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STANDPUNKT/1070: Schräge Warnungen vor einem Ausstieg aus der Urananreicherung (Strahlentelex)


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Nr. 764-765 / 32. Jahrgang, 1. November 2018 - ISSN 0931-4288

Atomwirtschaft / Atompolitik
Schräge Warnungen vor einem Ausstieg aus der Urananreicherung

von Thomas Dersee


Die Stilllegung der Urananreicherungsanlage in Gronau (NRW) und der Brennelementefabrik in Lingen (Niedersachsen) ist rechtlich möglich. In dieser Kernaussage waren sich die meisten Juristen einig, die am 17. Oktober 2018 als Sachverständige an einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Berlin teilgenommen haben. "Jetzt muss weiterhin Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die nötigen politischen Mehrheiten für die Stilllegung der beiden Uranfabriken zu bekommen. Und natürlich wird es weiterhin Demonstrationen und andere Protestaktionen geben - bis die Anlagen außer Betrieb sind und nicht länger mit angereichertem Uran und Brennelementen den Betrieb von Atomkraftwerken in Belgien, in der Schweiz und anderswo gewährleisten können", so der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in einer ersten Stellungnahme nach der Anhörung.

Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion, Urananreicherung und Brennelementeherstellung in Deutschland zu beenden, war von den Juristen sehr unterschiedlich bewertet worden. Ein Teil der Juristen warf in der Anhörung die Frage auf, ob mit dem geforderten Ausstieg Verfassungs-, Völker- oder EU-Recht gebrochen werden würde.

Beide Fraktionen haben einen entsprechenden Gesetzentwurf [1] bzw. einen Antrag [2] vorgelegt. Darin fordern sie, die Betriebserlaubnis für Anlagen der Urananreicherung und Brennelementeherstellung zu beenden und diese stillzulegen. Die Abgeordneten argumentieren, diese Maßnahmen seien im Zuge des deutschen Atomausstiegs nötig.

Der Rechtsanwalt Stefan Wiesendahl betonte in seiner Stellungnahme vor dem Bundestagsausschuss, die Beendigung der Urananreicherung und die Brennelementeherstellung ließen sich nur "sehr bedingt" mit dem Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie vergleichen, da sie bereits in der Risikobewertung "grundlegend unterschiedlich" seien. Ein Ausstieg würde sowohl gegen Eigentumsrechte wie die Berufsfreiheit verstoßen. Zudem gebe es dagegen erhebliche europarechtliche Bedenken, weil ein Ausstieg sich auf die Warenverkehrsfreiheit auswirken würde. Das Haftungsrisiko sei "signifikant hoch".

Rechtsanwalt Herbert Pösser sagte, eine einseitige Lösung Deutschlands aus den entsprechenden Verträgen sei erst im Jahr 2042 möglich. Zudem gebe es nach dem Vertrag von Cardiff, bei dem ein Rücktritt Deutschlands erst 2016 möglich wäre, die Pflicht, Bau und Betrieb von Urananreicherungsanlagen zu fördern und nicht zu beeinträchtigen. Bei einem Ausstieg drehten erhebliche Schadenersatzansprüche.

Zu einer gänzlich anderen Bewertung kam die Rechtsanwältin Dörte Fouquet. Sie sehe keine grundlegenden verfassungsrechtlichen oder europarechtlichen Bedenken, die gegen den geforderten Ausstieg sprächen. Vielmehr müsse "die Kette geschlossen" und die Verbreitung von Kernbrennstoffen auf dem Boden der Bundesrepublik eingestellt werden. Es sei das souveräne Recht eines jeden Staates, seine Energiequellen selbst auszuwählen.

Auch der Jurist Professor Wolfgang Ewer sagte, die Forderungen wären verfassungs- und unionsrechtskonform. Dafür bedürfe es eines "legitimen Ziels", das nicht davon abhängig sei, ob es neue Erkenntnisse zum Risiko der Urananreicherung und Brennelementeherstellung gebe. Dies sei auch bei unveränderter Risikolage möglich. Je nach der gegebenen Frist für die Beendigung der Techniken könnten Entschädigungszahlungen nötig sein.

