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LAIRE/192: Über die unvollständige Energiebilanz von Windkraftanlagen (SB)


Offene Fragen zur Berechnung von Aufwand und Verlusten der Energieproduktion am Beispiel der Windkraftanlage


Inhalt:
- Einleitende Bewertung
- Infrastrukturelle Voraussetzungen: eine vernachlässigte Größe
- Produktivfaktor Mensch: eine noch wichtigere vernachlässigte Größe
- Öko-Mythos "regenerativ"
- Repowering verringert Erntefaktor
- Ausblick: fragend schreiten wir voran



Einleitende Bewertung

Welcher energetischen Voraussetzungen bedarf der Bau, Betrieb und Rückbau von Windkraftanlagen? Unseren Recherchen zufolge weisen veröffentlichte Berechnungen zur Energiebilanz signifikante Lücken auf. So bestehen erhebliche Zweifel an einem Ergebnis wie, daß sich eine Offshore-Anlage nach vier Monaten energetisch amortisiert. Wobei es im folgenden nicht um den Nachweis geht, daß sich Windkraftanlagen gegebenenfalls erst ein, zwei Monate später energetisch amortisieren, wie in entsprechenden Sensitivitätsstudien berechnet, sondern um die Frage, ob es überhaupt zu einer Amortisierung kommt. Kann es sein, daß für die Voraussetzungen von Bau, Betrieb und Rückbau einer Windkraftanlage mehr Energie verbraucht wird, als am Ende an geleisteter Energie herauskommt - daß also die produzierten Verluste größer sind als der Ertrag? Nach einer ersten groben Recherche kann diese Frage mit gleicher Berechtigung auch für andere sogenannte regenerative Energien, aber nicht minder für die Nutzung von Energieträgern wie Uran, Kohle, Erdöl oder Erdgas aufgeworfen werden.

Es ist sicherlich ein Verdienst der Umweltbewegung, daß überhaupt energetische bzw., noch umfänglicher, ökologische Bilanzen zu Energieträgern üblich geworden sind. Da hat sich in der Einstellung der Ingenieure von heute im Unterschied zu früheren Generationen einiges getan. So lesen wir in einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit finanziell unterstützten Studie mit dem Titel "Lebenszyklusanalysen ausgewählter zukünftiger Stromerzeugungstechniken", an der vier führende deutsche Forschungseinrichtungen beteiligt sind, aus dem Jahre 2004:

"Gerade bei regenerativen Stromerzeugungstechnologien, aber auch in zunehmendem Maße bei hocheffizienten und auf der Nutzung fossiler Energieträger basierten Umwandlungs- und speziell Stromerzeugungstechniken, werden negative Umweltauswirkungen nicht nur durch den Prozess der Energiewandlung selbst (z. B. Emissionen bei der Verbrennung), sondern vor allem durch die verschiedenen vor- und nachgelagerten Prozesse der gesamten Energieumwandlungskette (Brennstoffbereitstellung, Komponentenfertigung, Materialbereitstellung, Transportprozesse, Entsorgungsprozesse, ...) verursacht. Als Instrument zur Quantifizierung der Umwelteinwirkungen der gesamten Energiebereitstellungskette hat sich in den letzten Jahren der Ansatz der Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment - LCA -, im deutschen Sprachgebrauch meist als 'Ökobilanz' bezeichnet) etabliert." [1]

Bei der Klärung der Frage, ob Windenergieanlagen mehr elektrischen Strom produzieren, als an energetischem Aufwand in ihren Bau, Betrieb und Rückbau hineingesteckt werden muß, wird von Experten im Rahmen jener Lebenszyklusanalyse unter anderem die Methode der Prozeßkettenanalyse angewendet. Dabei wird beispielsweise das Getriebe einer Windenergieanlage in seine Einzelteile zerlegt und gefragt, welche Energie erforderlich war, das jeweilige Element herzustellen und zu transportieren. Dazu schreibt Prof. Dr.-Ing. Hermann-Josef Wagner von der Ruhr-Universität Bochum, der auch an der oben zitierten Studie mitgearbeitet hat:

"Besonders wichtig ist es bei diesem Verfahren, die Energieaufwendungen für die Weiterverarbeitung von Grundstoffen oder Halbzeugen zum gewünschten Produkt zu berücksichtigen, beispielsweise von Stahl oder unbearbeiteten Gussteilen zu Getrieben. Die in der Literatur angegebenen Werte beziehen sich nämlich meist nur auf Grundstoffe oder Halbzeuge. Die entsprechenden Zuschläge können die Forscher bei einfachen Produkten abschätzen und auf die spezifischen kumulierten Energieaufwendungen der einzelnen Materialien aufschlagen.

