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LAIRE/310: Greta Thunberg - Ende der Fahnenstange ... (SB)



"Sie sagen, daß Sie uns hören und daß Sie die Dringlichkeit verstehen. Aber egal wie traurig und wütend ich bin, ich will das nicht glauben. Denn wenn Sie die Situation vollständig verstanden und immer noch nicht gehandelt hätten, dann wären Sie böse. Und ich weigere mich, das zu glauben."
(Greta Thunberg am 23. September 2019 auf dem UN-Klimagipfel in New York vor über 60 Staats- und Regierungschefs [1])

Die jugendliche Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden hat binnen eines Jahres mit nahezu allen politischen Entscheidungsträgern sowie vor den höchsten politischen Gremien, die den Kurs der globalen Klimapolitik bestimmen, gesprochen. Eine weitere Steigerung dieses Gipfelsturms ist kaum mehr möglich. Thunbergs Vorstellung, auf dem Adressenweg den notwendigen Klimaschutz zu erreichen, wurde von ihr weitgehend ausgeschöpft. Es gibt faktisch keine höhere und einflußreichere Einrichtung als den UN-Klimagipfel am 23. September 2019 in New York, zu dem zahlreiche Staats- und Regierungschefs zusammengekommen waren, um über die zukünftige Klimapolitik zu konferieren.

Was folgt als nächstes, sollte sich bei ihr und anderen der Bewegung Fridays for Future, die vom Schulstreik der schwedischen Aktivistin ausgelöst worden war, die Einsicht breitmachen, daß die Adressaten ihres Appells genau das sind, was sich Thunberg weigert zu glauben, nämlich "böse"? Böse in dem Sinne, daß sie von solchen und weiteren Anwürfen der Klimaschutzbewegung vollkommen unberührt bleiben.

Haben sich Könige und Fürsten jemals an Moral, Recht oder sonstige Verhaltensnormen gehalten, die sie anderen unter Strafandrohung abverlangten? Zeichnet sich Herrschaft nicht von alters her dadurch aus, unempfänglich für Wut und Zorn der Untertanen zu sein? Wäre es nicht so und der Mensch nicht des Menschen Feind, würde dann noch irgend jemand die "Gemeinsamkeit" der Menschheit beschwören müssen, wie es jüngst in den Reden auf dem Klimagipfel exzessiv in Anspruch genommen wurde?

Kürzlich antwortete die Sprecherin von Fridays for Future in Hamburg, Nele Brebeck, auf die Frage des Schattenblick, wieviel Geduld die Bewegung noch habe, sollten die Regierungen nicht die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen beschließen, daß sie schon jetzt eine gewisse Radikalisierung feststelle. [2]

Ist diese Radikalisierung Ausdruck der Absicht, eine Öko-Diktatur zu errichten, wie von rechten Kräften der Bewegung Fridays for Future gerne unterstellt wird? Wer diese Einschätzung teilt, sollte sich konsequenterweise fragen, ob nicht die fossile Energiewirtschaft des auf Wachstum und Verbrauch geeichten Wirtschaftssystems schon längst anderen Menschen ein Leben diktiert, das sie sich nicht ausgesucht haben. Denn wenn Menschen auf pazifischen Inselstaaten wie Tuvalu und Kiribati anfangen, ihre vom ansteigenden Meer bedrohte Heimat zu verlassen und sogar von Staats wegen Landfläche auf anderen Inseln der Region gekauft wird, oder wenn Menschen in der Sahelzone, Zentralaustralien, Indien, Mittelamerika und anderen Weltregionen ihre Heimat verlassen, weil Dürre die Überlebensvoraussetzungen und Lebensperspektiven vernichtet hat, dann wäre diese Fluchtbewegung treffend damit zu beschreiben, daß sie eine Folge der Diktatur der fossilen Energiewirtschaft ist. In diesem Sinne herrscht zur Zeit eine Öko-Diktatur, nämlich die Diktatur der Ökonomie.

Ob die Vorschläge und Forderungen von Fridays for Future, sollten sie jemals umgesetzt werden, auf eine ökologisch orientierte, ähnlich repressive Staatsform hinauslaufen, ist eine offene Frage. Nicht offen ist hingegen die Frage, welche verheerenden Folgen die fossile Energiewirtschaft zeitigt. Denn der von Menschen forcierte Klimawandel hat längst begonnen.

Klima ist der Inbegriff von Wandel. Erdgeschichtlich haben sich auch ohne menschliches Zutun Kalt- und Warmzeiten abgewechselt, abhängig von Faktoren wie Sonnenaktivität und Erddrehung. Doch seit Beginn der Industrialisierung verändern die myriadenfachen Feuer des Menschen die Zusammensetzung der Erdatmosphäre, die Wärmerückstrahlung des Planeten und einiges mehr auf zwar geringe, aber entscheidende Weise. Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge verhindern anthropogene Treibhausgase das Eintreten der zu erwartenden nächsten Kaltzeit. Das ist nicht wünschenswert, denn bis dahin könnte die Erde in eine Heißzeit eintreten, in der Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen und eine noch unbekannte Zahl von Tieren und Pflanzen nicht überleben werden. Darauf machen Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Free the Soil und viele weitere Gruppen und Menschen weltweit aufmerksam.

Wenn sich zum jetzigen Zeitpunkt, nachdem jahrzehntelang von den Regierungen keine entschiedenen Gegenmaßnahmen zur menschengemachten Beschleunigung der Erderwärmung ergriffen worden sind, Bedingungen Bahn brechen, die nur noch mit radikalen Maßnahmen bewältigt werden können, dann liegt die Verantwortung nicht bei denen, die den Zug im Zweifelsfall mit der Notbremse zum Stehen bringen wollen, sondern bei denen, die unverdrossen Kohle in den Ofen schaufeln und das eiserne Gefährt unter Volldampf auf den Abgrund zurasen lassen.


Fußnoten:

[1] Übersetzt nach:
https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/sep/23/world-leaders-generation-climate-breakdown-greta-thunberg

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0295.html

26. September 2019


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