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STANDPUNKT/1203: Klimafreundlich und sozial gerecht - Vorschläge für ein Konjunkturprogramm nach Corona (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2020
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Klimafreundlich und sozial gerecht

von Helge May


Nach dem Corona-bedingten Teilstillstand der Wirtschaft soll diese mit einem staatlichen Konjunkturprogramm wieder angekurbelt werden. Aber wie? Der NABU hat ein Paket geschnürt, von dem Unternehmen, Gesellschaft und Umwelt profitieren würden.


Mit der "schwarzen Null" wird das wohl erst mal nichts. Eigentlich hatte sich die deutsche Politik darauf eingeschworen, künftig ohne Neuverschuldung auszukommen. Doch 146 Milliarden Euro betrug alleine die Kreditaufnahme zur Finanzierung des ersten Nachtragshaushalts des Bundes zur Milderung der Corona-Folgen. Das war nur der Anfang. Noch ist nicht klar, wie viel Geld der Staat bereit und in der Lage ist, für ein Konjunkturprogramm auszugeben. Dass ein solches Programm kommen wird, ist unbestritten.

86 Prozent Zustimmung · Es gibt viele Interessen, die erfüllt werden sollen, die meisten berechtigt, oft aber sich widersprechend. Fragt man die Deutschen, befürworten 86 Prozent ein Konjunkturprogramm, das Unternehmen fördert, die klima- und umweltfreundlich agieren. Das ergab Anfang Mai eine repräsentative Kantar-Umfrage im Auftrag des NABU.

Die Umfrageergebnisse unterstützen die Forderungen, die der NABU an Berlin und Brüssel stellt, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. "Deutschland und die EU haben jetzt die Chance, den nachhaltigen Wandel in der Wirtschaft umzusetzen und sie krisensicherer und zukunftsfähiger als je zuvor zu gestalten", betont NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

Zu den vom NABU vorgeschlagenen Maßnahmen gehören eine Million Solardächer, die Einführung einer vierten Reinigungsstufe gegen Mikroverschmutzungen bei allen Kläranlagen, ein Programm "Fünftausend lebendige Bäche für Mensch und Natur" und der Ausbau der Elektromobilität.

Zu den vom NABU vorgeschlagenen Maßnahmen gehören unter anderem eine Million klimafreundlicher und energieerzeugender Dächer, die Einführung einer vierten Reinigungsstufe gegen Mikroverschmutzungen bei allen Kläranlagen, ein Programm "Fünftausend lebendige Bäche für Mensch und Natur" und der Ausbau der Elektromobilität im ländlichen Raum.

Elektromobil auf dem Land · Modernisierung darf sich nicht länger alleine auf die Ballungsgebiete konzentrieren, sonst werden die heute schon Benachteiligten endgültig abgehängt. Die Möglichkeiten für einen attraktiven und effizienten öffentlichen Personennahverkehr sind begrenzt, in dünn besiedelten Regionen wird der Individualverkehr wichtig bleiben. Mit entsprechender Infrastruktur könnten Pendler schon heute E-Autos nutzen.

Vorschlag des NABU: Investitions- und Abschreibungsprogramme sollen die Installation von Solarstrom-Anlagen ebenso wie die von Ladestationen in der heimischen Garage anreizen. Wer beim Kauf eines Elektroautos die Installation einer eigenen Photovoltaik-Anlage und Ladestation belegen kann, erhält einen Kaufzuschuss. Das Förderprogramm soll bis 2030 laufen und sieben Millionen Haushalte erreichen.

Sonne ernten, Insekten schützen · Völliges Neuland betritt ein zweiter Vorschlag. Die Flächenanteile, die landwirtschaftliche Betriebe für den Erhalt der Artenvielfalt reservieren müssen, werden mit der kommenden EU-Agrarreform größer werden. Statt Mais, Raps oder Rüben wird mehr Lebensraum für Insekten und Vögel geschaffen. Mit neuen Formen der Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen können - unter der Bedingung, dass sie richtig geplant und bewirtschaftet werden - auch Landwirtschaft, die Artenvielfalt und Solarenergie miteinander verbunden werden. Der NABU schlägt ein Sonderprogramm vor, das die Rahmenbedingungen für naturverträgliche Photovoltaik-Anlagen in landwirtschaftlichen Betrieben setzt, die sowohl der Artenvielfalt als auch der Solarenergienutzung dienen.