Bei aufwändigeren Produkten wie Getrieben oder Rotoren sind diese Faktoren allerdings so einflussreich, dass sie mit viel technischem Sachverstand von Forschern mit Unterstützung der Hersteller im Detail erarbeitet werden müssen. Leider liegen derartige Daten auch in Unternehmen nicht direkt greifbar vor, da sie zur Fertigung und der betriebswirtschaftlichen Abwicklung nicht benötigt werden." [2]

Diese Beschreibung läßt bereits ahnen, daß eine Prozeßkettenanalyse sehr aufwendig gestaltet werden kann, abhängig von der Gründlichkeit und Beharrlichkeit, mit der sich jemand auf die Spur der energetischen Aufwände begibt. Nach rund vier bis fünf Monaten, so die in dieser Studie veröffentlichte Vorstellung, hat sich eine Windkraftanlage energetisch amortisiert. Bei einer allgemein in der Literatur angenommenen Betriebszeit von zwanzig Jahren würde sich ein Erntefaktor von bis zu 70 ergeben, das heißt, eine Windkraftanlage würde 70 mal so viel Energie produzieren, wie, auf Primärenergie bezogen, in sie hineingesteckt wurde [2]. Doch wie gründlich gehen die Experten bei ihren Energieberechnungen tatsächlich vor? Werden alle relevanten Voraussetzungen berücksichtigt?

"Für die Bilanzierung von Produktsystemen werden heute verschiedene Bilanzierungstechniken angewendet. Bei der klassischen Prozesskettenanalyse werden die ein- und austretenden Stoff- und Energieströme des zu bilanzierenden Prozesses oder Prozessgeflechtes ermittelt und die ihnen vorgelagerten Prozessketten bis zur Gewinnung der jeweiligen Rohstoffe in der gleichen Weise zurückverfolgt. Dieses Verfahren erlaubt einerseits die äußerst genaue Erstellung von Bilanzen, andererseits jedoch steigt der Arbeitsaufwand mit zunehmendem Detaillierungsgrad erheblich an. Um den Aufwand in angemessenem Rahmen zu halten, werden daher üblicherweise Abschneidekriterien definiert, durch die nicht wesentlich ergebnisrelevante Stoffströme vernachlässigt werden." [1]

Zu diesen "Abschneide-" bzw. "Abbruchkriterien" gehören, sofern sie überhaupt jemals in die Aufmerksamkeit der Ingenieure gerückt sind, augenscheinlich NICHT die bereits bestehenden infrastrukturellen Voraussetzungen (Fabriken, Hafenanlagen, Schienen, Straßen, Unterkünfte der Arbeiter, Verwaltungsgebäude, etc.), um eine Windenergieanlage bauen und errichten zu können, und auch nicht die Menschen, die dazu erforderlich sind (Ingenieure, Bergmänner, Fahrer, Verwaltungsangestellte, Industriemechaniker, Monteure, etc.) und deren Arbeit ebenfalls dem Energiebedarf zugerechnet werden müßte.


Infrastrukturelle Voraussetzungen - eine vernachlässigte Größe

Die für den Bau einer Windenergieanlage unverzichtbare Infrastruktur wird in obiger Studie wie auch in anderen Publikationen vollständig ausgeblendet, als wenn sie naturgegeben wären. Typisch dafür scheint folgendes Zitat über ein landseitiges Umspannwerk, mit dem offshore generierter elektrischer Strom ins Verbundnetz eingespeist werden soll, zu sein:

"Am Netzanknüpfungspunkt kommt eine weitere Umspannstation zum Einsatz, die ähnlich der offshore Umspannstation aufgebaut ist. Diese wird in dieser Bilanz nicht betrachtet, da vorausgesetzt wird, dass die Infrastruktur am Einspeisungspunkt in Brunsbüttel bereits vorhanden ist." [1]

Hier wird eine zweite Umspannstation in der Bilanz weggelassen, weil die Infrastruktur "bereits vorhanden ist". Bei der Berechnung eines konkreten Szenarios ist das zulässig, bei Pauschalaussagen zur energetischen Amortisationszeit hingegen nicht. Auch anderes wird weggelassen, weil es bereits vorhanden ist, aber zwingend für den Bau einer Windenergieanlage benötigt wird. Daß beispielsweise für den Transport eines Windradflügels für eine Offshore-Anlage nicht nur Treibstoff und Getriebefett des Frachters erforderlich sind, sondern auch entsprechend große und passend ausgestattete Hafenanlagen, um Windflügel auf den Frachter zu hieven, sowie ein mit einem Kran bestücktes Spezialschiff, von dem aus auf See die Flügel anmontiert werden, interessiert bei den üblichen Energiebilanzen offenbar nicht.

