Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/330: Höhere Erdbebengefahr für Akw Indian Point bei New York (SB)


Forscher entdeckten neue seismische Störzone nahe des Akw Indian Point

Höheres Unfallrisiko mit Strahlenfolgen im Großraum New York City als zuvor angenommen


Die Betreiber von Atomkraftwerken tragen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Von Unfällen in Verbindung mit Radioaktivität können unter Umständen viele Millionen Menschen betroffen sein. Das hat die Tschernobylkatastrophe vor 22 Jahren bewiesen, als weite Teile Europas verstrahlt wurden. Es hat jedoch den Anschein, als wollten die Betreiber diese Verantwortung nicht übernehmen. Dafür sprechen zahlreiche Hinweise, angefangen von der völlig unzureichenden Deckungssumme, die die deutschen Akw-Betreiber für den Katastrophenfall zurückstellen müssen, über die permanenten radioaktiven Emissionen der Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield bis zum Errichten von Nuklearanlagen in erdbebengefährdeten Gebieten rund um den Globus.

Bei letzterem denkt man zunächst an Japan mit seinen 52 Atomkraftwerken und den regelmäßigen, teils schweren Erdbeben, die im Zusammenhang mit allein vier größeren tektonischen Bruchzonen in der Region auftreten. Aber auch an die USA, die zum einen ein Endlager für hochradioaktive Substanzen in den Yucca Mountains im Bundesstaat Nevada einrichten wollen, wo häufig kleine bis mittlere Erdbeben auftreten, und zum anderen Atomkraftwerke in keineswegs erdbebensicheren Gebieten errichtet haben. Das wurde kürzlich am Beispiel des Akw Indian Point, rund 40 Kilometer nördlich von New York City, noch einmal in Erinnerung gerufen.

Forscher hatten nämlich berichtet, daß sich in unmittelbarer Nähe zu dem Akw eine erst kürzlich entdeckte tektonische Störungslinie befindet, die zwei bereits bekannte, aktive seismische Zonen miteinander verbindet. Die Möglichkeit des Übertritts eines Erdbebens auf ein Gebiet nahe Indian Point sei offenbar wahrscheinlicher, als man bislang angenommen habe, schrieb die Forschergruppe um Lynn Sykes vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Universität Columbia im "Bulletin of the Seismological Society of America".

Die neu entdeckte Zone befindet sich an der Schnittstelle zwischen einer seismischen Störungszone, die sich von Stamford in Connecticut nach Peekskill in New York erstreckt, und der Ramapo-Bruchzone. Die Forscher räumen zwar ein, daß die Gefahr eines größeren Erdbeben im Gebiet des Akw Indian Point, das in der Stadt Buchanan am Ufer des Hudson liegt, gering ist, aber weil es in der Region viele Störzonen gibt, sei sie vermutlich gefährdeter als gedacht, so Co-Autor Leonardo Seeber in einem Reutersbericht vom vergangenen Freitag.

Die Forscher hatten 383 Erdbeben in New York und umliegenden Gebieten aus den vergangenen 330 Jahren ausgewertet. Die letzten größeren Erdbeben im Großraum von New York traten demnach 1737, 1783 und 1884 auf und erreichten eine Stärke von ungefähr 5,0 auf der Richter-Skala. Zerstörerische Erdbeben sind also durchaus denkbar.

Jim Steets, Sprecher des von dem Unternehmen Entergy betriebenen Kernkraftwerks Indian Point, erklärte, daß die Studie keine Neuigkeiten zu dem liefere, was man längst wußte, als Indian Point gebaut wurde. Die Anlage sei darauf ausgerichtet, Erdbeben der Stärke 7 auf der Mercalli-Skala (rund 6,1 auf der Richter-Skala) zu überstehen.

Das mußte bislang allerdings nicht unter Beweis gestellt werden. Das Argument Steets, daß die Erdbebengefahr von Indian Point längst bekannt ist, trifft zu. Bereits 1978, also zwei, bzw. vier Jahre nach der Inbetriebnahme der Reaktoren zwei und drei dieses Atomkraftwerks, wurde im Wissenschaftsmagazin "Science" eine Erdbebenstudie zu dieser Region veröffentlicht (Vol. 200. no. 4340, pp. 425 - 429). Schon damals wurde Sykes als Co-Autor aufgeführt. Wenn jedoch eben dieser Wissenschaftler eine weitere Bruchzone entdeckt, dann weiß er offenbar, wovon er redet. Darüber hinaus sticht Steets Argument insofern nicht, als daß das Erdbebenrisiko nicht sinkt, nur weil man schon dreißig Jahren vorher davon gewußt hat.

Die Columbia-Forscher haben abgeschätzt, daß es vermutlich alle 3400 Jahre zu einem Erdbeben der Stärke 6 oder 7 in dieser Region kommen wird. Wann es wieder so weit ist, wissen sie selbstverständlich nicht zu prognostizieren. Es kann schon morgen sein, nächste Woche oder in zehntausend Jahren. Mit Hilfe einer Statistik können niemals konkrete Ereignisse vorausgesagt werden.

Aus der Sicht eines Geologen ist es übrigens weniger gefährlich, wenn im Großraum von Buchanan immer wieder kleinere Erdbeben auftreten, als wenn sie irgendwann ausbleiben. Denn das könnte ein Zeichen dafür sein, daß sich tektonische Spannungen aufbauen, die sich irgendwann in einem kräftigeren und damit zerstörerischen Erdbeben entladen. Die jetzt von den Forschern als Erhöhung der Erdbebenwahrscheinlichkeit ausgewiesene Gefahr gründet sich darauf, daß die Erdbeben von einer anderen Bruchzone auf jene überspringen, die nur wenige Kilometer vom Standort des Atomkraftwerks entfernt verläuft. Bleibt den Bewohner der Nordostküste der USA nur zu wünschen, daß die Erdbeben nicht auch auf das Atomkraftwerk übergreifen und es durchschütteln.

25. August 2008