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LAIRE/315: Klimaüberlebenskampf - verdampfte Ethik und Moral ... (SB)



Anläßlich das Plans der australischen Behörden, vom heutigen Mittwoch an fünf Tage lang vom Hubschrauber aus mehr als 10.000 wild lebende Kamele zu erschießen, stellen sich Fragen.

Die Tiere haben Durst und dringen auf der Suche nach Wasser in die Siedlungen ein. Dort versuchen sie, beispielsweise an die Wasserspeicher von Klimaanlagen heranzukommen, und richten dabei Medienberichten zufolge Schäden an. Auch Zäune halten sie nicht davon ab, auf die Grundstücke vorzudringen, um von dem lebensrettenden Naß, das sie bekanntlich aus vielen Kilometern Entfernung wittern können, zu saufen.

Weder können die Kamele etwas dafür, daß sich in diesem Jahr in Australien eine Hitzewelle an die andere reiht und in mehreren Bundesstaaten riesige Buschbrände toben, noch daß sie überhaupt in dieser Umgebung leben. Die Kamele waren um 1840 herum in Australien eingeführt worden, und wie so häufig in der Geschichte der menschlichen "Eroberung" des fünften Kontinents nahm auch diese menschengemachte Tierinvasion einen katastrophalen Verlauf. Die Kamele vermehrten sich ungebremst, so daß ihre Population heute vermutlich weit über 1,2 Millionen Exemplare zählt. Die meisten von ihnen leben in Zentralaustralien, wo sie vergleichsweise wenig Kontakt zur menschlichen Zivilisation haben. Aber sprichwörtlich "natürlich" suchen sie dort wie auch in der Peripherie die Wasserstellen der Aborigines auf und machen ihnen das kostbare Naß streitig. Die Herden von Kamelen sind in dieser Hinsicht zweifellos eine relevante Verbrauchsgröße, insbesondere in Dürre- und Hitzeperioden, wie sie zur Zeit in Downunder herrschen.

In den Jahren 2009 und 2013 hatten staatliche Stellen bereits Massentötungen von Kamelen vorgenommen und schätzungsweise 160.000 Tiere vom Hubschrauber und vom Boden aus erschossen. Auch mit den damaligen Aktionen sollten die von Menschen für sich beanspruchten Naturressourcen, nicht zuletzt das Weideland, vor "Mißbrauch" geschützt werden.

Um Wasser, Boden und andere Überlebensvoraussetzungen geht es in einem ganz anderen Konflikt, der nicht nur Australien betrifft, sondern weltweit ausgetragen wird, nämlich zwischen Menschen und Menschen. Australien betreibt eine rigide Einwanderungspolitik, noch strenger als die Europäische Union. Aber auch sie baut ihr Grenzregime immer weiter aus und sichert dadurch ein Wohlstandsgefälle, das in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu offensichtlichen Konfliktgebieten wie Syrien, Libyen oder Afghanistan, sondern allgemein zu vielen Ländern des Globalen Südens gewachsen ist.

Sobald sich klimawandelbedingt die allgemeine Mangellage weiter zuspitzt und zig Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, werden voraussichtlich nicht "nur" Kamele, nachdem sie zuvor als Plage klassifiziert wurden, abgeschossen, sondern auch Artgenossen. Daß an der deutschen Grenze unter Umständen von Schußwaffen Gebrauch zu machen sei, um Flüchtlinge vom "illegalen" Grenzübertritt abzuhalten, wurde aus Kreisen zumindest einer der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bereits mehrfach betont. Daß die Empörung der anderen Parteien und der Medien ob dieser blutigen "Germany first!"-Politik so sehr aufgewallt ist, hat wohl damit zu tun, daß von ihnen bis heute niemand so genau wissen will, wie die von Deutschland und der EU finanzierte libysche Küstenwache ihr Handwerk verrichtet. Manche, die davon vielleicht hätten berichten können, können eben dies nicht mehr ...

Die Massenvernichtung von wild lebenden Tieren und die Sicherung von Eigentum gegenüber anderen Menschen gründen im gleichen Interesse. Sollte sich der Klimawandel so schnell und vehement vollziehen, wie es wissenschaftliche Projektionen nahelegen, werden noch in diesem Jahrzehnt die gesellschaftlichen Widersprüche selbst innerhalb des relativ wohlhabenden Deutschlands sehr viel krasser zutage treten als heute. Parallel zum Ausbau der Grenzbestigungen der EU nach außen muß auch nach innen mit wachsender Repression gerechnet werden.

Der Mensch hat es nie gelernt, anders mit den ihn bedingenden vernichtenden Gewalten, die er als Natur bezeichnet und erleidet, umzugehen. als sie zu verinnerlichen, sich zu eigen zu machen und, seiner stoffwechselgetriebenen Überlebensratio folgend, gegen seine Um- und Mitwelt in Stellung zu bringen. Das Töten von 10.000 Kamelen, die den Menschen das Wasser wegsaufen, hinterläßt gemessen am "normalen" Blutfluß aus der Verstoffwechslung von tierischen Wesen keinen besonderen Eindruck, als Sinnbild zeigt der Vorgang jedoch den unerbittlichen Klimaüberlebenskampf, der absehbar noch in dieser Generation ausbrechen wird.

8. Januar 2020


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