Die für den Bau der Hafenanlagen und des Spezialschiffs benötigte Energie müßte konsequenterweise zu einem bestimmten Anteil auch in eine energetische Bilanzierung einfließen. Denn es ist simpel: Ohne diese infrastrukturellen Voraussetzungen gäbe es keine Offshore-Windenergieanlagen. Wollte man sie dennoch errichten, müßten eigens für sie eine Hafenanlage und ein Spezialschiff gebaut werden - mit entsprechendem Energieaufwand, versteht sich. Daß diese Einrichtungen gegebenenfalls auch anderweitig genutzt werden, erschwert die Bilanzierung ungeheuer, aber macht sie deswegen nicht unnötig.

Ein weiteres Beispiel: Wenn eigens eine Fabrik für die Anfertigung von Windflügeln gebaut wird, muß das energetisch, verteilt auf die in der Fabrik produzierten Windflügel, berücksichtigt werden. So baut Vestas, der weltweit größte Hersteller von Windkraftanlagen, in diesem Jahr voraussichtlich 2300 Stellen ab. [3] Ganze Produktionsstandorte sollen geschlossen werden. Diese Standorte dienten aber ausschließlich dem Bau von Windkraftanlagen, weshalb der gesamte energetische Aufwand von Bau und Betrieb des Standorts, seinerseits über sämtliche hinter ihm stehende Prozeßketten hinweg - geteilt durch die an dem Standort produzierte Anzahl an Windkraftanlagen bzw. -bestandteilen - Eingang in eine Energiebilanz finden müßte.

Darüber hinaus ist zu fragen, ob demnach nicht nur die Herstellung jedes einzelnen Bestandteils der Windenergieanlage, wie jenes von Prof. Wagner eingangs erwähnte Gußteil, mit seiner eigenen Prozeßkette, die vertikal zurückreicht bis zum Herausbrechen des erzhaltigen Gesteins aus dem Berg, berechnet werden müßte, sondern beispielsweise auch die Arbeitsmittel, mit denen das geschieht? Beispielsweise das Werkzeug für die Erzbearbeitung? Auf die kurze Formel gebracht: Ohne Preßlufthammer keine Windkraftanlage. Sie würden nicht existieren, wenn es keine Preßlufthämmer (oder äquivalente Technologien) gäbe, mit denen das Erz aus dem Berg gestemmt werden kann. Wenngleich der Anteil eines einzelnen Betriebsmittels am Energieaufwand für den Bau einer Windkraftanlage voraussichtlich sehr gering ausfällt, dürfte in der Summe über sämtliche Prozeßketten und ihre Verzweigungen hinweg ein nicht zu unterschätzender Energieverbrauch zusammenkommen.

Wer eine solche Energiebilanz für übertrieben hält, müßte begründen, warum eine Windenergieanlage beispielsweise ohne den Preßlufthammer oder eine nicht minder energieverbrauchsrelevante Äquivalenztechnologie existieren kann. Wenn aber zugestanden wird, daß dies nicht möglich ist, dann wäre eine Energiebilanz ungenügend, die solche Faktoren nicht anteilsmäßig berücksichtigte. Um sich die Problematik zu vergegenwärtigen, ein einfaches Bild: Bei der (inzwischen pauschalisierten) Fahrtkostenerstattung wird ebenfalls nicht nur das Benzin berechnet, das ein Auto verbraucht, sondern auch die Wartung und Abnutzung des Fahrzeugs. Konsequenterweise müßten ähnliche Verluste auch bei der Windradproduktion bedacht werden.

Wenn der Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Deutschland weiter wie bisher voranschreitet, muß das Stromnetz angepaßt werden. Die erforderliche Investitionssumme geht in den zweistelligen Milliardenbereich. Auch dieser Faktor muß, als Energie gerechnet, bei der Bilanzierung der Amortisationszeiten von Windenergieanlagen in irgendeiner Form berücksichtigt werden. Auch ist zu bedenken, daß zur Zeit Reservekapazitäten, beispielsweise durch zügig auf Angebot und Nachfrage reagierende Gaskraftwerke, für windarme Zeiten bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus wäre jede Form der Speichertechnologie ebenfalls in eine Energiebilanz, die den Anspruch erhebt, praxisnah zu sein, aufzunehmen.


