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STANDPUNKT/516: Interview mit Jochen Flasbarth über Politik, Lebensstil und Suffizienz (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2013
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Politik und Lebensstil
»Das lässt sich kaum rational diskutieren«

BUND-Redakteur Severin Zillich im Gespräch mit Jochen Flasbarth, Umweltbundesamt



Jochen Flasbarth ist Präsident des Umweltbundesamtes. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Bundesregierung zu beraten und die Öffentlichkeit in Umweltfragen zu informieren. BUND-Redakteur Severin Zillich sprach mit ihm über die Grenzen der Politik, umweltverträgliche Lebensstile und die Bedeutung der Suffizienz.


Herr Flasbarth, Ende September erschien der neue Bericht des Weltklimarats, Sie haben ihn mit vorgestellt. Noch einmal bestätigt er: Der Klimawandel ist schon im Gang - und unleugbar menschengemacht. Umweltminister Altmaier hat wie Sie großen Handlungsbedarf erkannt. Handeln muss wohl zuallererst die Politik?

Der Handlungsbedarf war schon vorher offenkundig. Aber es ist gut, dass die Wissenschaft den Klimawandel noch mal in einem sehr seriösen Prozess bestätigt hat. Gerade in jüngster Zeit wurde dieser Wandel wieder in Zweifel gezogen: Stimmt das eigentlich, oder kommt es vielleicht gar nicht so schlimm? In der Tat ist die Politik nun gefordert zu reagieren. Wir haben ein globales Problem, auf das die Staaten eine Antwort finden müssen. Gefragt ist keine Hexerei. Doch gehört sehr viel mehr Anstrengung dazu, einen weltweiten Konsens zu vereinbaren, als wir derzeit erleben.

Die Bundesregierung gibt auf Klimakonferenzen gerne den Vorreiter. Innenpolitisch setzt sie kaum Akzente.

Deutschland ist durchaus ein Vorreiter. Wir haben eines der ehrgeizigsten Klimaschutzziele unter den Industriestaaten und wollen unseren CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent senken. Dies haben wir nicht abgeschwächt, obwohl wir aus der Atomenergie aussteigen. Doch wir haben noch viele Hausaufgaben zu erledigen.

Vor allem ist es wichtig, dass Deutschland auf europäischer Ebene wieder klare Positionen bezieht. Da hat es zuletzt etwas geholpert. Wir waren nicht in der Lage, die Unstimmigkeiten vor allem zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium zu überwinden, etwa beim Emissionshandel. Ich hoffe sehr, dass Deutschland wieder zur treibenden Reformkraft in Europa wird.

Auch persönlich können wir einiges für den Schutz des Klimas tun. Gibt die Politik dafür genügend Anreize?

Die Politik muss die Spielregeln schon so festsetzen, dass die Kugel »Klimaschutz« den Berg hinunterrollt und nicht mühsam hinaufgeschoben werden muss. Wer sich im persönlichen Bereich um den Klimaschutz kümmert, darf am Ende nicht der Dumme sein. Da müssen die Anreize stimmen.

Was sind denn die wichtigsten Bausteine eines klimaverträglichen Lebensstils?

Dreh- und Angelpunkt ist der Energiesektor. Ganz entscheidend ist, wie man heizt. Mieter haben nur insofern Einfluss, als sie auf Vernunft achten können, also weder bei offenen Fenstern noch übermäßig heizen. Eigentümer haben viel mehr Möglichkeiten und damit mehr Verantwortung. Sie können sich etwa an der Gebäudesanierung beteiligen, die der Staat stark fördert.

Wichtig ist auch, welchen Strom wir beziehen und wie wir ihn einsetzen. Von effizienten Lampen und Kühlschränken bis zu unseren Nutzungsgewohnheiten können wir im täglichen Leben vieles tun, um Strom zu sparen. Und wir können mit der Wahl des Stromanbieters Signale in den Markt senden - je nachdem, ob ich noch bei einem Versorger bin, der viel Kohle im Energiemix hat, oder ob ich mich bewusst für einen entscheide, der ausschließlich Ökostrom anbietet.

Gebäudesanierung und Energieeffizienz sind wenig umstritten. Wie sieht es mit dem Verkehr aus?

Hier wird es schwierig. Wenn es ums Auto geht, lässt sich in Deutschland immer noch kaum rational diskutieren. Natürlich gibt es da viele Möglichkeiten, angefangen bei Tempolimits, die Sprit und damit CO2 einsparen würden. Wer vorschlägt, allgemeine Tempolimits auf Autobahnen einzuführen, erntet regelmäßig einen Sturm der Entrüstung. Ferner die Frage: Welches Auto fährt man? Braucht man überhaupt ein eigenes, oder teilt man sich eines mit anderen? Gerade bei jungen Leuten büßt das Auto seit einigen Jahren erstmals an Ausstrahlung ein. Schließlich: Wann benutze ich welches Verkehrsmittel? Der Umweltverbund aus Bahn, öffentlichem Nahverkehr, Fahrrad und Fußverkehr ist meistens eine gute Alternative zum Auto.

