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STANDPUNKT/521: E. U. von Weizsäcker - "Die Barrieren liegen in der Politik und in den Märkten" (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Dezember 2013

"Die Barrieren liegen in der Politik und in den Märkten."

Interview von Doris Wolst mit Ernst Ulrich von Weizsäcker



So gehe es nicht weiter. Der Markt alleine könne es nicht schaffen. Der Zweifel wächst und hat eine neue Diskussion über den Sinn von Wachstum und Wohlstand ausgelöst. Welche Richtung nimmt denn nun der Fortschritt?

Nach einer relativ vernünftigen Zukunftsplanung gab es in den letzten dreißig Jahren einen gigantischen Siegeszug der Marktgläubigen, bei denen das Jetzt über das Morgen regiert. An das Morgen wird überhaupt nicht gedacht. Die Markgläubigen kämpfen gegen jeden Eingriff des Staates und der öffentlichen Hand, gegen das Durchsetzen öffentlicher Belange, gegen Langfristigkeiten. Das hat sich inzwischen auch in fast allen Ökonomielehrstühlen der Welt durchgesetzt. Doch die Klimasituation und die Erkenntnis, dass Kernenergie als großflächige Lösung ausfällt, zwingen uns, über neue Leitplanken für den Markt nachzudenken. Der Fortschritt soll damit nicht erschwert werden, sondern er soll eine glaubwürdige Richtung nehmen. Mein Kandidat für die neue Fortschrittsrichtung ist die strategische Erhöhung der Ressourcenproduktivität.

Können Sie das näher erklären?

Rein technisch gesehen ist eine Verfünffachung der Ressourcenproduktivität machbar - sei es beim Verkehr, in der Industrie, der Landwirtschaft oder beim Gebäudebau. Es liegt nicht an technischen Barrieren, wenn wir das nicht schaffen. Die Barrieren liegen in der Politik und in Märkten, die die Verschwendung begünstigen. Ich habe sechs Jahre in den USA gelebt und weiß, wie unglaublich festgefügt diese Ideologie - bis auf wenige Ausnahmen - gerade dort ist. Jesse Helms (1921-2008), einer der reaktionärsten Politiker im Amerikanischen Senat, hat Global Governance gleichgesetzt mit Kommunismus. Die Teaparties und viele Millionen von Amerikanern glauben das immer noch, denn es fehlt an Aufklärung! Es ist also nicht verwunderlich, dass in vielen Ländern der Welt ein wesentlicher Teil der staatlichen Politik darin besteht, Energie und andere Ressourcen so billig wie möglich zu halten. Es fehlt an Beispielen und Erfahrungen mit der machbaren Effizienzsteigerung. Deshalb glaube ich, dass nicht die Länder mit hohem Energieverbrauch neue Technologietrends setzen werden, sondern Länder in Europa und Asien, die schon immer mit Knappheiten, Rohstoffabhängigkeiten und höheren Ressourcenpreisen umgehen mussten.

Sie sind überzeugt, dass Deutschland mit der Energiewende das Richtige tut. Sie plädieren dafür, Energie teurer zu machen. Wie erklären Sie das den Bürgern?

Wir brauchen eine Methode der Verteuerung, die den berechtigten Besorgnissen - besonders der ärmeren Bevölkerungsschichten - Rechnung trägt. Das heißt, wir brauchen einen verlässlichen politischen Rahmen, bei dem Produzenten, Händler und Konsumenten, die die Lebensgrundlagen ihrer Enkel nachweislich im Blick haben, einen Vorteil haben, und diejenigen, die den Jetzt-Egoismus (Geiz ist geil) vorziehen, einen Nachteil. Im Kern geht es um ein sozial und wirtschaftlich verträgliches langfristiges Preissignal. Man könnte Preise für Energie und andere relevante Rohstoffe in dem Maße teurer machen, wie sich die entsprechende Rohstoffproduktivität im Vorjahr verbessert hat. Gleichzeitig sind sozialpolitische Kompromisse notwendig, etwa ein langsameres Preistempo für ärmere Bevölkerungsschichten oder für althergebrachte traditionelle Unternehmen. Ein solcher sanfter Preispfad wäre mit großen Gewinnen verbunden, weil die knappen Faktoren Energie und Natur produktiver würden.

Welche Aufgabe hat die Wissenschaft bei der ökologischen und ökonomischen Wende?

Die Verfünffachung unserer Ressourcenproduktivität ist nicht primär eine wissenschaftliche Aufgabe. Ich sehe diese primär bei der Ökonomie. Denn wissenschaftlich ist es längst erwiesen, dass man Plusenergiehäuser und Elektroautos bauen und Verkehrssysteme mit geringem Energieverbrauch etablieren kann. Dass Landwirtschaft mit einem Fünftel des Wassers funktioniert. Es wird aber nicht gemacht, weil der Markt von einer gnadenlosen Konkurrenz um optimierte kurzfristige Kosten-Nutzen-Relationen beherrscht wird. Mein Ziel ist sehr trivial: Den Nutzen für Europa und die Welt verbessern - zulasten derer, die mit extrem hohen Kosten-Nutzen-Relationen das Falsche machen. Und einiges passiert ja bereits: In Deutschland, aber auch in Spanien oder Irland ist der Trend zu erneuerbaren Energien ungebrochen. Der Öko-Trend bei den Nahrungsmitteln wächst. Immer mehr Unternehmen verpflichten sich der Corporate Social Responsibility (CSR). Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft sehe ich bei der Aufklärung. Leider ist unser ebenfalls sehr auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtetes Wissenschaftssystem dafür nicht geeignet. Was wir brauchen, sind nicht noch mehr Spezialistentum, Methodenverherrlichung oder Peer Review Veröffentlichungen. Wir brauchen Transdisziplinarität, weil unsere realen Probleme nun einmal nicht disziplinär sind.


Der vielfach ausgezeichnete Naturwissenschaftler und Politiker Prof. Dr. Dr. hc. Ernst Ulrich von Weizsäcker war von 1991 bis 2000 Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt und Energie. Seit 2012 ist er Co-Präsident des Club of Rome, Co-Chair des UNEP International Resource Panel und Ehrenratsmitglied des World Future Council. 2010 veröffentlichte er mit einem Autorenteam das Buch "Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum".

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Quelle:
UFZ-Newsletter Dezember 2013, Seite 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2014