Produktivfaktor Mensch - eine noch wichtigere vernachlässigte Größe

Es fällt auf, daß die Experten zwar diverse Stoffströme berechnen, die bei der Fertigung einer Windenergieanlage entstehen, und den nötigen energetischen Aufwand berechnen, mit dem die Stoffe an die Produktionsstätte herangeführt werden, aber daß das gleiche auch für Menschen gilt, damit aus den Einzelteilen ein Windrad entsteht, wird von ihnen übersehen und somit nicht als energetisch relevanter Faktor in die Bilanz aufgenommen. Beispielsweise lesen wir:

"Die mit Hilfe der Zuschlagsfaktoren ermittelten Primärenergieäquivalente für die Fertigungsenergie werden in Endenergie ungerechnet. Dabei wird die Annahme getroffen, dass bei der Produktion der Bauteile Strom als einziger Energieträger eingesetzt wird." [1]

Aufgrund dieser Aussage müßte man eigentlich annehmen, daß die Fertigung der Bauteile für eine Windenergieanlage in vollautomatischen Fabriken ohne jedes Personal stattfindet. Wenn nicht, dann sollte doch wohl nicht darauf verzichtet werden beispielsweise auch die Heizkosten in der Fertigungshalle, den Aufenthaltsräumen und im Verwaltungsgebäude energetisch zu berücksichtigen. Da die Beschäftigten während der Zeit, in der sie ein Bauteil anfertigen, leben müssen, müßte im Prinzip selbst der Energiegehalt von Nahrung und - ein besonders relevanter Faktor - der Spritverbrauch für Fahrten von und zum Arbeitsplatz berücksichtigt werden. Letzteres könnte man natürlich weglassen, aber dann würden die Beschäftigten in der Fabrik leben, was zumindest für Deutschland realitätsfern ist. Man könnte auch die Heizkosten für das Verwaltungsgebäude des Windkraftanlagenherstellers weglassen, aber das könnte schnell ein gerichtliches Nachspiel haben ... weil die Angestellten Klage einreichen. Man könnte sich auch die gesamte Verwaltung sparen, aber ob unser Windenergieanlagenhersteller dann zuverlässig das von ihm bestellte Bauteil geliefert bekäme, wäre mit großer Unsicherheit behaftet ...

Was sich hier etwas scherzhaft liest, hat einen ernstzunehmenden Hintergrund, denn in der Energiebilanz werden alle diese "menschlichen" Faktoren, die Verwertung des Menschen durch Arbeit, weggelassen, als wenn auf sie verzichtet werden könnte. Daß man das nicht kann, sollte hier beispielhaft deutlich geworden sein. Zugestanden, die Ingenieure haben das Problem, solche Faktoren berechnen zu müssen. Der Datenaufwand ist riesig. Aber folgt aus dieser Schwierigkeit, daß man sie vermeidet und schlicht ignoriert? Oder müßte man nicht konsequenterweise von der Behauptung Abstand nehmen, daß sich Windkraftanlagen nach fünf Monaten energetisch amortisieren?

Ohne den auch historisch zu betrachtenden, vorgeschalteten Energieeinsatz, der heute in den infrastrukturellen Voraussetzungen für Bau, Betrieb und Rückbau von Windkraftanlagen steckt, hätten wir heute keine Windräder. Das wird in den üblichen Ökobilanzen nicht berücksichtigt. Man hat sich in der Fachwelt stillschweigend geeinigt, darauf verzichten zu können. Und die Gesellschaft, die in Energiebilanzfragen wiederum die Fachwelt um Rat fragt, will es nicht genauer wissen.

Bei Energiebilanzen haben wir es demnach mit einem Konsens zu tun. Fachwelt und Laien sind sich einig, daß die verwendeten Ökobilanzen, Lebenszyklus-, Input-Output- oder Prozeßkettenanalysen, und wie sie alle heißen, ausreichen. Von einem politischen Standpunkt aus betrachtet, bei dem klimaschädliche Kohlekraftwerke und hochrisikobehaftete Atommeiler durch regenerative Energieträger ersetzt werden sollen, ist das nachvollziehbar. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt hingegen genügt das nicht, erhebt doch Naturwissenschaft den Anspruch auf Objektivität. Und da kommt man nicht herum festzustellen, daß der Bau einer Windenergieanlage mehr Energie erfordert, als von all den bekannten Berechnungen erfaßt wurden, vielleicht sogar mehr, als so eine Anlage jemals zu leisten vermag.

