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LAIRE/123: Deepwater Horizon und die Frage nach einem Peak-Sauerstoff (SB)


Wenn man am eigenen Ast sägt ...

Erdgeschichtlich betrachtet gleichen sich Verbrauch und Freisetzung von Sauerstoff nicht aus


Nach wie vor strömt Öl aus dem Bohrloch der vor mehr als einem Monat gesunkenen Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko, Tag für Tag mehrere Millionen Liter. Das Öl hat inzwischen die Küste von Louisiana erreicht. Wie weit es sich unterhalb der Meeresoberfläche ausgebreitet hat, weiß niemand, hier dürfte es in den nächsten Wochen noch manche Überraschung geben. Man fühlt sich an einen alten, zynischen Witz erinnert: Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: "Mir geht's schlecht, ich habe mich infiziert. Ich habe Menschen!" Sagt der andere: "Keine Sorge, das geht vorüber."

Offenbar arbeiten die Menschen daran, ihre eigenen Lebensvoraussetzungen massiv zu verschlechtern. Auch wenn die Verseuchung des Golfs von Mexiko vermutlich der größte Unfall in der Geschichte der Förderung und des Transports von Erdöl ist, verharmlost der Begriff "katastrophal", wie er am Wochenende von BP-Geschäftsführer Bob Dudley zur Beschreibung der Lage verwendet wurde, erstens die systemisch bedingten Ölaustritte bei der vermeintlich nicht-katastrophalen Offshore- und Onshore-Förderung. Zweitens, und das ist der noch wichtigere Aspekt, wird durch den Verbrauch des Erdöls insbesondere in Form von Treibstoff die Erderwärmung massiv vorangetrieben. Dabei wird die irdische Atmosphäre als ungeregeltes Endlager für Kohlendioxidemissionen benutzt, was den Effekt hat, daß sich die Erde deutlich aufheizt. Gleichzeitig versauern die Meere, so daß ihre Fähigkeit, der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, abnimmt.

Beide Effekte - Anstieg des CO2-Anteils in der Atmosphäre und Versauerung der Ozeane - gehen mit einer Reduzierung des atmosphärischen Sauerstoffgehalts einher. Noch findet das alles in einem Rahmen statt, der von der Wissenschaft als so vernachlässigbar angesehen wird, daß sie sich vermeintlich schlau erst gar nicht damit befaßt. Zwar sorgen sich Klimaforscher über sogenannte Kippunkte bei natürlichen Prozessen, doch ausgerechnet hinsichtlich einer der wichtigsten Bedingungen fast allen organischen Lebens, der Sauerstoffproduktion, wird sich die Möglichkeit eines solchen hochdynamischen Vorgangs, der global zu völlig neuen Verhältnissen führen kann, nicht einmal vorgestellt.

Der Verbrauch von Sauerstoff überwiegt zur Zeit minimal dessen Freisetzung. Wie bei anderen Rohstoffen handelt es sich auch bei diesem Element um eine endliche Source, wobei für menschliche Belange nicht die absolute Menge von Interesse ist, sondern die verfügbare. Noch vor den tropischen Regenwäldern sind die Ozeane die wichtigste Quelle für die Freisetzung von Sauerstoff. Je saurer die Meere, desto geringer das Algenwachstum und desto weniger Sauerstoff wird von den winzigen Pflanzen abgespalten. Gleiches gilt selbstverständlich für die tropischen Regenwälder. Die riesigen Plantagen, für die zur Zeit in Brasilien, Afrika und Südostasien Regenwald großflächig gerodet wird, um Soja, Zuckerrohr, Palmen und andere Nutzpflanzen zur Herstellung von Viehfutter und Agrosprit anzubauen, vermögen die erdgeschichtlich gesehen viel wichtigeren Nutzpflanzen, die Sauerstoff verfügbar machen, nicht im mindesten zu ersetzen.Im zweiten Rang nach Algen hat der tropische Regenwald bislang dafür gesorgt, daß dem zunehmenden Sauerstoffverbrauch der Menschheit etwas entgegengehalten wird. Wobei sich der technologische Fortschritt als fortschreitender Energie- und damit auch Sauerstoffverbrauch erweist.

Ein Blick zurück in die Erdgeschichte zeigt, wie kurzsichtig es wäre, anzunehmen, daß sich Sauerstofffreisetzung und -verbrauch quasi natürlich die Waage halten. So weit sich das wissenschaftlich aus geologischen Formationen ableiten läßt, gingen die größten Massensterben der Erdgeschichte mit einer Abnahme der atmosphärischen Sauerstoffkonzentration einher. Somit kann der Ölfluß im Golf von Mexiko als ein treffendes Symbol für die allem Anschein nach nicht zu stoppende Feuer-Rad-Entwicklung angesehen werden, der sich die Menschen unterworfen haben, in der Hoffnung, durch die Verinnerlichung der Naturgewalten deren Vorherrschaft streitig machen zu können, mit dem Ergebnis, ihnen um so tiefer ausgeliefert zu sein.

Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: "Mir geht's wieder besser, ich hatte Menschen." Erwidert der andere: "Ich hab's ja gesagt, das geht vorüber ..."

23. Mai 2010