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LAIRE/119: Elektronikschrott - Symbol des technologischen Fortschritts (SB)


Elektronikschrott zuhauf und nun auch noch eLearning für Afrika

Womit die technologisch fortschrittlichen Länder die
Entwicklungsländer "beglücken" wollen


Die Motivation für die permanente technologische Weiterentwicklung sollte eigentlich darauf gründen, den Menschen Erleichterung in der Bewältigung alltäglicher Probleme, einschließlich der unmittelbaren Überlebenssicherung, zu verschaffen. Nach einer in Jahrzehntausenden zählenden Zivilisationsgeschichte, die in eine über 200 Jahre währende "industrielle Revolution" mündete, wird der Irrtum dieser Vorstellung offenbar. Abgesehen davon, daß es "die" Menschheit nicht gibt, da nur ein Teil der Menschen überhaupt Zugang zu moderner Technologie hat, führte der vermeintliche Fortschritt mitunter in einer drastischen Einschränkung der Lebensbewältigungs- und Entfaltungsmöglichkeiten von Menschen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die aktuelle Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Andere Katastrophen ereignen sich unterhalb der Schwelle der Wahrnehmung, indem sie nicht als Einzelereignis auftreten, sondern als schleichende Entwicklung. An einem dieser Vorgänge sind gewissermaßen auch der Verfasser und die Leserschaft dieser Zeilen beteiligt: Die Rede ist von der Produktion giftigen Elektronikschrotts.

Computer, diese noch relativ junge "Errungenschaft" technologischen Fortschritts, erobern die ganze Welt. Auch die Länder Afrikas, in denen die Bevölkerung teils noch mit Ochsen und Einzahnpflügen den hitzegehärteten Boden aufreißen, um anschließend in den Rillen einige Samen zum Keimen zu bringen, sollen ans digitale Netz. Besser noch, sie sollen gar nicht erst mit PCs und Festnetzen, sondern mit Mobiltelefonen ausgestattet werden. Selbst im tiefsten Dschungel des Kongo und hinter der entlegensten Düne in der Sahara kann man heute Klingeltöne hören. Rund jeder dritte Einwohner Afrikas besitzt ein Mobiltelefon. Überwindung der digitalen Kluft, lautet die Zauberformel, die auch auf der Konferenz eLearning Africa vom 26. bis 28. Mai 2010 in der sambischen Hauptstadt Lusaka abgehalten wird. [1] Unterdessen häufen sich die Berge mit westlichem Elektronikschrott auf ungeschützten Müllkippen, die wie in Ghanas Hauptstadt Accra Kindern und Erwachsenen gleichermaßen durch Recycling zu einem bescheidenen Einkommen verhelfen - ein hoher Preis für schwerste gesundheitliche Einbußen.

Die ärmeren Länder werden innerhalb der nächsten sechs bis acht Jahre mindestens doppelt so viel Elektronikmüll produzieren wie die wohlhabenden Länder, meldete die Internetseite ScienceDaily am 29. April 2010. [2] Sie beruft sich auf das zweimal im Monat erscheinende Journal "Environmental Science & Technology". Den computergenerierten Prognosen der Forscher zufolge werden die Entwicklungsländer ab 2016 mehr Elektronikschrott produzieren als die entwickelten Länder. Von da an werde sich die Schere immer weiter öffnen. Im Jahr 2030 würden in den Entwicklungsländern zwischen 400 Mio. und 700 Mio. Personalcomputer weggeworfen, in den entwickelten Länder "nur" 200 Mio. bis 300 Mio.

Obgleich es Computer als Massenware erst seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gibt, hat dieser "Fortschritt" bereits zahlreiche technologische Generationen hinter sich. Der Verbrauch nimmt rasant zu. Zehn Jahre alte Computer gelten als museumsreif. Jahr für Jahr bringen die Unternehmen neue Modelle auf den Markt, die schneller sind, größere Datenmengen verarbeiten können und sehr viel mehr Anwendungsmöglichkeiten bieten. Als Folge dessen türmen sich die Schrottberge höher und höher. Technologischer Fortschritt bedeutet, daß die Nutzungszeit eines Computers, Mobiltelefons oder anderen elektronischen Geräts rapide abnimmt.

In den elektronischen Geräten manifestiert sich das Ideal der profitorientierten Produktionsweise. Der Wert der Ware verfällt nach ihrem Erwerb dramatisch, da die Technologie weiterentwickelt wird. Wofür Menschen im Rahmen des Abbaus von Rohstoffen und deren Verarbeitung auf den jeweiligen Produktionsstufen ihre Gesundheit oder gar ihr Leben gelassen haben, landet nach wenigen Jahren auf dem Schrott und besitzt allenfalls noch den Wert des recycelbaren Materials. Im wesentlichen findet jedoch eine Entwertung statt. Zugespitzt gesagt: Es wird von vornherein kein Wert produziert, denn der dürfte ja nicht mehr verloren gehen, das macht der rasche Verfall des Nutzwerts von Computern deutlich. Nicht recycelbar bleibt die Arbeitskraft. Selbstverständlich kann sich ein Mensch von der Arbeit erholen und regenerieren - aber warum altern die Menschen dann, wenn eine vollständige Regeneration stattfände? Offensichtlich bleibt immer etwas von der Substanz oder Kapazität des Menschen auf der Strecke.

Das gilt fraglos auch für die Wiederverwertung von Kupferkabeln und anderen Materialien aus dem Elektronikschrott. Erstens findet kein vollständiges Recycling des elektronischen Geräts statt, zweitens geht hierbei menschliche Arbeitskraft unwiederbringlich verloren, sowohl in den arbeitstechnisch durchorganisierten Industriestaaten wie auch auf den Müllhalden in Accra, Nairobi oder Kairo, wo vor allem Kinder den Elektronikschrott auseinandernehmen, indem sie beispielsweise die Isolierung der Kabel verbrennen und die Kupferreste einsammeln. Mülltrennung auf afrikanisch. Mit Begriffen wie "Kreislaufwirtschaft" wird die Unwiederbringlichkeit der geleisteten Arbeit verschleiert. Der Fortschritt besteht dann darin, daß die Afrikaner ihre eigenen E-Schrottberge verwerten dürfen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.elearning-africa.com/newsportal/english/index.php

[2] http://www.sciencedaily.com/releases/2010/04/100428121451.htm

4. Mai 2010