Zu dem Schluss, der geforderte Ausstieg sei verfassungskonform, kommt auch der Jurist Ulrich Wollenteit. Wie man eine Ausstiegsgesetzgebung entsprechend gestalte, habe das Bundesverfassungsgericht spätestens mit seiner Entscheidung aus dem Dezember 2016 erklärt. Es habe dem Gesetzgeber einen "weiten Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum" eingeräumt. Die Entscheidung, auf eine Hochrisikotechnologie zu verzichten, sei ein legitimer Grund. Mit einer Ausstiegsfrist von ein bis drei Jahren könnten auch Entschädigungszahlungen vermieden werden.

Für Professor Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer ist klar, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie von einer politischen Entscheidung des Gesetzgebers abhängig ist. Zwar müsse der Vertrauensschutz berücksichtigt werden, aber seit den 1970er Jahren gebe es den durchgehenden Tenor des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Umgang mit der Kernenergie vom Parlament abhängig sei. Zudem seien völkerrechtliche Verträge durch den Gesetzgeber kündbar.

Der ehemalige Botschafter und Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei dem Büro der Vereinten Nationen und bei anderen internationalen Organisationen in Wien, Friedrich Däuble, wies darauf hin, es sei von erheblicher sicherheitspolitischer Bedeutung, dass Deutschland weiterhin eine "substantielle Mitsprache" in den Gremien habe, in denen Atomverträge - etwa mit dem Iran - verhandelt würden. Dabei gehe es auch um die Festlegung internationaler Sicherheitsstandards für Atomanlagen. Wer dabei nicht Mitglied des Gouverneursrates sei, dem höre "kein Mensch zu".

Holger Bröskamp, ehemaliger Geschäftsführer der GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH, wies darauf hin, dass Anlagen zur Urananreicherung "nicht vergleichbar" mit Kernkraftwerken seien, wenn es um das potentielle Risiko gehe. Hier würden weder Kernspaltung noch Kettenreaktionen stattfinden, und es entstünden auch keine Spaltprodukte oder Nachzerfallswärme.

Jan-Christian Lewitz, Physiker bei der Lewitz LTZ Consulting GmbH, betonte, die in Rede stehenden Anlagen seien in Sachen Risiko "relativ unbedeutend" und nicht vergleichbar mit Atomkraftwerken. Es herrsche in der Bundesrepublik beim Umgang mit Stoffen eigentlich das Prinzip "Wiederverwendung vor Verwertung vor Entsorgung". Nur radioaktive Stoffe würden anders behandelt und es müsse Endlager geben, in denen sie eine Million Jahre sicher gelagert werden könnten. Dabei gebe es "das Abfallproblem technisch nicht".

Die Bundestagsfraktion Die Linke hatte kritisiert, daß die Uranfabriken in Gronau und Lingen bislang vom Atomausstieg ausgenommen sind und über unbefristete Genehmigungen verfügen. Diese Uranfabriken beliefern Atomkraftwerke in aller Welt und stellen damit deren Weiterbetrieb sicher. Zu den Kunden gehören auch AKWS, die besonders hohe Risiken bergen und deren Folgen im Falle eines gravierenden Störfalls unmittelbar auch die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland bedrohen. Deshalb sei es zwingend, diese Uranfabriken in den Atomausstieg einzubeziehen und die atomrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Außerdem sei rechtlich der Export von Kernbrennstoffen zu untersagen, wenn deren Einsatz mit einer Gefährdung der bundesdeutschen Bevölkerung verbunden ist.