Bei dem hohen Anspruch könne man ja gleich bis zum Urknall zurückgehen, bei dem die Zerteilung begann und die Prozeßketten ihren Anfang nahmen, ließe sich argumentieren. Das stimmt - und wenn es so wäre? Wäre die Gedankenanregung verwerflich? Oder zu abgehoben? In Anbetracht der riesigen Probleme der Menschheit aufgrund des Klimawandels, des zunehmend deutlicher werdenden Mangels von Energie, Wasser, Nahrung, Rohstoffen, etc. sollte doch wohl nicht vor einer Gründlichkeit der Analyse zurückgeschreckt werden, auch dann nicht, wenn sich nicht sofort Lösungen für die drängenden Probleme einfinden. Man könnte sogar argumentieren, insbesondere dann nicht, denn alle bisherigen "Lösungen" haben zu dem hinlänglich bekannten Ergebnis geführt: Unter menschlichem Einfluß wandelt sich das Klima, was möglicherweise zum Auslöschen eines Teils oder gar der gesamten Menschheit führt. Andere Arten sind bereits verschwunden. Die Geschwindigkeit des gegenwärtigen Artensterbens, für das die Ausbreitung des Menschen als hauptverantwortlich gilt, wird in der Forschung als erdgeschichtlich einzigartig hoch bezeichnet. Das aktuelle Massensterben findet um den Faktor 100 bis 1000 schneller statt als die fünf vorangegangenen Massensterben im Verlauf der Erdgeschichte.

Wissenschaftler und Ingenieure, die sich mit Ökobilanzen befassen, werden die hier aufgeworfenen Fragen voraussichtlich verwerfen, da sie aus ihrer Sicht zu keinem praktikablen Ergebnis führen. Ein Argument, das einigen von ihnen allerdings sehr vertraut klingen müßte. Hatte nicht die Atom-, Kohle- und Erdöllobby vor dreißig Jahren behauptet, eine Transformation der Gesellschaft auf alternative Energieformen sei nicht praktikabel? Heute wird der gesellschaftliche Umbau sogar von konservativen Politikern vorangetrieben, allen damit verbundenen technologischen Schwierigkeiten beispielsweise des Stromnetzausbaus zum Trotz. Nun müssen sich auch die Lobbyisten der sogenannten regenerativen Energieträger Fragen stellen, die vielleicht zu unbequem sind, da sie ihrem berufständischen Interesse zuwiderlaufen.

Ganz und gar unvertraut dürften solche Fragen wiederum auch nicht sein. In sogenannten Wirkungspfadanalysen wird bereits ein möglicher Zusammenhang von Schadstoffemissionen und gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen beschrieben und zu bewerten versucht. [4] Es gibt also Bemühungen, über den Tellerrand hinauszuschauen, und den menschlichen Faktor als Verlustgröße in Öko-Bilanzen einzubeziehen. Das wird jedoch nicht in der gebotenen Konsequenz vollzogen.

Von der Ökonomie her weiß man um die Bedeutung der menschlichen Arbeit als eigentlichen und einzigen Faktor, der Mehrwert bringt. So sind innerhalb kurzer Zeit zwei deutsche Unternehmen, Solon und Solar Millennium, pleite gegangen. [5] Aber nicht, weil sie technologisch nicht auf der Höhe der Zeit waren, sondern (abgesehen von sogenannten hausgemachten Problemen) vor allem, weil in China preiswertere Solarzellen produziert werden. Der entscheidende Unterschied zwischen den Konkurrenzstandorten Deutschland und China besteht in den Lohnkosten. Das läßt sich mit einiger Umsicht auch energetisch ausdrücken und verdeutlicht, daß der menschliche Faktor eine nicht zu vernachlässigende Größe in der Energiebilanz ist.



Öko-Mythos "regenerativ"

Am Rande bemerkt: Regenerativ sind Energien aus Wind und Sonne nicht. Sie erneuern sich nicht, sondern gehen energetisch unwiederbringlich verloren. Man könnte einwenden, daß die Sonne noch fünf Milliarden Jahre brennt und dabei Energie liefert, von der die Bewohner der Erde profitieren, und daß das für menschliche Maßstäbe eine faktisch unendlich lange Zeitspanne und es mithin spitzfindig sei, Sonnenenergie als nicht-regenerativ abzutun. Darum geht es jedoch nicht. Wenn Windräder, Photovoltaikanlagen oder Solarthermische Kraftwerke regenerativ wären, warum werden dann überhaupt Lebenszyklusanalysen vorgenommen? Weil jede Energieform bedeutungslos ist ohne ihre entsprechende Umwandlungstechnologie, und die verbraucht sich und gebraucht Energie.

Von regenerativ kann keine Rede sein. Es handelt sich offensichtlich um ein nicht weniger berufständisch motiviertes Verkaufsargument ähnlich der Behauptung der großen Energiekonzerne, daß Atomkraftwerke klimafreundlich oder gar kohlenstoffneutral sind, nur weil aus ihren Kühltürmen Wasserdampf aufsteigt. Jeder, der Lebenszyklusanalysen kennt, weiß um die Unsinnigkeit solcher Aussagen.