Im BUND hat man den Glauben noch nicht verloren, dass solche Fragen rational zu klären sind.

Das erwarte ich von einem Umweltverband auch. Und der Staat ist ebenfalls gefordert: Der Rahmen muss stimmen und die Infrastruktur auf Umweltverträglichkeit ausgerichtet sein. Der Staat sollte aufklären und informieren, welches Verhalten wie auf die Umwelt wirkt. Doch gerade mit Blick auf das Freizeit-, Reise- oder auch Ernährungsverhalten sollten staatliche Institutionen nicht zu sehr mit dem moralischen Zeigefinger winken. Meine Erfahrung ist: Die Bereitschaft zu solchen Debatten ist viel größer, wenn gesellschaftliche Akteure sie führen und nicht der Staat. Der Vorschlag eines »Veggie Days« hat ja erst unlängst gezeigt, welch ein irrationales Skandalisierungspotenzial das birgt. Natürlich gibt es einen Zusammenhang von Fleischkonsum und Klimaschutz. Aber in solchen Bereichen reagieren manche Leute sehr allergisch, wenn der Staat nur in den Verdacht der Regulierung gerät.

Verstehen Sie mich richtig: Wir müssen Fragen des Lebensstils thematisieren. Das Umweltbundesamt tut das immer wieder und weist auf die Fakten hin. Aber sobald es um Verhaltensänderungen geht, wünsche ich mir, dass Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, die Kirchen oder etwa Sportverbände noch aktiver die Debatte anführen.

Gelebter Klimaschutz kommt auch der Natur zugute. Was gilt es darüber hinaus zu beachten, wenn uns speziell der Naturschutz am Herzen liegt?

Da sind wir schnell wieder beim Thema Ernährung. Die nicht-nachhaltige Landwirtschaft gehört zu den größten Treibern von Naturverlust. In Deutschland ist die hohe Stickstoffzufuhr aus der konventionellen Landwirtschaft eines der größten Probleme für artenreiche Lebensräume, die von Natur aus nährstoffarm sind. Mit unserem Einkaufskorb können wir hier viel Einfluss nehmen.

Zurück zur Politik: Ist nicht auch sie verpflichtet, Lebensstile zu fördern, die weniger Ressourcen verschlingen?

Zu häufig werden in dieser Debatte technische Möglichkeiten und Lebensstilfragen gegeneinandergestellt. Also: Was ist der richtige Weg in die Nachhaltigkeit: Effizienz oder Suffizienz? Ich bin davon überzeugt, dass wir beides brauchen. Natürlich müssen wir uns um eine möglichst effiziente Energie- und Ressourcennutzung kümmern. Wir müssen jede Chance nutzen, unseren Wohlstand mit einem möglichst geringen Ressourceneinsatz zu verknüpfen. Die von der Politik gesetzten Spielregeln des wirtschaftlichen Handelns sind dabei von ganz entscheidender Bedeutung.

Ich habe aber Zweifel, dass das am Ende reichen wird für unsere Ziele im Klima- und Ressourcenschutz. Und da sind wir dann bei Fragen des Lebensstils. Doch in der gesellschaftlichen Debatte um eine Kultur des »Weniger ist mehr« brauchen wir noch viel, viel Geduld. Eine Enquetekommission des Bundestags hat sich mit der Frage beschäftigt, ob wir nicht einen ganz anderen Wachstumsbegriff benötigen, der mehr die Qualität als die Quantität ins Zentrum stellt. Dass sie zu keinem gemeinsamen Ergebnis gekommen ist, halte ich für eine sehr ehrliche Bestandsaufnahme. Darüber gibt es in unserer Gesellschaft noch keinen Konsens. Die Vorstellung, auf etwas verzichten zu müssen, wenn man weniger konsumiert, ist noch sehr weit verbreitet. Der Staat kann das nicht mit der Brechstange ändern, sonst würde er vor allem Abwehrreflexe auslösen.

Man muss über Suffizienz beherzt und beharrlich diskutierten. Aber das wird nicht gleich morgen zum Ergebnis führen.

Ihre Behörde berät die Bundesregierung dabei, umweltpolitische Notwendigkeiten in Politik umzusetzen. Spielt Suffizienz in der Arbeit des UBA eine Rolle?

Wir haben natürlich auch Plattformen, wo wir das diskutieren. Und wir weisen im Rahmen unserer Verbraucherinformation immer wieder darauf hin. Vor allem langfristig wird uns das Thema stärker beschäftigen. Denn mit einem einfachen »Weiter so« werden wir unsere ambitionierten - und ich finde: notwendigen - Umweltziele nicht erreichen.

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Quelle:
BUNDmagazin 4/2013, Seite 18 - 19
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2013