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ATOM/353: Moruroa und Hao - Strahlenopfer sollen stolz auf ihre Nation sein (SB)


Frankreichs Präsident Sarkozy will Kernwaffentestgebiete zu "Stätten des Gedenkens und des Nationalstolzes" erklären


Am 6. November will der französische Präsident Nicolas Sarkozy die Südpazifikinseln Moruroa und Hao zu "Stätten des Gedenkens und des französischen Nationalstolzes" erklären. Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker bezeichnet dies als "zynisch und menschenverachtend" [1]. Auch der Verband der Maohi-Opfer der Atomversuche, "Moruroa et tatou" (Moruroa und Wir), habe den Plan scharf kritisiert und Sarkozy vorgeworfen, die Opfer der Atomtests zu verhöhnen, hieß es.

Nach 30 Jahren der Verbrechen will die höchste Institution Frankreichs nun in den Köpfen der Polynesier verankern, daß sie stolz darauf sein sollen, im Namen der nationalen Verteidigung, die es abgelehnt hat, ihre Bomben in Frankreich zu testen, geopfert worden zu sein, erklärte der Maohi-Opferverband laut Radio New Zealand. [2]

Zwischen 1966 und 1995 hat Frankreich auf den Pazifikatollen Moruroa und Fangataufa 193 Kernwaffenversuche durchgeführt, davon 41 oberirdisch. Schätzungen zufolge wurden dabei 150.000 Maohi und französische Soldaten, die unter anderem auf dem Atoll Hao stationiert waren, radioaktiv verstrahlt. Eine vollständige Entschädigung für die gesundheitlichen Einbußen der Verstrahlten ist nicht möglich, denn dazu müßten die Kernwaffentests rückgängig gemacht werden, aber das mindeste wäre eine finanzielle Entschädigung für die Betroffenen und ihre Angehörigen, so daß sie sich die bestmögliche medizinische Behandlung leisten können. Auch die Sicherung der teils umfangreichen Deponien mit nuklearen Abfällen auf den Atollen wäre geboten.

Der staatliche Zynismus kann auch daran abgelesen werden, daß der französische Senat im vergangenen Monat ein Gesetz zur Entschädigung im begrenzten Umfang verabschiedet hat. "Doch die meisten Maohi werden nichts bekommen, weil die französischen Behörden die Archive mit ihren Daten und medizinischen Gutachten nicht öffnen", berichtete die Gesellschaft für bedrohte Völker.

Bislang hält sich Frankreich mit angemessenen Kompensationszahlungen für alle Opfer vornehm zurück. Statt dessen soll nun offenbar das unsägliche Leid, das über die ahnungslosen Inselbewohner hereingebrochen war, als Frankreich die Kernwaffen zündete, verschleiert werden. Hier wird einem Ereignis gedacht, das noch gar nicht abgeschlossen ist! Noch heute leben Strahlenopfer von einst, oder es werden neue geboren, da ihre Eltern verstrahlt wurden, und sie daraufhin mit Schädigungen zur Welt gekommen sind. Moruroa und Hao zur "Stätte des Gedenkens" zu erklären heißt, einen Schlußstrich ziehen zu wollen, obgleich die Rechnung noch nicht beglichen ist.

Das Explosionsgebiet von Kernwaffen als Stätte des "Nationalstolzes" zu bezeichnen führt recht treffend vor Augen, worauf sich Nationalstolz bezieht. Zumal sich die Stätte in Übersee befindet, in einem unterworfenen und annektiertem Gebiet, weit weg vom ursprünglichen Stammgebiet der französischen Nation. Dort Kernwaffen zu zünden hat an andere Nationen signalisiert, sich gefälligst vorzusehen. Sonst bekämen sie es mit einem Staat zu tun, der nicht nur über die menschheitsgeschichtlich zerstörerischsten Waffen verfügt, sondern auch bereit ist, die eigene Bevölkerung über die Klinge springen zu lassen oder zumindest schwer zu schädigen, nur um diese Waffe zu erproben. Die Symbolik läßt an Aussagekraft nichts missen: Wer so mit der eigenen Bevölkerung umspringt, ist bereit, mindestens das gleiche auch anderen Bevölkerungen angedeihen zu lassen. Das steckt von jeher in dem Identifikationskonstrukt "Nation".


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Anmerkungen:

[1] Präsident Sarkozy will Atomtest-Inseln zu "Stätten des Nationalstolzes" erklären - Radioaktiv verstrahlte Opfer und Menschenrechtler empört, 2. November 2009
http://www.gfbv.it/2c-stampa/2009/091102de.html

[2] "Anger at Paris plan to make Moruroa site of pride", Radio New Zealand International, 2. November 2009
http://www.rnzi.com/pages/news.php?op=read&id=50035

4. November 2009