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STANDPUNKT/046: Leonardo Boff - "Diesmal rettet uns keine Arche" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Dezember 2010

Umwelt: "Diesmal rettet uns keine Arche" - Leonardo Boff kritisiert Wachstumsideologie

Von Daniela Pastrana


Mexiko-Stadt, 29. Dezember (IPS) - Der katholische Theologe und Philosophieprofessor Leonard Boff ist überzeugt: Nicht CO2-Emissionsrechte, die Umweltverschmutzer belohnen, sondern ein neues, ethisch begründetes Verständnis für die Natur bietet den Ausweg aus dem Teufelskreis von Wachstumsideologie und Umweltzerstörung.

"Entweder wir retten uns oder wir gehen zu Grunde. Eine Arche wird es diesmal nicht geben", warnte der Brasilianer im IPS-Interview, der 2001 für sein Engagement für Menschenrechte und Umweltschutz mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden war.

Skeptisch, aber nicht ohne Zuversicht beurteilte Boff die Ergebnisse der jüngsten UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún. Er betonte: "Bei aller spürbaren Enttäuschung konnte man sich doch in drei Punkten einigen: Auf die Zusagen, dafür zu sorgen, dass die Erderwärmung um nicht mehr als zwei Grad ansteigt, und den vom Klimawandel am schwersten betroffenen Ländern mit einem 30 Milliarden US-Dollar starken Klimafonds bis 2012 zu helfen. Außerdem soll zum Schutz der Wälder vor Abholzung und anderen Schäden ein weiterer Fonds eingerichtet werden."

Der weltweit angesehene, 72-jährige Aktivist zeigte Verständnis für Bolivien, das sich in Cancún als einziges Land von diesen Zusagen distanziert hatte. "In Bolivien wird die Erde als Gottheit, 'Pacha Mama', verehrt, als Leben spendender Organismus, den man behütet und nicht etwa ausbeutet, indem man durch den Handel mit CO2-Emissionen das Recht auf Umweltverschmutzung erwirbt", erklärte er.

"Für die mächtigen Gesellschaften ist die Erde ein nützliches Produktionsmittel, ein unbegrenzter Schatz von Ressourcen. Weil sie knapp werden, geht man inzwischen zwar nachhaltig mit ihnen um, doch es fehlt der Respekt vor den Lebewesen und deren Recht und Würde", kritisierte Boff. "Davon war weder in Cancún noch auf den vorherigen Klimakonferenzen die Rede."


Mehr Wachstum, mehr zerstörte Natur

Dieser Ansatz zum Umgang mit der Natur sei unverzichtbar, betonte er. Das auf Wachstum fixierte System könne die Klimaprobleme nicht lösen, die es selbst geschaffen habe. "Das System selbst bedroht das Leben. Wenn es in jedem Land jedes Jahr auch nur ein wenig Wachstum gibt, bedeutet das mehr Umweltschäden und ein ansteigende Erderwärmung."

"Dies ist ein Teufelskreis", warnte Boff und entwarf ein Schreckensszenario von der Erde, die in den nächsten Jahren immer unbewohnbarer wird. "Betroffen sind vor allem die Menschen in Afrika und Südostasien. Wenn wir diese Entwicklung nicht anhalten, wird es in fünf, sechs Jahren weltweit bis zu 100 Millionen Klimaflüchtlinge geben, die die Politik vor schwere Probleme stellen."


Lateinamerika bietet große Chancen

Boff setzt große Hoffnungen auf Lateinamerika. In dieser ökologischen Krise könne der Subkontinent mit seinen weltweit größten Regenwäldern und Süßwasserressourcen, seiner unvergleichlichen Artenvielfalt und seinen riesigen Agrarflächen einen besonders positiven Beitrag leisten, stellte er fest. Leider fehle einem großen Teil der Bevölkerung bislang das dazu erforderliche Umweltbewusstsein. Zudem wachse die Gefahr, dass sich Großkonzerne in den riesigen unbewohnten Gebieten breitmachten. "Hier wird Allgemeingut zum individuellen Nutzen enteignet", kritisierte der Theologe.

In Argentinien, Brasilien, Chile und Venezuela begreife man allmählich die Spielregeln dieses neuen Kapitalismus: "Lebensgrundlagen konzentrieren, um die Zukunft des Systems zu sichern." Zwar gebe es finanzielle und technische Möglichkeiten, um gegenzusteuern, doch dazu fehlten der politische Wille und ein Gefühl für Natur und menschliches Leid.

Boff appellierte an die kollektive Pflicht zur Humanität, die von der Marktwirtschaft nicht zu erwarten sei. "Wir suchen nach Balance und Ausgewogenheit. Geld ist dabei nicht das Problem. Jeder oder jede ist gefordert, nach Kräften einen eigenen Beitrag zu leisten", betonte er. (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010