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LAIRE/143: Erdölverseuchung - US-Regierung hebt Moratorium für Tiefseebohrungen auf (SB)


Im Golf von Mexiko darf wieder in der Tiefsee nach Öl und Gas gebohrt werden

Nach dem "verschwundenen" Erdöl nun die behobenen Sicherheitslecks


Die Obama-Administration hat das Moratorium für Tiefseebohrungen nach Gas und Öl im Golf von Mexiko bereits sechs Wochen vor Ablauf der Frist aufgehoben. [1] Damit darf von 33 Bohrplattformen wieder der Rüssel in den Meeresboden gesenkt und nach fossilen Rohstoffen gesucht werden. Nachdem bereits die schätzungsweise 800 Millionen Liter Erdöl, die wochenlang aus dem Bohrloch der im April untergegangenen Plattform Deepwater Horizon ausgetreten waren, auf wundersame Weise aus dem Golf von Mexiko verschwunden sein sollen [2], haben auch die an der Offshore-Förderung beteiligten Unternehmen auf offenbar nicht weniger wundersame Weise alle notwendigen Auflagen erfüllt, damit die Förderung risikolos fortgesetzt werden kann. Das ging erstaunlich schnell. Weitere Sicherheitsmaßnahmen, die zu einem späteren Zeitpunkt hinzukommen, können problemlos implementiert werden, glaubt offenbar der US-amerikanische Innenminister Ken Salazar, wenn er sagt:

"Wir haben in unserem Reformvorhaben noch mehr Arbeit zu tun, aber zu diesem Zeitpunkt gehen wir davon aus, daß die von uns verhängten strengeren Sicherheitsmaßnahmen, in Verbindung mit verbesserten Fähigkeiten, auf Lecks zu reagieren und Blowouts einzudämmen, die Risiken so weit gemindert haben, daß Operateuren, die sich an die Regeln halten und dem höheren Anspruch genügen, fortzufahren erlaubt werden kann." [1]

Die Bestimmungen werden beweglich sein, weitere Regeln setzen auf den bereits eingeleiteten Reformen auf, sagte Salazar, der damit zugibt, daß die US-Regierung die Freigabe noch während des Reformvorgangs erteilt hat. Der Entscheidung zur Aufhebung des Moratoriums wird in erster Linie mit dem Bericht von Michael Bromwich, Direktor des Bureau of Ocean Energy Management, Regulation, and Enforcement (BOEM), begründet. Dieser Sachverständige lieferte anscheinend dem Innenminister die passenden Stichworte, denn er erklärte ebenfalls, daß die Risiken der Tiefseebohrung ihrer Meinung nach ausreichend verringert wurden, um das Bohren unter bestehenden und neuen Bestimmungen zu erlauben.

Der Ölindustrie ist das alles noch nicht genug. Jack Gerard, Präsident des American Petroleum Institute (API), behauptet, daß "ohne zusätzliche Ressourcen und eine ernsthafte Verpflichtung der Regierung, Konzessionen und andere Anforderungen zügig voranzubringen und zu genehmigen", das Moratorium lediglich durch ein De-facto-Moratorium ersetzt würde. Dieses würde weiterhin "die ohnehin schwer getroffene Golfregion lähmen und mehr als 175.000 Amerikanern im Jahr den Job kosten". [1]

Daß die Golfregion nicht durch das Moratorium, sondern durch die unverantwortlich handelnden Betreiber der Ölbohrplattform Deepwater Horizon "schwer getroffen" wurde und daß viele Einwohner der Region ihren Job als Folge der Katastrophe verloren haben, zu der es vermutlich allein aufgrund des Sparens bei den Sicherheitsmaßnahmen der Tiefseebohrung kam - was soll's, wenn nur die Börse der Unternehmen klingelt. Das dürfte auch Ansporn für den Gouverneur von Alaska, Sean Parnell, gewesen sein, der nach Salazars Ankündigung prompt forderte, daß unverzüglich auch das Moratorium gegen das Ölbohren im Flachwasser der arktischen Beaufort-See aufgehoben werden müsse. Im vergangenen Monat hatte der Bundesstaat Alaska Klage beim U.S. District Court gegen das Innenministerium eingereicht, um das Offshore-Bohren auf dem äußeren Kontinentalschelf vor der Küste Alaskas durchsetzen.

Über das Motiv hinter dem eigentlich unnötig eiligen Schritt der US-Regierung, das Moratorium aufzuheben, kann man nur spekulieren. Zum Beispiel könnte man vermuten, daß Obama vor den Kongreßwahlen im November seinen Gegnern keine weitere Munition liefern will. Aber das kann ja nicht sein, denn das hieße, die eigene politische Karriere als höher zu bewerten als die Bewahrung der karibischen Ökosysteme ...

Die Verantwortung für die Katastrophe liegt sicherlich bei den Betreibern der Ölplattform Deepwater Horizon. Aber es ist die Regierung, welche die ökonomischen Anreize zum Bohren nach Erdöl in der Tiefsee geschaffen hat, und es waren Behördenvertreter, die bei der Überprüfung der Sicherheitsauflagen nicht so genau hingeschaut haben. Wenn katastrophenverursachende Kosteneinsparungen die Produktionsweisen bestimmen, dann sollte man die Frage nicht scheuen, ob nicht Umweltkatastrophen dieses gewaltigen Ausmaßes durch eine Veränderung der Produktionsweisen verhindert werden können.


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Anmerkungen:

[1] "Obama Administration Lifts Deepwater Drilling Moratorium", Environment News Service (ENS), 12. Oktober 2010
http://www.ens-newswire.com/ens/oct2010/2010-10-12-02.html

[2] Das Erdöl ist selbstverständlich nicht verschwunden. Teils treibt es in dicken Schwaden durchs Meer, teils wurde es mit Unmengen von Chemikalien in kleine Partikel zerkleinert und unkenntlich gemacht. Näheres dazu im Schattenblick unter:
INFOPOOL -> NATURWISSENSCHAFTEN -> CHEMIE
UMWELTLABOR/267: Ölpest im Golf (1) Unbeantwortete Fragen (SB)
UMWELTLABOR/268: Ölpest im Golf (2) Wo ist es denn, das Öl - diskrepante Wissenschaftsanalysen (SB)
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13. Oktober 2010