Lichtverschmutzung mildern · Energiesparen und Artenschutz kombiniert ein drittes Beispiel. Der Energieverbrauch der deutschlandweit fast zehn Millionen Straßenlaternen beträgt rund vier Millionen Kilowattstunden. Kunstlicht in falscher Qualität und Intensität zur falschen Zeit am falschen Ort wirkt sich negativ auf die Lebensbedingungen vieler Tiere und Pflanzen aus. Es verursacht aber auch Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen. Gefördert werden soll die Umstellung und der Austausch hin zu klima- und biodiversitätsfreundlichen Außenbeleuchtungen in Kommunen, Gewerbe und Industrie.

Wer der Umwelt und somit uns allen schadet, darf nicht auch noch mit Steuermitteln belohnt werden.

Mindestens genauso wichtig wie neue Ideen ist es, alte Subventionen auf den Prüfstand zu stellen. Der NABU fordert daher, staatliche Gelder nur noch an Unternehmen zu vergeben, die natur- und klimafreundlich Wirtschaften und zudem gegenüber allen Generationen gerecht sind. Wer sich nicht an die Regeln hält und der Umwelt und somit uns allen schadet, darf nicht auch noch mit Steuermitteln belohnt werden. Unsinn wie die Abwrackprämie in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren können wir uns weder finanziell noch mit Blick auf den Klimaschutz leisten.

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Interview

"Gestärkt aus der Krise hervorgehen"

Interview mit NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger

Bereits im April ließen die EU-Regierungschef*innen verlauten, man werde "alles nötige" tun, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie anzugehen. Was ist denn nötig?

Mit Sicherheit schwindelerregend große Summen Geld, denn die Schäden sind entsprechend. Und da Geld nur einmal ausgegeben werden kann, dürfen wir nicht nur einfach den alten Zustand wiederherstellen. Mit dem Klimawandel und dem Artenschwund haben wir ohnehin enorme ungelöste Probleme. Wenn nun investiert wird, dann so, dass wir insgesamt gestärkt aus der Krise hervorgehen, indem wir gleichzeitig etwas für Klima und Natur tun.

Also das, was in der Politik als "Green Recovery" diskutiert wird.

Erfreulicherweise nicht nur in der Politik. Dazu bekennen sich neben den "üblichen Verdächtigen" wie Umweltverbänden und Umweltpolitiker*innen inzwischen selbst Unternehmen von Ikea bis Microsoft und Siemens.

Fast schon zu viel des Guten...

Die Nagelprobe steht natürlich noch aus. Doch es ist ein starkes Zeichen, wenn auf so breiter Basis der Ruf nach Veränderung ertönt, nach einer klimaneutralen Wirtschaft, nach Transformation der Landwirtschaft und besserem Schutz der Biodiversität. Darauf lässt sich aufbauen. Der NABU ist bereit, aktiv mitzugestalten, und hat ja schon reichlich konkrete Vorschläge unterbreitet.

Sind die Großunternehmen vielleicht auch deshalb mit an Bord, weil sie sich selbst Großes versprechen?

Das bleibt ihnen unbenommen. Die NABU-Vorschläge zielen jedenfalls darauf, dass gerade kleine Unternehmen und das Handwerk profitieren. Deren Betriebsbasis ist besonders gefährdet. Programme zur E-Mobilität im ländlichen Raum oder zur Klimaanpassung in Siedlungen und Städten sind so konstruiert, dass Hilfen dezentral auf die kommunale Ebene gelangen.

In der Vergangenheit haben Investitionsprogramme vor allem eines bedeutet: Mehr Naturzerstörung. Warum wird dieses Mal alles anders?

Die Gefahr ist nicht zu leugnen und in unseren Treffen mit der Politik thematisieren wir das ständig. Der NABU hat die letzten Wochen mit Spitzenvertreter*innen der großer Parteien gesprochen, mit Ministerien, auch mit dem Kanzleramt. Ich habe dabei eine gewachsene Bereitschaft wahrgenommen, auf Umweltbelange einzugehen - und den Willen, in die "richtigen" Dinge zu investieren. Aber der Druck aus teilen der industrie ist groß.

Man wird die NABU-Pläne also kaum eins zu eins übernehmen.

Das wäre wohl zu viel verlangt, aber sie sollten Eingang finden. Und sicher wird es umgekehrt auch darum gehen, den aus Umweltsicht gröbsten Unsinn zu verhindern. Das zusammenspiel von Wissenschaft und Politik in Sachen Corona zeigt uns, dass wir in der Lage sind, schnell und vernünftig zu agieren. Mir macht das Mut.


Info

Die kompletten Vorschläge gibt es unter
www.NABU.de/Konjunkturprogramm.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2020, Seite 38 - 40
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
Tel.: 030/284984-1958, Fax: 030/284984-3958
E-Mail: Naturschutz.heute@NABU.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: NABU@NABU.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2020

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