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LAIRE/148: Neokolonialismus - Desertec-Projekt in besetzten Gebieten (SB)


Geschäfte gehen vor

Bundesaußenminister Westerwelle übergibt Westsahara-Besatzungsmacht Marokko drei Millionen Euro zwecks Förderung der Desertec-Initiative


Damit die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland weiterhin in den Händen eines Oligopols bleibt, hat dieses auch scheinbar abwegige Sektoren der Energieproduktion im Auge behalten. Wie vorausschauend das war, beweist die ehemals "alternative" Windenergie, die nun vor allem im Offshore-Bereich weiter ausgebaut wird und auf millionenschwere Zuwendungen seitens der Regierung hoffen darf. Die enorm hohen Investitionskosten für Offshore-Windparks können sich nur die Großen der Branche leisten. Gleiches gilt für die Nutzung der Sonnenenergie. Obgleich diese geradezu prädestiniert für eine dezentrale Produktion wäre, sorgt die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht für den erforderlichen Umbau des Stromnetzes, damit der Strom der weniger leistungsstarken Onshore-Windräder und dezentralen Photovoltaikanlagen sinnfällig genutzt werden kann und keine Zwangsabschaltungen vorgenommen werden. Statt dessen werden jedoch solarthermische Kraftwerke gefördert; auch für deren Installation sind hohe Investitionen erforderlich. Es paßt wie die Faust aufs Auge, daß Bundesaußenminister Guido Westerwelle diese Woche bei einem Besuch Marokkos drei Millionen Euro zur Unterstützung eines entsprechenden Pilotprojekts zugesagt hat.

Das Königreich, das seit einem Vierteljahrhundert große Teile der Westsahara besetzt hält und ein umfangreiches Einwanderungs- und Ansiedlungsprogramm betreibt, so daß dort inzwischen mehr Marokkaner als Sahrauis leben, hat diese Woche ein Zeltlager mit rund 20.000 Sahrauis zerstört und schottet seitdem die Stadt El-Aaiún gegenüber ausländischen Besuchern wie die Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdelen ab. Auch der Presse wird der Zugang verweigert. Nun hegt Marokko den Plan, in den besetzten Gebieten zwei solarthermische Kraftwerke zu errichten. Das bedeutet, daß Deutschland durch seine finanzielle Hilfe an dem Versuch der Legitimierung der Westsahara als marokkanische Provinz beteiligt ist.

Marokko betreibt in der Westsahara Kolonialismus, wie er im Buche steht. Das ist auch der Grund dafür, warum Marokko der einzige Staat des Kontinents ist, der nicht der Afrikanischen Union (AU) angehört. Die Diskriminierung der sahrauischen Bevölkerung und Unterdrückung politischer Oppositionsbewegungen in den besetzten Gebieten, die von Plünderung westsahrauischer Meeresgebiete auch durch Trawler aus der Europäischen Union und der Raub der Phosphatvorkommen lassen sich keinesfalls damit rechtfertigen, daß Marokkos Nachbar Algerien den Westsaharakonflikt für seine eigenen Hegemonialinteressen, die mit denen Marokkos kollidieren, zu instrumentalisieren versucht.

Die Desertec-Initiative kann nicht übersehen, daß sie im Westsaharakonflikt klar Position gegen die Unterdrückten bezieht, indem sie mit Marokko paktiert. Es paßt auf tragische Weise, daß hier eine konzernbetriebene Energiegewinnungsform in einen Kolonialkonflikt involviert ist, und das bei einem Vorzeigeprojekt der milliardenschweren Desertec-Initiative, die noch in den Kinderschuhen steckt.

Als im vergangenen Jahr erstmals die Pläne der Desertec-Initiative einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurden, daß die Europäische Union bis 2050 rund 15 Prozent ihres Energiebedarfs aus regenerativen Energien (Solarthermie, Windenergie und Biogas), die in Nordafrika und im Nahen Osten produziert werden, decken soll und dazu ein Finanzvolumen von 400 Milliarden Euro erforderlich ist, lautete einer von vielen Kritikpunkten, daß mit solch einem gigantischen Projekt eine neue Form des Kolonialismus betrieben würde. Aber selbst die schärfsten Kritiker hatten sich wohl nicht vorzustellen vermocht, wie schnell sich ihre Bedenken bewahrheiten könnten.

Das Bakschisch in Höhe von drei Millionen Euro, das Außenminister Westerwelle Marokko für die Förderung der Solarthermie überreicht hat, zeigt, daß von Seiten der Bundesregierung keinerlei Einwände gegen die Kooperation mit einer Besatzungsmacht wie Marokko bestehen. Desertec ist ein Politikum, darüber sollten sich seine Befürworter nichts vormachen. Es wird eine wichtige Funktion zur Absicherung der europäischen, respektive der deutschen Vormachtstellung im globalen Ringen um die technologische, wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie erfüllen. Rechts und links des "umweltfreundlichen" Kurses kommen allerdings Völker wie die Sahrauis, denen ein Status als Menschen zweiter Klasse zugeordnet wird, unter die Räder.

18. November 2010