Ein weiteres Argument der Anhänger der Regenerativen lautet, daß Sonnen- und Windenergie im Unterschied beispielsweise zu fossilen Energieträgern frei verfügbar sind, sie stünden im Unterschied zu anderen Energieträgern kostenlos zur Verfügung. Auch das ist eine Fehleinschätzung, denn auch andere Energieträger können kostenlos oder nahezu kostenlos sein. Beispielsweise bezahlt das Unternehmen Vattenfall für die Braunkohle, für deren Nutzung in der Lausitz ganze Dörfer abgerissen werden, keinen Cent. Das deutsche Bergrecht sieht zwar für die Hebung solcher Rohstoffe die Abgabe des Zehnten vor, aber es liegt in der Befugnis der Länder, ihn nicht einzufordern. Brandenburg verzichtet darauf.

Deshalb ist Braunkohle wie Wind- und Sonnenenergie ein frei verfügbarer Energieträger - zumindest für kapitalstarke Unternehmen. Nicht jedem wird zugestanden, anderer Leute Häuser abzureißen, weil sich unter ihnen der Energieträger Braunkohle befindet, mit dem sich erkleckliche Profite erwirtschaften lassen. Auf der anderen Seite ist die Nutzung von Wind- und Sonnenenergie nicht völlig kostenlos, benötigen die Betreiber doch eine Baugenehmigung für ihre Anlagen.



Repowering verringert Erntefaktor

Viele Windenergieanlagen werden nicht zwanzig Jahre betrieben, wie in der oben erwähnten Studie [1] angenommen, sondern vorher durch neue ausgetauscht. Der Bundesverband WindEnergie propagiert ein sogenanntes Repowering nach zwölf Jahren. [6] In der umfangreichen dena-Studie wird angenommen, daß die Hälfte der nach 1998 in Betrieb genommenen Anlagen nach 15 und die andere Hälfte nach 20 Jahren ersetzt wird. [7] Das Deutsche Institut für Windenergie (DEWI) geht davon aus, daß je ein Drittel der Anlagen nach 12, 15 und 20 Jahren "repowert" werden. [in: 7]

Allein ein solcher Austausch verkürzt den Erntefaktor deutlich. Die neuen Anlagen gelten zwar allgemein als bis zu dreimal so effizient, aber niemand weiß zu sagen, in wievielen Jahren die heute modernsten Anlagen ebenfalls einem Repowering unterzogen werden. Kaum anzunehmen, daß sie im Durchschnitt bis zum Jahr 2032 laufen, auch wenn sie es theoretisch könnten. Man kann sogar sagen, daß jede neue Generation von Windenergieanlagen das Testfeld für die nächste bildet. Manche heute moderne Anlage dürfte in Zukunft im Rahmen des Repowerings vor Ablauf der für den Erntefaktor berechneten Betriebszeit ersetzt werden.

Im übrigen ist die Feststellung des Erntefaktors von einigen Variablen (z. B . Windstandort, Nennleistung der Anlage) abhängig, so daß die Ergebnisse stark schwanken. Kommt Prof. Wagner bei einer 1,5 MW-Windenergieanlage auf einen Erntefaktor von 70 [2], errechnet das Institut für Festkörperphysik für eine 1,5 MW-Anlage an einem windfreundlichen Küstenstandort einen Erntefaktor von 16 und liegt damit schon erheblich unter diesem Wert. [8] Das Repowering vergrößert die allgemeine Energieausbeute, aber es verringert den Erntefaktor der Altanlagen.



Ausblick - fragend schreiten wir voran

Bei einer so gewichtigen Erblast, bei der sämtliche, womöglich gar historisch zu verortende infrastrukturellen Voraussetzungen bedacht werden müssen, könnte man ja überhaupt kein Energiesystem betreiben, weil sowieso alles nur noch Verluste erzeugt, lauten mögliche Bedenken gegen die hier aufgeworfenen Fragen. Dabei würde allerdings bereits das Ergebnis der Analyse vorweggenommen, obgleich sie sich kaum entfaltet hat, geschweige denn daß sie abgeschlossen wurde. Die Schlußfolgerung aus den vielen offenen Fragen zu Aufwand und Verlusten der Energieproduktion am Beispiel der Windkraftanlage muß ja nicht lauten, den Kopf in den Sand zu stecken und die technologische Entwicklung schlagartig zu beenden, auf daß fortan alle Menschen ihre Kleidung ablegen, Felder mit bloßen Händen beackern, Nüsse und Beeren sammeln und an bitteren Baumrindenstückchen knabbern. Es geht vielmehr darum, eine technologische Entwicklung, deren Anhänger immer wieder den Anspruch vortragen, sie unterlägen nicht den gleichen Fehleinschätzungen wie die Vertreter der fossilen und Uran-Energiesysteme, zu überprüfen.

