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LAIRE/231: Pagan Island - Bomben und Granaten auf ökologischen "Hot Spot" (SB)


Demokratische Aneignung

- Das US-Militär will eine weitere Insel der Nördlichen Marianen in ein Manöver- und Bombenabwurfgebiet umwandeln

- Einwohner protestieren gegen die Pläne



Einmal mehr soll eine ökologisch einzigartige Insel im Pazifik, die "nur" von wenigen Indigenen bewohnt war, als Testgebiet für Bombenabwürfe und Schießübungen herhalten: Pagan Island. [1]

Die 47 km² große Insel besteht aus einem aktiven und einem inaktiven Vulkan, die durch eine Landbrücke miteinander verbunden sind, und gehört politisch zum Commonwealth der Nördlichen Marianen (Commonwealth of the Northern Mariana Islands - CNMI), einem sogenannten nichtkorporierten Außengebiet der Vereinigten Staaten von Amerika.

Pagan Island von oben, aus dem nördlichen Vulkankrater steigt eine lange Dampfsäule auf - Foto: NASA's Earth Observatory

Pagan Island, Aufnahme von der Internationalen Raumstation ISS, 6. März 2012
Foto: NASA's Earth Observatory

Wegen der Gefahr eines Vulkanausbruchs wird die Insel nicht mehr dauerhaft bewohnt. Aber sie hat einmal Dutzenden Einwohnern genügend Platz zum Leben und Wirtschaften geboten. An ihren Stränden finden sich noch immer uralte Steinruinen der Chamorro, eines Volkes, das einige Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung von den Philippinen nach Osten gesegelt ist und sich hier angesiedelt hat. Die Regierung der CNMI steht dem Anliegen der US-Armee wohlwollend gegenüber, in der Zivilbevölkerung dagegen wird gegen das Vorhaben protestiert. Die Internetseite Save Pagan Island [2], die sich für den Erhalt der geologisch, biologisch und nicht zuletzt kulturell wertvollen Insel einsetzt, berichtet, daß sie im vergangenen Jahr von japanischen Investoren gepachtet werden sollte, die dort Puzzolan (Vulkanasche) abbauen und im Gegenzug großen Mengen an Müll abladen wollten, der in Japan nach dem Tsunami vom 11. März 2011 angefallen war. Bislang konnte dieser Versuch, der von den Einwohnern der CNMI als üble Diskriminierung aufgefaßt worden war, unterbunden werden.

Kaum war diese Gefahr von der Insel abgewendet, folgte die nächste auf dem Fuße. In einem Dokument (Federal Register) der US-Navy vom 14. März 2013 wird angekündigt, daß auf einer Reihe von Inseln der Nördlichen Marianen Manöver und Schießübungen durchgeführt werden sollen. Dafür seien nur die Inseln Tinian, die schon zu fast zwei Dritteln militärisch genutzt wird, aber zu diesem Zweck noch weiter ausgebaut werden soll, und Pagan geeignet. [3]

Das US-Militär ignoriert die indigenen Rechte der Einwohner Pagans und wird die Umwelt der gesamten Insel zerstören, befürchten seitdem deren ursprüngliche Bewohner. Auf der Vulkaninsel leben endemische Tierarten, deren Überleben gefährdet ist, sollten dort Manöver abgehalten, Schießübungen der Navy durchgeführt oder Bomben abgeworfen werden. Außerdem wird dabei die Vegetation vernichtet, was zur Folge haben kann, daß die Insel ihre fruchtbare oberste Bodenschicht durch Erosionskräfte verliert. Auch die Korallenriffe vor der Küste sind nicht zuletzt aufgrund der geplanten Landemanöver bedroht, warnen die Chamorro.

"Diese Zerstörungen, in Verbindung mit der nichtexplodierten Munition und den Giften, die mit Sicherheit zurückbleiben, werden die Insel für Jahrhunderte unbewohnbar machen. Das ist inakzeptabel", so die Kampagne Save Pagan Island. [2]

Meeresbucht mit Strand und Palmen, ansteigendes Gelände, im Hintergrund der Vulkanberg - Foto: Norm Banks, U.S. Geological Survey, freigegeben via Wikimedia Commons

Blick auf den Mount Pagan, 1983
Foto: Norm Banks, U.S. Geological Survey, freigegeben via Wikimedia Commons

Die Geschichte der Insel kennt verschiedene Phasen der Fremdherrschaft oder zumindest Einflußnahme von außen. 1521, kurz vor seinem gewaltsamen Tod auf den Philippinen, war Ferdinand Magellan, ein portugiesischer Seefahrer im Dienste der spanischen Krone, auf die Marianen-Inselgruppe gestoßen, ohne sie im Detail zu erkunden. Es dauerte bis 1669, daß Pagan von einem Europäer "entdeckt" wurde. Rund dreißig Jahre später wurden die Bewohner der von Spanien annektierten Insel nach Saipan, der Hauptinsel der Nördlichen Marianen, und einige Jahre darauf von dort gemeinsam mit den Einwohnern anderer Inseln nach Guam zwangsumgesiedelt. Die Spanier wollten die Chamorro unterwerfen und christianisieren, wogegen sich diese zur Wehr setzten. In Folge heftiger Kämpfe und der Ansteckung mit importierten Krankheiten wie Grippe und Blattern überlebten nur 5.000 von 100.000 Insulanern.

