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LAIRE/121: Deepwater Horizon und die Frage der Verwertung von "Natur" (SB)


Läßt sich ein angerichteter Schaden überhaupt wiedergutmachen?

Aus Anlaß der aufgeworfenen Spekulation nach der Höhe der Entschädigung, die BP für eine Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird zahlen müssen


Verschiedentlich ist in der Presse über die Ölkatastrophe, die sich am 20. April nach einer Explosion auf der Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko ereignete, zu lesen, daß eine genaue Abschätzung der Schadenshöhe, die das ausgeflossene Erdöl anrichten wird, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich sei. Man gehe von mindestens vierzehn Milliarden Dollar aus, die BP werde zahlen müssen. Und schließlich: Der Konzern habe zugesagt, alle berechtigten Forderungen begleichen zu wollen.

Abgesehen davon, daß BP damit durch die Blume erklärt, daß es alles das zahlt, was dann noch übrigbleibt, wenn die Anwälte vor Gericht ihre allerletzten Einspruchsmöglichkeiten ausgereizt haben, wird am Beispiel dieser Ölkatastrophe deutlich, wie nicht nur vom Unternehmen selbst, sondern generell in der Gesellschaft Unwiederbringliches mit einem Geldbetrag bedacht wird. Dadurch wird der Eindruck erzeugt, der Schaden ließe sich prinzipiell aus der Welt schaffen.

Es ist eine Sache, sollten Fischer, Shrimpsfarmer, Restaurantbesitzer und Berufstätige aus anderen Branchen als Folge der Ölkatastrophe Einkommenverluste hinnehmen. Der Schaden kann in Geldwert beziffert werden. Eine andere Sache ist es jedoch, wenn sämtliche Verluste bei Flora und Fauna in Dollar ausgeglichen werden sollen. Dem liegt eine Denkweise zugrunde, nach der alles in Geld abwägbar ist, seien es Pflanzen, Tiere, Boden, Wasser, Luft und Menschen. Das würde somit die Haut-, Leber- oder Nierenschäden einbeziehen, die sich die Rettungskräfte im Kampf gegen die Ölverseuchung zuziehen könnten, da sie die Dämpfe aus dem von der Sonne erhitzten Erdöl und den Dispersionsmitteln zu seiner Auflösung einatmen.

Wie sehr es sich bei geldwerten Zuweisung von Umwelt- oder gar Gesundheitsschäden um einen Irrtum handelt, wird an einem Gedankenspiel deutlich: Angenommen, eine Reinigungskraft, die tagelang Felsen und Mangrovenbäume geschrubbt hat, erkrankte tatsächlich an Leberkrebs. Nun wird ihr vom Staat oder der Wirtschaft zehn Millionen Dollar als Entschädigung angeboten. Wird die Person damit entschädigt im Sinne dieses Wortes? Nie und nimmer. Das wird am zweiten Teil dieses Gedankenspiels deutlich: Angenommen, jemand erhielte noch vor dem Schadenseintritt die Wahl, sich zu entscheiden, ob er zehn Millionen Dollar annimmt, wenn der Preis dafür sei, daß er an Leberkrebs erkrankt. Kein Mensch, der nicht ohnehin zum Tode verurteilt ist oder sich in einer anderen extremen Zwangslage befindet, nähme ein solches Angebot an. Alles Geld der Welt ist nichts wert, wenn jemand dafür an Krebs erkranken müßte.

Wenn ein Mensch die Wahl hätte, entschiede er sich gegen die Krankheit und nicht für den Geldbetrag. Daraus folgt jedoch, daß es zu keiner Entschädigung kommen wird, wenn jemand aufgrund von Umweltkatastrophen schwer erkrankt. Womit niemandem eine Entschädigungssumme abgesprochen werden soll; hier geht es uns um die Grundsatzfrage und daraus abgeleitet um dem leichtfertigen Umgang mit Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen, die von der Gesellschaft als Kollateralschaden der gehobenen Lebensqualität (der nicht-Geschädigten) angesehen wird. Wo die Grenze liegt, ab welcher Krankheitsschwere jemand bereit ist, seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, hängt sicherlich von den Heilungschancen und der ökonomischen Enge ab, in der sich die Person befindet.

Das in voller Absicht sehr drastisch gehaltene Bild von der prinzipiellen Entschädigungslosigkeit von Krebserkrankungen kann in abgeschwächter Form auf viele andere Schäden angewendet werden, die durch Geld ausgeglichen werden sollen. Mit der Wertzuweisung für natürliche Ressourcen, ökologische Schäden oder auch menschliche Arbeitskraft wird ein fundamentaler Verfügungsanspruch über diese Dinge und Personen befestigt. Was auch immer geldwertig ausgedrückt wird, unterliegt dem Eigentumsbegriff. Das ist einer der Gründe, warum der Handel mit den Emissionszertifikaten für Treibhausgase höchst problematisch ist. Mit ihm wird Atemluft verfügbar gemacht und kann Menschen entzogen oder zugeteilt werden. So wie Trinkwasser oder Land, nur mit dem Unterschied, daß hinsichtlich der Zertifikate Handel mit einem angeblich verhinderten Schaden an der Luft getrieben wird.

Das Recht, die Atmosphäre verschmutzen zu dürfen, wurde im Rahmen internationaler Klimaschutzverträge zu etwas, das man besitzen kann und dem ein Geldwert zugewiesen wird. Die Funktion von Besitz besteht darin, andere Menschen von der beliebigen Nutzung abzuhalten. Mit umgekehrten Vorzeichen gilt dies auch für die Luft und die Frage, wer sie verschmutzen, also gewissermaßen einen Mangel erzeugen darf. Die Mehrkosten eines Unternehmens, das CO2 emittiert, werden dann auf die Ware umgelegt und müssen vom Verbraucher bezahlt werden.

Sollte es BP gelingen, das Bohrloch zu schließen, so daß kein Erdöl mehr aus dem 1500 Meter tiefen Meeresboden austritt, wird spätestens dann die Frage der Schadensbehebung und Entschädigung diskutiert. Für die Umweltbewegung könnte das ein Anlaß sein, von neuem Fragen zur Verwertung der Natur zu stellen und zu diskutieren. Beispielsweise: Soll es einer Person oder einem Unternehmen, die systembedingt von Profitmaximierung getrieben sind, gestattet werden, zu Lasten anderer Rohstoffe zu verwerten? Oder: Wären die Verwertungsbedingungen andere, wenn der Offshore-Bereich als Gemeingut gehandhabt würde? Hätte das die Nutzung verhindert? Vermutlich nicht. Aber hätte es den Schaden verhindert? Auch diese Fragen sollten nicht vermieden werden, da sich das Konzept der Commons, Gemeingüter oder Allmende zur Zeit bei vielen Umweltorganisationen und politischen Analysten großer Beliebtheit erfreut.

Die Gesetze der Physik auf den Kopf zu stellen, hat sicherlich ihren Reiz, aber was auch immer BP als Entschädigungssumme an wen auch immer zahlen wird, der einmal angerichtete Schaden kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

10. Mai 2010