auch in Ostafrika regnet es in den letzten Jahren weniger als zu früheren Zeiten, was Millionen Einwohner am Hungertuch nagen läßt, und der indische Monsun erweist sich inzwischen als recht unzuverlässiger Kantonist.

Sind die Inuit, Aussies, Einwohner Ostafrikas und Inder an der Täuschung der Öffentlichkeit beteiligt? Selbstverständlich nicht. Auch ohne wissenschaftlichen Hintergrund und ohne auf irgendwelche Meßdaten zurückzugreifen, kann konstatiert werden, daß es in verschiedenen Regionen der Erde zu bedeutenden klimatischen Veränderungen kommt, die zu menschlichen Verlusten geführt haben: In Ostafrika verhungern und verdursten Menschen oder bekriegen sich, um Zugriff auf die knappen Ressourcen zu erlangen. Unter australischen Farmern ist die Selbstmordrate mit Beginn der Trockenzeit gestiegen. Außerdem hat die dürrebedingte Mißernte in Australien zur globalen Preisexplosion für Getreide und Lebensmittel in den Jahren 2007/2008 beigetragen. Dadurch fielen weltweit 100 Millionen Menschen zusätzlich in Armut.

Kurzum: Der Klimawandel findet statt. Bleibt die Frage, ob er menschenverursacht ist oder nicht. Haben die unzähligen Verbrennungsvorgänge, die mit Beginn des Industriezeitalters vor gut 150 Jahren weltweit in einem Ausmaß zugenommen haben, als wären seitdem vielerorts Vulkane ausgebrochen, eine so gewaltige Menge an Gasen der Erdatmosphäre hinzugefügt, daß sich ihre Zusammensetzung entscheidend verändert hat?

Laienhaft formuliert: Es wäre erstaunlich, wenn nicht. Wissenschaftlich gesehen: Offensichtlich ja, die Kurven der Kohlendioxidkonzentration in der Erdatmosphäre und der globalen Durchschnittstemperatur weisen eine deutliche Parallelität auf.

Nun existieren da aber noch jene E-mails, in denen von "Tricks" bei Meßmethoden, das Weglassen von Daten oder auch das Löschen von Schriftverkehr die Rede ist. Was genau es damit auf sich hat, werden Untersuchungskommissionen herauszufinden haben. Über eines sollte sich auch der Laie immer im klaren sein: Streng genommen täuschen wissenschaftliche Daten immer. Kein Kurvendiagramm, mit dem nicht etwas ausgesagt wird, was gar nicht gemessen wurde.

Eine Kurve ist die Veranschaulichung einer ansonsten unüberschaubaren Tabelle von Einzelmeßwerten. Es kann sogar sein, daß kein einziger Wert einer Kurve real gemessen wurde, sondern daß sämtliche Werte woanders gelegen haben. Eine Kurve ist somit etwas, was ein Wissenschaftler als die von ihm gewünschte Interpretation von Meßwerten präsentiert. Wenn nun ein Forscher "Tricks" anwendet, dann kann es sein (muß sich aber nicht auf den aktuellen Fall beziehen), daß er Meßwerte (womöglich Ausreißer) mittels eines mathematisch-statistischen Verfahrens unterdrückt hat. Die dabei verwendeten "Tricks" sind Legion. Der Übergang zwischen zulässiger Präsentation von Forschung und Forschungsfälschung stellt sich als fließend dar. Wenn Wissenschaftler nicht interpretieren würden, dürfte es idealerweise tatsächlich keine zwei Ansichten über Meßwerte geben.

Ein Laie könnte sich fragen, wem er nun glauben soll, dem sogenannten Klimaskeptiker, der den menschlichen Einfluß auf das Erdklima für gering erachtet und sowieso keine nennenswerte Veränderung des Klimas sieht, oder dem Warner, der an die Vertreter der UN-Klimakonferenz appelliert, sie sollten dringend Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs vereinbaren.

Eine Möglichkeit für den Laien, mit diesem Problem umzugehen, ohne sich auf die schwer einzuordnenden wissenschaftlichen Standpunkte zu verlassen, könnte darin bestehen, die Inuit zu fragen. Oder die Australier, Inder und Ostafrikaner. Sie können berichten, wie sehr sich ihre Umwelt bereits verändert hat und welche existentiellen Nöte sich teilweise darauf ergeben. Wer sich dagegen auf die Wissenschaft verläßt, sollte konsequenterweise akzeptieren, daß unter den Forschern ein sehr breiter Konsens darüber besteht, daß ein Klimawandel stattfindet und daß der Mensch entscheidenden Einfluß darauf genommen hat. Das ist die gegenwärtige Wahrheit in der Forschung.

Die Klimaskeptiker leisten demgegenüber keine Fundamentalkritik am (durchaus hinterfragbaren) Wahrheitsanspruch der Wissenschaft, sondern setzen dem Konsens eine andere Wahrheit gegenüber. Über die Konsequenz dieser Wahrheit wurde bislang wenig diskutiert. Sie lautet nämlich in der Regel: weiter so wie bisher. Kein Geld für unsinnige CO2-Einsparungen ausgeben. Keine Abkehr vom verbrauchsgetriebenen, profitorientierten Wirtschaften. Es ist alles in Ordnung. Die andere Wahrheit, die der Warner, unterscheidet sich davon gar nicht so sehr: Weiter so wie bisher, denn der Kapitalismus an sich ist alternativlos, er braucht nur einen grünen Anstrich. Die Menschen würden sich keinen Fingerbreit bewegen, wenn nicht Aussicht auf Profit bestünde. (Anders gesagt: wenn sie nicht andere ausbeuten können.)

Welche der Wahrheiten sich am Ende der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen auch immer durchsetzt, sie würde völlig vernachlässigen, daß bereits heute mehr als eine Milliarde Menschen hungern und die doppelte Zahl verarmt ist. "Weiter so wie bisher" und "grüner Kapitalismus" bilden zwei Varianten innerhalb eines Diskurses, dessen Teilnehmer darüber locker hinwegsehen. Wundert es da noch, daß Menschen eigens nach Kopenhagen gereist sind, weil sie die Konferenz für eine einzige Scharade halten, zu der sie sich nur noch in einem störenden Verhältnis bewegen können?

6. Dezember 2009