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LAIRE/258: Renaissance der CO2-Einlagerung (SB)


Norwegen steigt wieder in CCS-Technologie ein

Umweltgruppen klatschen Beifall


Aus Klimaschutzgründen will Norwegen die CO2-Emissionen von drei Industrieanlagen abfangen, verflüssigen und unter dem Nordseeboden speichern. Das Verfahren nennt sich CCS - Carbon Capture and Storage. Sollte das Land seine Pläne umsetzen, könnten sie der Türöffner für weitere Anwendungen im In- und Ausland werden und den notwendigen, unverzüglichen Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft hinauszögern.

Die CCS-Technologie ist ihrerseits energieaufwendig, auch wenn es in der Hinsicht in den letzten Jahren Neuerungen gegeben hat. Aber es kostet noch immer reichlich Energie, die Folgen des Energieverbrauchs - jene CO2-Emissionen - zu bändigen. Deshalb würde der Gesamtenergieverbrauch einer Wirtschaft mit der Verbreitung von CCS nicht sinken, sondern steigen. Die Produktion von noch mehr Energie ist natürlich ein lukratives Geschäft.

PR-mäßig sind die Pläne der norwegischen Regierung, die CO2-Emissionen von drei Industrieanlagen abzufangen, geschickter als frühere Vorhaben. Vor einigen Jahren war noch ein Verfahren vorbereitet worden, bei dem das klimawirksame Treibhausgas aus einem Gaskraftwerk abgefangen werden sollte. Kraftwerke symbolisieren das fossile Zeitalter, das es zurückzulassen gilt, ob sie mit Erdgas oder Kohle betrieben werden. Doch CO2 aus einer Müllverbrennungsanlage, einer Zementfabrik und einer Anlage zur Herstellung von Ammoniak zu entfernen, wie es nunmehr geplant ist, läßt sogar den Widerstand von Umweltorganisationen wie Greenpeace und Bellona schwinden. Erste Einlagerungen in ausgeschöpfte Erdöllagerstätten im Nordseeboden könnten in vier bis sechs Jahren erfolgen. [1]

Die CCS-Technologie wird auf jeden Fall eine Renaissance erleben. Prof. Dr. Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel sagte am Rande eines Briefings im Auswärtigen Amt, daß inzwischen sämtliche Klimastudien besagen, daß ohne CCS das Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen sein wird. [2]

Beim Klimaschutzabkommen von Paris wurde jedoch das Ziel "deutlich unter 2 Grad" ausgegeben und von den flachen Inselstaaten und Staaten mit flachen Küsten wird sogar gefordert, die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigen zu lassen. Dieses Ziel gilt noch viel weniger erreichbar, würde nicht 2050, am besten noch deutlich früher angefangen, der Atmosphäre Kohlenstoff zu entziehen. "Negative Emissionen" lautet hierzu das Stichwort, mit dem der Klimawandel gedämpft und die Wirtschaft angekurbelt werden soll.

Die von Norwegen geplanten Maßnahmen könnten die Blaupause für Technologien zu negativen Emissionen liefern, auch wenn es bei den drei Anwendungen zunächst einmal nur darum geht, die Atmosphäre mit weniger CO2-Emissionen zu befrachten. Von da aus wäre aber der Schritt nicht mehr weit, um beispielsweise Plantagen mit schnell wachsenden Bäumen aufzuforsten, Energie aus der Verfeuerung dieser Biomasse zu gewinnen und die CO2-Emissionen abzufangen und zu lagern. Das ist ein häufig genanntes Konzept, wenn über negative Emissionen berichtet wird.

Was sich womöglich auf den ersten Blick ganz vernünftig anhört, hat einen Haken, der tief ins Fleisch schneidet: Die zur Verfügung stehende globale Agrarfläche ist begrenzt. Schon heute besteht eine eklatante Landnutzungskonkurrenz zwischen der Produktion von Nahrung, Futtermitteln und Biosprit. Auch die Herstellung von Pflanzen für die industrielle Produktion (Biomaterialien) nimmt einen zwar noch geringen, aber wachsenden Anteil an der verfügbaren Agrarfläche ein. Und jetzt tritt mit der Produktion von Biomasse aus Klimaschutzgründen ein weiterer Konkurrent auf.

Bereits in der Vergangenheit wurde es nicht geschafft, alle Menschen ausreichend mit Nahrung zu versorgen. Gegenwärtig hungern nach UN-Angaben knapp 800 Millionen Menschen, und es dürften mehr werden, denn die Weltbevölkerung wächst.

Die norwegischen CCS-Pläne sind nicht für den Hunger in der Welt verantwortlich, aber durch sie wird eine Technologie am Leben erhalten, die einen erheblichen Teil der Produktivität auf sich zieht. Es werden Kräfte gebunden, die theoretisch durchaus eingesetzt werden könnten, um die Nahrungsnot in der Welt zu beseitigen. Das wäre wohl kaum ohne eine radikale Veränderung der Produktionsverhältnisse und damit der Prioritätensetzung von Politik und Wirtschaft zu schaffen - aber wer wollte ausschließen, daß nicht genau das erforderlich ist, um die vielleicht nur geringe Chance zu bewahren, den Folgen des Klimawandels wirksam entgegentreten zu können?


Fußnoten:

[1] http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/22092-norwegen-versucht-einen-neuen-anlauf

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0251.html

17. Oktober 2016


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