In einem Rechtsgutachten im Auftrag der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) hatte die Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm bereits im Juli 2016 dargelegt, dass die Bundesregierung zumindest die Lieferungen von Kernbrennstoffen in Form von angereichertem Uran bzw. als frische Brennelemente unterbinden kann, indem sie die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen nicht erteilt. [3]

Weitere Anregungen dazu hatte die internationale Ärzteorganisation IPPNW in einem weiteren Rechtsgutachten im April 2017 vorgelegt. [4] Im Mai 2017 schließlich legte auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace eine Stellungnahme vor, in der die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein "Phase-Out" der beiden Uranfabriken Lingen und Gronau dargestellt wurden. [5]

Die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) im März 2017 in Auftrag gegebenen und im November 2017 vorgelegten Rechtsgutachten [6] zeigen auf, dass unter Beachtung einiger Rahmenbedingungen eine atomrechtliche Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen grundsätzlich verfassungskonform möglich und auch verhältnismäßig wäre.

Zur Begründung einer solchen Stilllegung der Uranfabriken heißt es in dem vom BMUB bei Prof. Dr. Wolfgang Ewer und Dr. Tobias Thienel beauftragten Gutachten unter anderem: Die atomrechtliche Stilllegung "wäre insbesondere verhältnismäßig, weil der hochrangige Schutz des menschlichen Lebens, der menschlichen Gesundheit und der natürlichen Umwelt vor dem Restrisiko der Kerntechnik gegenüber der Beeinträchtigung des Eigentums - insbesondere - der betroffenen Betreiberinnen abstrakt und im konkreten Einzelfall Vorrang genießt. Das Eigentum an Anlagen zur Urananreicherung oder zur Brennelementefertigung weist einen besonders ausgeprägten sozialen Bezug auf. Außerdem bedeutet die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG niedergelegte Kompetenz des Gesetzgebers, die Grundsatzentscheidung für oder gegen die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu treffen, dass die Betreiberinnen zu jeder Zeit einem Risiko der Neubewertung des unvermeidlichen Restrisikos der Kerntechnik durch den Gesetzgeber ausgesetzt waren." [7]

Auch das vorgelegte Gutachten von Dr. Sabine Konrad mit besonderem Blick auf völkerrechtliche Aspekte einer atomrechtlichen Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen bestätigt im Wesentlichen diese Möglichkeit. [8]

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit stellt in Verbindung mit der Veröffentlichung der genannten Gutachten auf seiner Homepage fest: "Eine Beendigung der Brennelementefertigung in Deutschland würde zu einer konsistenteren Linie in der deutschen Atomausstiegspolitik führen. Es bleibt der politischen Willensbildung innerhalb der Bundesregierung überlassen, ob sie diesen Weg gehen will." [9]

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte zu ihrem Gesetzentwurf argumentiert: Spätestens am 31. Dezember 2022 werde das letzte gewerbliche Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. Damit ende das Zeitalter atomarer Energiegewinnung in Deutschland. Nach derzeitiger Rechtslage können atomare Anlagen, die Produkte für den Betrieb von Atomkraftwerken herstellen, auch nach dem Ende des AKW-Betriebs weiterlaufen. Dabei handelt es sich insbesondere um Betriebe zur Anreicherung von Uran und zur Herstellung von Brennelementen oder deren Vorprodukten. Auch der Betrieb solcher Anlagen sei mit Risiken verbunden. Dies beinhalte atomare und chemotoxische Risiken für das menschliche Leben, die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Darüber hinaus verursachten sie radioaktive Abfälle mit generationsübergreifender Gefährlichkeit. Risiken für Mensch und Umwelt entstünden auch durch die, durch diese Anlagen verursachten, Transporte radioaktiver Stoffe. Nicht zuletzt dienten Produkte aus solchen Anlagen dem Betrieb von grenznahen ausländischen Atomkraftwerken, deren Betriebsrisiken auch Menschen in Deutschland und die Umwelt betreffen.

Der Betrieb solcher Anlagen über die Betriebsdauer von Atomkraftwerken hinaus widerspreche dem Ziel Deutschlands, die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Strom zu beenden § Nummer 1 des Atomgesetzes). Die von diesen Betrieben ausgehenden atomaren und chemotoxischen Risiken für das Leben, die Gesundheit und die Umwelt würden beendet.