Bisher wurden fast ausschließlich technologische Fragen der Energiebilanz erörtert. Bei der Untersuchung sozioökonomischer Faktoren im Zusammenhang mit der Energieproduktion stößt man auf ähnliche Verkennungen, Auslassungen und Absichten der Akteure. Im Prinzip werden Windenergieanlagen und Photovoltaikzellen unter keinen anderen Formen der profitorientierten Verwertung menschlicher Arbeitskraft produziert wie zum Beispiel Kohle- oder Atomkraftwerke. So wenig, wie mit der Verbreitung von "regenerativen" Energiesystemen ein anderer energetischer Weg eingeschlagen wird, ändern sich mit ihrer Verbreitung die vorherrschenden, auf Wachstum und immer mehr Wachstum ausgerichteten Produktionsverhältnisse, selbst dann nicht, wenn die Energie vollständig dezentral generiert würde und jedes Dach in Deutschland mit Solarzellen bepflastert wäre.

Nur wenn man die von weitverzweigten Verlusten begleiteten Voraussetzungen der Energieproduktion wegläßt, kommt man auf energetische Amortisationszeiten für Windenergieanlagen von vier bis fünf Monaten. Solche Rechnungen erinnern jedoch an den mittlerweile in die Jahre gekommenen Spruch: "Ich habe nichts gegen Atomkraftwerke, bei mir kommt der Strom aus der Steckdose."

Wenn man Energie in einen monetären Wert umrechnet, wie es von Energieexperten bei der von der Volkswirtschaftslehre übernommenen Input-Output-Analyse gemacht wird [9], dann bedeutet das, daß sich Windenergieanlagen nach vier bis fünf Monaten nicht nur energetisch, sondern auch ökonomisch amortisieren müßten. Die Rendite würde also bei über 100 Prozent im Jahr liegen. Warum, bitte schön, verkauft ein Unternehmen wie Vestas Windenergieanlagen und stellt sie nicht selber auf, wenn es sich um so wundersame Goldesel handelt? Oder verhält es sich mit den Berichten über Erntefaktoren für Windenergieanlagen von 40 oder 70 etwa so wie mit den Büchern, die Titel tragen wie: "Wie werde ich Millionär?" ... wären die Empfehlungen in solchen Ratgebern zuverlässig, sollten es die Autoren eigentlich nicht nötig haben, ein Buch zu schreiben.

Warum also lesen wir Anfang Januar im "Handelsblatt" über den Windkraftanlagenhersteller Vestas:

"Der Windturbinenbauer hatte Anfang Januar erneut den Umsatzausblick für 2011 gesenkt und erwartet nun 6,0 statt bisher 6,4 Milliarden Euro Umsatz. Einen Gewinn traut sich das Unternehmen nicht mehr zu." [3]

Warum gerät der weltweit größte Produzent von Windkraftanlagen in wirtschaftliche Bedrängnis, wenn er doch - angeblich - wahre Goldesel verkauft, die, kaum aufgestellt, dem Betreiber nach vier bis fünf Monaten eine Million nach der anderen in die Kasse spülen müßten? Warum wird Vestas unter anderem durch Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines Getriebes aus der Bahn geworfen - müßte das Unternehmen nicht riesige Erfolge mit seinen praxisbewehrten Anlagen feiern und solche Verzögerungen mit Leichtigkeit kompensieren? Prof. Dr. Andreas Otto von der Universität Düsseldorf kommt jedenfalls in der "Faktensammlung zur Windenergie 2007" zu dem Ergebnis, "daß keine Aussicht besteht, daß Windenergieanlagen im deutschen Inland profitabel werden. Sie verdanken ihre Existenz allein der weltweit höchsten finanziellen Förderung in Deutschland." [10]. Also sind Windenergieanlagen doch keine Goldesel? Dann dürften Erntefaktoren von 40 oder 70 traumhaft, aber gewiß nicht realitätsnah sein.

