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LAIRE/116: "Die Rechte der Mutter Erde" - mehr als Esoterik? (SB)


Klimagipfel in Bolivien

Es bedarf keiner Brücke zwischen Indigenen und der westlichen Klimaschutzbewegung


Es mag in den Ohren eines wissenschaftlich erzogenen Westlers befremdlich klingen, wenn in einer Ankündigung für eine internationale Klimaschutzkonferenz Begriffe und Formulierungen wie "Mutter Erde" oder "die Tiere, Felsen, Sterne und selbst die Tautropfen sind unsere Brüder und Schwestern" verwendet werden. [1] Aber wenn man davon ausgeht, daß Termini wie "Rückkopplungseffekt", "CO2-Absorptionsrate" oder "Nordatlantische Oszillation" in den Ohren indigener Menschen ebenso seltsam klingen müssen, hat man bereits eine hervorragende interkulturelle Gesprächsgrundlage: Man spricht nicht die gleiche Sprache - aber davon läßt man sich doch nicht abhalten zu sprechen!

Auf Einladung der bolivianischen Regierung werden von Dienstag bis Donnerstag voraussichtlich mehr als 15.000 Menschen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik auf der "Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde" in Cochabamba über Fragen des Klimawandels debattieren.

An der Agenda der Konferenz fällt zunächst auf, daß bei den von den Organisatoren vorgeschlagenen 17 thematischen Arbeitsschwerpunkten das Kyoto-Protokoll mit seiner Verpflichtung zu Emissionsreduktionen zwar eine zentrale Stellung einnimmt, da die Frage international verbindlicher Klimaschutzvereinbarungen in viele weitere Themen hineinspielt, aber daß insgesamt deutlich andere Schwerpunkte gesetzt werden als bei den Verhandlungen der UNFCCC. Bei diesen würde man wohl kaum Themenschwerpunkte wie "Harmonie mit der Natur, um gut zu leben", "Rechte der Mutter Erde", "Klimagerechtigkeits-Tribunal" und "Indigene Völker" finden.

"Rechte der Mutter Erde" - was soll denn das sein, lautet eine naheliegende Frage, die im Internet gern mit einem kritischen, manchmal gar belustigenden Unterton gestellt wird, ganz so, als ob der- oder diejenige mit dem Fachchinesisch der Atmosphärenphysik mehr anfangen könnte! Offensichtlich waren den Organisatoren der Veranstaltung die "Rechte der Mutter Erde", die im übrigen sogar Bestandteil der Verfassung Ecuadors sind, so wichtig, daß sie diesen Punkt bereits in den Titel der Konferenz aufgenommen haben. Vielleicht meinen die indigenen Gemeinschaften damit etwas, für das es im hiesigen Sprachraum keine treffende Entsprechung, sondern allenfalls eine esoterisch verbrämte Auslegung gibt. Das gälte es zu überprüfen.

Jede Konferenz, zu der viele tausend Menschen zusammenströmen, läuft Gefahr, nichts anderes als ein Politzirkus zu sein, dessen Teilnehmer sich, ihre Karrieren fest im Blick, im wesentlichen bauchpinseln, welch ach so bedeutende Reden sie doch schwingen können. In der Praxis hapert's dann meist. Ein solcher Charakter droht der Cochabamba-Konferenz ebenfalls, falls sie sich zu sehr darauf einläßt, ein vergleichbares Ergebnis zu denen der UN-Klimakonferenzen erzielen zu wollen (nun ja, wobei das Niveau von Kopenhagen nicht zu unterbieten sein dürfte).

Dazu muß es nicht kommen. Das Treffen in Südamerika könnte einer Klimaschutzbewegung von unten einen ähnlichen Schub verleihen wie das Weltsozialforum von Porto Alegre dem Selbstbewußtsein noch nicht etablierter zivilgesellschaftlicher Organisationen einerseits und den ärmeren Ländern andererseits. Diese Foren hatten zumindest anfangs durch die klare Absage an das vorherrschende Verfügungsinteresse der wirtschaftsstarken Staaten neben anderen Faktoren Einfluß darauf, daß die Doha-Runde der Welthandelsorganisation gescheitert ist. Dort wollten (und wollen noch heute) die führenden Wirtschaftsstaaten eine Politik gegen die ärmeren Länder in Stellung bringen, wie sie in den 1990er Jahren durch das berüchtigte, aber gescheiterte Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) etabliert worden wäre.

Ein internationales Klimaschutztreffen, das sich wie das aktuelle in Cochabamba verstärkt mit sozialen und gesellschaftlichen Fragen befaßt, die Kultur des Wachstums in Frage stellt und sich nicht der Ideologie der obskuren "Marktkräfte" unterwirft, die doch nur zu Bereicherung weniger, Verelendung vieler und Vernutzung bis dahin noch nicht durch den Eigentumsbegriff gefesselter "Natur" führen, birgt durchaus die Chance zur Entfaltung einer wirkungsvollen Gegenbewegung zu den etablierten Klimagipfeln.

Wenn indigene Völker von den "Rechten der Mutter Erde" sprechen, ist dann möglicherweise etwas anderes als eine esoterische Weichspülung gemeint; darüber gälte es zu sprechen. Wichtig wäre jedoch, sich darüber klar zu werden, daß es keiner Brücke von dem indigenen in den westlichen Kulturraum bedarf, stünde eine solche Konstruktion doch nicht für das Verbindende, sondern im Gegenteil für den manifestierten, dauerhaften Abstand. Dem widerspricht ganz und gar nicht, daß indigene Völker Seite an Seite mit westlich-metropolitanen Sozialkampfbewegungen stehen und all die von oben dirigierten, den Kapitalismus auf die nächst höhere Ebene der Verwertung hievenden Klimagipfel gründlich zum Scheitern bringen - wer da noch eine Brücke bauen will, versucht, die Bewegung auseinanderzutreiben.


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Anmerkungen:

[1] http://pwccc.wordpress.com/guia-informativa/

18. April 2010