Daher sei auch der Betrieb von Anlagen zur Urananreicherung und zur Bearbeitung und Verarbeitung von Kernbrennstoffen zum Zwecke der Herstellung von Brennelementen oder deren Vorprodukten - entsprechend dem Ende des Betriebs von Atomkraftwerken - zum 31. Dezember 2022 zu beenden. Transporte radioaktiver Stoffe würden zudem damit vermieden und der Anfall radioaktiver Stoffe, die der Entsorgung (Endlagerung) zuzuführen sind, verringert.

Urenco zeigt keine Einsicht, die Atomkraftwerke Tihange und Doel werden weiter beliefert

Der internationale Urananreicherer Urenco wird weiterhin die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel mit angereichertem Uran von seinen Standorten Gronau in Westfalen und Almelo in den Niederlanden für die Brennelementefertigung beliefern. Dies teilte ein Unternehmenssprecher am Wochenende in zwei Antwort-Mails an einen belgischen Atomkraftgegner sowie an das Umweltinstitut München mit. In beiden Schreiben heißt es gleichlautend: "URENCO hat langjährige Verträge mit unseren belgischen Kunden, und in dieser Hinsicht erfüllen wir weiterhin unsere Verpflichtungen." Erst Anfang Oktober hatte der Chef von Urenco Deutschland, Joachim Ohnemus, in Gronau gegenüber Bundestagsabgeordneten der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen bekundet, dass Urenco in Zukunft auf Uranlieferungen von Gronau nach Belgien "intern" verzichten wolle. Gründe für den jetzigen Rückzieher nannte Urenco nicht.

In diesem Zusammenhang kritisieren die Anti-Atomkraft-Initiativen und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) auch den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, der zwar gerne die Stilllegung von Tihange und Doel sowie einen Exportstopp für Kernbrennstoffe aus Deutschland dorthin fordert, nun jedoch just eine Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg ablehne, die einen solchen Exportstopp erreichen will. Auch habe Laschet bislang seine CDU-Parteifreunde in Berlin nicht von einem Exportstopp und Ausstieg aus der Urananreicherung und der Brennelementefertigung überzeugen können oder wollen.


Anmerkungen

1. Gesetzentwurf der Fraktion der Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsdrucksache 19/964 v. 27.02.2018, Entwurf eines sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes,
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/009/1900964.pdf

2. Antrag der Fraktion Die Linke, Bundestagsdmcksache 19/2520 v. 05.06.2018, Stilllegung der Uranfabriken Gronau und Lingen - Exportverbot für Kernbrennstoffe
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/025/1902520.pdf

3. "Ausfuhrgenehmigungen für Brennelemente für die AKW's Doel, Fessenheim und Cattenom dürfen nicht mehr erteilt werden", Strahlentelex 710-711 v. 4.8.2016, S.8-9,
www.strahlentelex.de/Stx_16_710-711_S08-09.pdf

4. "Der Export von Brennelementen läßt sich verbieten", Strahlentelex 732-733 v. 6.7.2017,
www.strahlentelex.de/Stx_17_732-733_S07.pdf

5. Kurzgutachterliche Stellungnahme zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einer Phase-Out-Gesetzgebung für die Uranunreicherung und Brennelementproduktion in Deutschland, www.greenpeace.de

6. siehe URENCO Gutachten unter www.bmu.bund.de

7. Ewer/Thienel: Rechtsgutachten zur Möglichkeit einer Beendigung der Urananreicherung und der Brennelementefertigung durch den Bundesgesetzgeber, S. 232, www.bmu.bund.de

8. Konrad: Rechtsgutachten zur Möglichkeit einer Beendigung der Urananreicherung und der Brennelementefertigung durch den Bundesgesetzgeber, www.bmu.bund.de

9. www.bmu.bund.de


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_18_764-765_S08-10.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, November 2018, Seite 8 - 10
Herausgeber und Verlag:
Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2019

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