Um 1880 hatte ein deutscher Kaufmann die Insel gepachtet, 1899 wurde Pagan an das Deutsche Reich verkauft. Während des Zweiten Weltkriegs war die Insel von Japan besetzt, das dort rund 2000 Soldaten stationierte und die Chamorro-Bevölkerung zwang, in Bergwerken Puzzolan abzubauen. Das bindefähige Material wird bei der Herstellung von Zement verwendet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Pagan wie die anderen Inseln der Marianen den USA zugeordnet. 1981 brach der Hauptvulkan aus, was die verbliebenen 60 Einwohner zwang, ihre Heimat zu verlassen. Sie siedelten sich auf Saipan an. Wenngleich Pagan Island offiziell als unbewohnt gilt, wird sie immer wieder von ihren Einwohnern aufgesucht. Einige leben dort sogar kontinuierlich, berichtete der Biologe Michael Hadfield von der Universität von Hawaii in Manoa vor kurzem für den Environmental News Service (ENS). [4]

Außerdem gibt es Bestrebungen unter den Chamorro, die selber noch auf Pagan gelebt haben, und einigen ihrer Nachfahren, dauerhaft in die alte Heimat zurückzukehren. Das wird ihnen jedoch aus Sicherheitsgründen verwehrt. Während der südliche Vulkan zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts ausgebrochen war, spuckt der Mount Pagan alle Jahre wieder Lava, Gestein oder Aschewolken aus. Eine Rückkehr der Einwohner wäre gefährlich. Das Risiko könnte zwar durch entsprechende Frühwarnsysteme und Schutzmaßnahmen verringert, doch nicht gänzlich behoben werden.

Flughund hängt kopfüber an einem Baum - Foto: U.S. Fish and Wildlife Service

Der Marianen-Flughund (Pteropus mariannus) läßt den Kopf von Natur aus hängen - die Chamorro dagegen wollen sich der Übermacht nicht beugen
Foto: U.S. Fish and Wildlife Service

Hadfield hat im Mai 2010 gemeinsam mit einer Gruppe von Kollegen zu Forschungszwecken elf Tage auf der Vulkaninsel verbracht. Dort haben sie zahlreiche Tierarten beobachtet und deren Verbreitungsgebiet erkundet. Beispielsweise das der seltenen Baumschnecke Partula gibba, die nur auf den Marianen-Inseln zwischen Pagan und der weiter im Süden liegenden Insel Guam lebt, dort aber inzwischen stark dezimiert wurde. Beobachtet wurde auch der Marianen-Flughund (Pteropus mariannus), der Mikronesische Megapode (Megapodius laperouse), und der Halsbandliest Todiramphus chloris owston, eine der vielen Unterarten der Eisvögel. Laut Hadfield kennt die Vogelwelt auf Pagan im Unterschied zu anderen Inseln dieser Region bislang noch keine eingewanderte Vogelarten und ist auch aus diesem Grund für die Forscher von besonderem Interesse.

Die USA haben bereits eine Reihe von pazifischen Inseln teilweise oder restlos bei Bombenabwürfen zerstört. Am bekanntesten sind das Bikini- und das Eniwetok-Atoll der Marshall-Inseln, auf denen Kernwaffen gezündet wurden. Wohingegen die Marianen-Inseln Farallon de Medinilla und Tinian sowie die zu Hawaii zählenden Inseln Ka'ula und Kaho'olawe als Zielgebiet für Schießübungen und für den Abwurf konventioneller Bomben herhalten mußten. Für das Volk der Chamorro und der Refaluwasch würde die Zerstörung von Pagan ein Herzbluten auslösen, wie es wohl die meisten Amerikaner erlitten, wenn beispielsweise der Yosemite-Nationalpark zerstört würde, schreiben die Protestler. Die nutzlose und schreckliche Verschwendung einer der schönsten und geliebtesten Orte der Erde müsse gestoppt werden. [5]

Großfußhuhn, graues bis schwarzes Gefieder, rote Halsfedern - Foto: Michael Lusk, Crystal River, Florida, USA. Freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch via flickr

Mikronesischer Megapode (Megapodius laperouse), aufgenommen auf der Insel Sariguan, Nördliche Marianen, Juni 2010
Foto: Michael Lusk, Crystal River, Florida, USA. Freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch via flickr

Weil die USA bereits so viele militärische Übungsgebiete in der Pazifikregion unterhalten, fragen die Menschen, warum nun eine weitere Insel bombardiert werden soll. Sei nicht schon genug zerstört worden? Reiche es nicht, daß über viele Jahre hinweg Kaho'olawe zu einem vegetationslosen Felsen zerbombt wurde, so daß große Teile der Insel wegen der nicht-explodierten Munition gar nicht mehr begehbar sind? Die Chamorro geben sich selbst die Antwort: Die Militärs brauchen ein neues Schießübungs- und Zielabwurfgebiet, weil die anderen Inseln mit abgereichertem Uran und chemischen Waffen so sehr kontaminiert sind, daß sie sich nicht einmal mehr als Manövergebiet eignen.

