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STANDPUNKT/241: Nachhaltigkeit - Leerformel oder zentrales Leitbild des 21. Jahrhunderts? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Februar 2012

Standpunkt: Nachhaltigkeit - Leerformel oder zentrales Leitbild des 21. Jahrhunderts ?

von Dieter Rink


Nachhaltigkeit wurde auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro als politisches Leitbild für einen umfassenden globalen Wandel konzipiert. In der Lokalen Agenda 21, einem der zentralen Dokumente, wurde ein radikaler Wandel der Verbrauchsgewohnheiten von Industrie, Staat, Handel und Einzelpersonen gefordert, eine Umstellung der gesamten Produktions- und Lebensweise insbesondere in westlichen Ländern. Kern des Gerechtigkeitspostulats von Nachhaltigkeit war die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen (intergenerationell) und die Herstellung gleicher Lebenschancen für die heutige Generation (intragenerationell).

In dieser Allgemeinheit erlangte das Leitbild rasch weite Anerkennung und Verbindlichkeit. In popularisierter Form erfuhr es eine geradezu unglaubliche weltweite Karriere. Es bietet eine über alle politischen Lager und Gruppierungen reichende Orientierung für das politische Handeln und fand Eingang in internationale Programme wie nationale Gesetze. In vielen Bereichen wurden in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche Maßnahmen und Aktivitäten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung entfaltet und durchaus Fortschritte erzielt. Dies ging freilich nicht ohne Probleme ab, denn Nachhaltigkeit ist wesentlich breiter, inkonsistenter und widersprüchlicher als jedes andere politische Leitbild. Das hat zu einem inflationären Gebrauch des Begriffs geführt - und zu einer Beliebigkeit des mit ihm Bezeichneten.

Nachhaltigkeit hat denn auch beinahe für jedes politische Feld herhalten müssen, wenn es galt, Reformen zu legitimieren und umzusetzen. Schon relativ frühzeitig wurde deshalb die Befürchtung geäußert, aus der Nachhaltigkeit werde eine Modeidee, eine ideologisches Schlagwort oder ein eloquenter Schutzschild, mit dem opportunistisch althergebrachtes Politikverhalten verdeckt wird.

Sieht man sich fast 20 Jahre später die avisierten radikalen Ziele an, muss man klar sagen: Sie wurden verfehlt. Klimawandel und Artensterben etwa setzen sich derzeit noch unvermindert fort. Auch in der Produktion und im Konsum kann von einer grundlegenden Umkehr keine Rede sein. Nachdem die Wirksamkeit des Leitbildes Nachhaltigkeit in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt und als Leerformel abgetan wurde, führen gegenwärtig zunehmende Ressourcenknappheit, sich verschärfende globale soziale Problemlagen sowie verheerende Natur- und Umweltkatastrophen zu einer erneuerten Hinwendung: Angesichts der Verfehlung der ursprünglichen Ziele werden erneut radikale Forderungen aufgestellt, die teilweise deutlich über die der Rio-Konferenz hinausgehen. Weltweit ist eine hohe Erwartung zu beobachten, dass der Rio+20-Gipfel 2012 weitreichende und quantifizierbare Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Dafür werden von vielen Akteuren an Nachhaltigkeitsgrenzen orientierte, messbare Energie-, Klima- und Konsumziele formuliert. Gefordert werden u. a. die Anerkennung der Prinzipien nachhaltiger Existenzgrundlagen als Recht aller Menschen oder das Ende der Überausbeutung natürlicher Ressourcen bis 2020. Angesichts der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrisen rückt die Regulierung der Finanzwirtschaft stärker in den Fokus. Hier sind dringender denn je Schritte erforderlich, die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. Die Erwartungen und Forderungen an Rio+20 sind von großem Optimismus erfüllt - im Unterschied zu den frühen 1990er Jahren ist die Welt im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts jedoch nicht von Aufbruch und Hoffnung, sondern von Krisen, Konflikten und Katastrophen geprägt. Diese erhöhen zwar den Handlungsdruck, machen neue Übereinkommen und deren Umsetzung aber offensichtlich noch schwerer, wie wir gerade bei den Klimaverhandlungen in Durban erlebt haben. Hier muss man freilich auch klar sagen, dass Nachhaltigkeit keine einfachen Problemlösungen anbietet, ihre Umsetzung wird allen Akteuren in Zukunft mehr Anstrengungen, Kompromisse und Verzicht abverlangen.

Dennoch gilt: Nachhaltigkeit hat als zentrales Leitbild nichts an Aktualität eingebüßt. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene sind derzeit alternative bzw. konkurrierende Leitbilder in Sicht, die sich umfassend auf die Lösung globaler Problemlagen beziehen und ein ähnliches Integrationspotenzial besitzen. Gerade in der gegenwärtigen Situation ist zu hoffen, dass von Rio+20 ein deutliches Signal für eine Politik der Nachhaltigkeit ausgeht.


Der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Dieter Rink ist stellvertretender Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie und Leiter der Arbeitsgruppe Stadt- und Regionalforschung am UFZ. Seit vielen Jahren befasst er sich mit dem Thema Nachhaltigkeit, unter anderem im Rahmen des Helmholtz-Verbundprojekts "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland", beim Aufbau von kommunalem Nachhaltigkeitsmonitoring oder als Mitglied des Koordinierungskreises der lokalen Agenda Leipzig.

e-mail: dieter.rink[at]ufz.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter Februar 2012, Seite 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2012