Die alten Ägypter haben zwar mit Hilfe des Verbrauchs von Sklaven gewaltige Pyramiden aufgetürmt, aber für den Bau einer 5-MW-Offshore-Windenergieanlage hätte ihr technologisches Wissen und Vermögen nicht annähernd ausgereicht. Zwischen Pyramide und Windenergieanlage liegen über vier Jahrtausende Zivilisationsgeschichte und rund zwei Jahrhunderte Industrialisierung - erkauft mit einem unermeßlichen Arbeitskräfte- und Energieverbrauch, der selbstverständlich nicht allein der Windenergieanlage aufgehalst werden kann, aber der dennoch notwendig war, um den heutigen technologischen Stand zu erreichen.

Wer nun an der Spitze der Verwertung dieser weiterentwickelten Produktivkräfte steht und unter Mißachtung der infrastrukturellen und menschlichen, aber auch historischen Voraussetzungen einen kleinen Ausschnitt der Energieproduktion wählt und behauptet, eine Windenergieanlage erzeuge bis zu 70 mal mehr Energie als für ihre Fertigung benötigt wurde, nimmt den gleichen Standpunkt ein - nur mit umgekehrtem Vorzeichen - wie die Lobbyisten der fossilen und nuklearen Energiesysteme, die die Unverzichtbarkeit ihrer Energieträger predigen, aber geflissentlich den Zusatz "unter den vorherrschenden profit- und wachstumsorientierten Verwertungsbedingungen" zu erwähnen vergessen.



Anmerkungen:

[1] "Lebenszyklusanalysen ausgewählter zukünftiger Stromerzeugungstechniken. Ein Forschungsvorhaben mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit". Erstellt von Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Universität Stuttgart; Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Stuttgart; Lehrstuhl für Energiesysteme und Energiewirtschaft, Ruhr-Universität Bochum; Forschungsstelle für Energiewirtschaft, München, 2004.
http://www.ing-buero-moerschner.de/pdf/pub/Briem_et_al2004_BMWI-LCI-Bericht_ktr670.pdf

[2] "Wie sauber sind die weißen Riesen? Energiebilanzen von Windkraftanlagen", Prof. Dr.-Ing. Hermann-Josef Wagner, in: RUBIN, 12.08.2005, www.scinexx.de, Das Wissensmagazin; aus dem Netz abgerufen am 17. Januar 2012
http://www.g-o.de/dossier-249-1.html

[3] "Vestas senkt erneut Prognose", Handelsblatt, 4. Januar 2012
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/vestas-senkt-erneut-prognose/6017946.html

[4] "New Developments in the Application of the Impact Pathway Approach for LCIA of Emerging Energy Production Technologies", Philipp Preiss, Universität Stuttgart, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung - IER, 15. Juni 2005
http://www.lci-network.de/cms/webdav/site/lca/shared/Veranstaltungen/2005LcaWerkstatt/ArbeitsgruppeC/C2_Preiss.pdf

[5] "Solon und Solar Millennium sind pleite - Ist es Q-Cells im Februar?", Deutsches Anleger Fernsehen, 22. Dezember 2011
http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2011-12/22280168-solon-und-solar-millennium-sind-pleite-ist-es-q-cells-im-februar-398.htm

[6] "Repowering von Windenergieanlagen. - Effizienz, Klimaschutz, regionale Wertschöpfung" (2010), aus dem Internet abgerufen am 22. Januar 2012
http://www.wind-energie.de/sites/default/files/download/publication/repowering-von-windenergieanlagen/bwe_repowering-broschuere_05-2011.pdf

[7] "Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum Jahr 2020. Konzept für eine stufenweise Entwicklung des Stromnetzes in Deutschland zur Anbindung und Integration von Windkraftanlagen Onshore und Offshore unter Berücksichtigung der Erzeugungs- und Kraftwerksentwicklungen sowie der erforderlichen Regelleistung", Studie im Auftrag der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena), Endbericht; Köln, 24. Februar 2005
http://www.offshore-wind.de/page/fileadmin/offshore/documents/dena_Netzstudie/dena-Netzstudie_I_Haupttext.pdf

[8] "Erntefaktoren einzelner Anlagen", Institut für Festkörper-Kernphysik, Erstellt: 1. Oktober 2011, Aktualisiert: 12. Januar 2012
http://festkoerper-kernphysik.de/erntefaktor_details

[9] "Lebenszyklusanalyse fossiler, nuklearer und regenerativer Stromerzeugungstechniken", D 93 - Dissertation der Universität Stuttgart, vorgelegt von Torsten Marheineke, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart
http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2002/1144/pdf/Dissertation_Marheineke_Torsten.pdf

[10] "Faktensammlung zur Windenergie 2007", Prof. Dr. Andreas Otto, aus dem Internet abgerufen am 25. Januar 2012
http://www.fkphy.uni-duesseldorf.de/Faktensammlung_zur_Windenergie_2007.pdf

25. Januar 2012