Guam, Tianan und andere Inseln der Nördlichen Marianen sind Teil der militärischen Infrastruktur, die unter dem Oberbefehl des U.S. Pacific Command im Westpazifik weiter ausgebaut werden soll und im Militärjargon als "Marianas hub" (Marianen-Drehscheibe) bezeichnet wird. Gemäß der angekündigten und bereits eingeleiteten strategischen Schwerpunktverlagerung der USA vom atlantischen in den pazifischen Raum ist damit zu rechnen, daß die zwischen den Philippinen und Hawaii gelegene Inselgruppe noch weitreichender als bisher zu einem militärischen Manöver- und Aufmarschgebiet gerät.

Mit solchen Maßnahmen zielt die mit Abstand größte Militärmaschinerie der Welt nicht zuletzt auf die Volksrepublik China, die sich in den letzten Jahren ziemlich anstrengt, um den militärischen Vorsprung der USA zu verringern und so ihre Chancen zu wahren, der unübersehbaren Einkreisungsstrategie zu entkommen, und sich mit anderen Staaten verbündet, damit eine schlagkräftige Front entsteht. Beispielsweise durch die Gründung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der Shanghai Corporation Group. Sie wird gelegentlich auch als "Anti-Nato" bezeichnet, was bei aller Unzulänglichkeit solcher Anleihen zumindest deutlich macht, gegen wessen Expansionsdrang sich dieser Zusammenschluß aus der Volksrepublik China, Rußland und einigen zentralasiatischen Staaten richtet.

Ansammlung teils übermannsgroßer, senkrecht stehender Monolithen, die als 'Kopf' einen vom Durchmesser noch größeren Stein tragen - Foto: Hajime Nakano, freigegeben als CC-BY-2.0 Unported via flickr

Hinterlassenschaft der uralten Kultur der Chamorro, Latte Stone Park, Hagatna, Guam, 7. Juni 2006
Foto: Hajime Nakano, freigegeben als CC-BY-2.0 Unported via flick

Die Einwohner Pagans, die ihre Insel vorübergehend verlassen haben und verhindern wollen, daß sie für alle Zeiten unbewohnbar gemacht wird, sind demnach mit ihnen gegenüber weit überlegenen gesellschaftlichen Kräften konfrontiert. Wo es um geostrategische Vorteilserwägungen der Weltmächte geht, wird auf Baumschnecken, seltene Vögel oder das Recht einiger Insulaner auf Rückkehr in ihre Heimat keine Rücksicht genommen.

Am Beispiel Pagan Island wird ein Grundkonflikt deutlich, wie er in unterschiedlichsten Ausprägungen, aber stets in der gleichen Konstellation immer wieder vorkommt: Ob nun Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Haus und Hof aufgeben müssen, weil ein Energiekonzern Profit mit der Braunkohle unter ihren Füßen machen will, ob sie in Äthiopien einem Staudammprojekt weichen müssen oder ob Uncle Sam ein Auge auf ihre strategisch günstig gelegene Heimat inmitten des Pazifiks geworfen hat. In all diesen Fällen zeigt sich, daß Eigentum lediglich ein Lehen ist, das jedem jederzeit wieder genommen werden kann, sobald höhere Interessen ihre Ansprüche geltend machen. Und "höher" sind sie nur deshalb, weil für ihre Durchsetzung die schlagkräftigeren Gewaltmittel, zu denen das Recht ebenso gehört wie das Militär, eingesetzt werden können.

Atomexplosion, aufgenommen von der Nachbarinsel aus, mit riesiger, ringförmiger Wolkenbildung - Foto: United States Department of Defense, überarbeitet von Victorrocha, Wikimedia Commons

Frühere Drohgebärde insbesondere in Richtung des ideologischen Feinds Sowjetunion auf Kosten von Pazifikbewohnern: 'Baker'-Explosion, Operation Crossroads. Kernwaffentest der USA auf dem Bikini-Atoll, Mikronesien, 25. Juli 1946
Foto: United States Department of Defense, überarbeitet von Victorrocha, Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://www.cnmijointmilitarytrainingeis.com

[2] http://savepaganisland.org/

[3] http://www.cnmijointmilitarytrainingeis.com./system/assets/7/original/navy__2013__noi_for_cjmt_eis_oeis.pdf?1363282632

[4] http://ens-newswire.com/2013/08/19/u-s-marines-plan-to-destroy-another-island/

[5] http://www.chamorro.com/


26. August 2013