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ATOM/382: Sicherer Ausstieg aus Atomenergie nur über Abschaffung der Atomwaffen (SB)


Atomkraftwerke - Weltweiter "Kollateralschaden" durch den Griff nach der Atombombe


Lange Zeit bevor weltweit das erste Atomkraftwerk elektrischen Strom in ein öffentliches Leitungsnetz einspeiste, wurde in Atommeilern Brennstoff für Kernwaffen hergestellt. Je eine Uran- und eine Plutoniumbombe warfen die USA im Jahr 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki ab, ganze sechs Jahre später wurde in einem Forschungsreaktor im US-Bundesstaat Idaho erstmals elektrische Energie mittels eines Akw erzeugt. Das Begehren, in den Besitz der ultimativen Zerstörungswaffe zu gelangen, stand am Beginn der Nutzung der Kernspaltung als Energiequelle. Das Ende des Atomzeitalters kann somit nur über die Abschaffung der Atomwaffen eingeleitet werden.

Die Erzeugung elektrischen Stroms über den Antrieb einer Dampfturbine ist das Ergebnis einer technologisch komplexen, zeitlich extrem verzögerten nuklearen Kettenreaktion. Fallen in einem Atomkraftwerk die Verzögerungsmechanismen aus - so wie in Tschernobyl 1986 und womöglich in den nächsten Stunden in Japan -, tritt in einem Akw das ein, was auch die Atombomben hochgehen läßt, nämlich nukleare Spaltvorgänge und Anstöße, die sich binnen kürzester Frist zu einer Explosion aufschaukeln.

Da das Streben nach der Atom- und Wasserstoffbombe der "zivilen" Nutzung der Atomenergie vorausging, bliebe ein Ausstieg allein aus der Atomenergienutzung stets unzureichend. Um im Jargon der Branche zu sprechen: Es bliebe ein Restrisiko. Und das wäre beträchtlich. Zwar haben die USA und Rußland einen Vertrag zur Begrenzung ihrer Atomwaffenarsenale unterzeichnet (der New-START-Vertrag trat am 5. Februar 2011 in Kraft), aber umgekehrt liest er sich wie ein Vertrag zur Bestandssicherung: Jede Seite behält 1550 nukleare Sprengköpfe im Köcher.

Mit seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt hat US-Präsident Barack Obama die imperialistischen Ambitionen seines Herkunftslands, das sich zentral auf den Besitz und glaubwürdigen Einsatz der Atombombe als ultimatives Gewaltmittels stützt, ganz und gar ignoriert. Jene Vision besaß für die vorherrschenden, parteiübergreifenden Kräfte nie eine andere Funktion, als die nach der Bush-Ära in der US-Gesellschaft erstarkten antimilitaristischen Kräfte gesellschaftlich wieder enger einzubinden. Der Hoffnungsträger Obama wurde inzwischen demaskiert, aber er hat seine Aufgabe erfüllt: Yes, he can.

Die Verfügung über Atomwaffen verschafft einem Staat weltpolitisch enorme Vorteile. Die Atomwaffenstaaten USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich bilden gemeinsam die Vorstufe zu einer Weltregierung, da sie als einzige über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat verfügen, während andere jahrelang nicht vertreten sind, und sie besitzen im Unterschied zu allen anderen ein Vetorecht. Darüber hinaus verhelfen Atomwaffen zu einem unvergleichlichen Erpressungspotential. Wer sich nach der Auslöschung der beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit den Vereinigten Staaten anlegt, muß damit rechnen, ebenso vernichtet zu werden. Das gilt nicht nur für Staaten, die im Besitz von Atomwaffen sind, sondern auch für alle anderen.

Ein Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie kann somit nur ein erster Schritt sein. Die Gefahr einer radioaktiven Explosion mit anschließender Verstrahlung von Mensch und Umwelt wäre erst dann vollständig gebannt, wenn neben den Atomkraftwerken auch sämtliche Atomwaffen abgeschafft würden. Dazu wäre allerdings eine andere Gesellschaftsform erforderlich, denn solange Menschen über Menschen herrschen, muß ein solches Verhältnis über Gewaltmittel gesichert werden; beispielsweise durch Produktionsbedingungen, durch die Arbeit ausbeutbar wird, was innerhalb der kapitalistischen Verwertungsordnung Voraussetzung der Kapitalakkumulation ist. Unsere in Stämmen lebenden Vorfahren schwangen Keulen und Steinäxte, in der Weltgesellschaft von heute erfüllen letztlich Atomwaffen die Funktion der Unterwerfung. Solange die technischen Voraussetzungen zu ihrem Bau existieren, werden sie gebaut.

Haben sich auch die Mittel der Unterwerfung im Laufe der Menschheitsgeschichte gewandelt, der Mensch ist der gleiche geblieben. Es bedarf somit nicht nur einer anderen Gesellschaftsform, sondern eines anderen Menschen.

14. März 2011