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ATOM/394: Anpassung an Fukushima-GAU - höhere Strahlengrenzwerte für Kinder (SB)


Generation "Verstrahlung"

Japanisches Erziehungsministerium hat Obergrenze der
Strahlenbelastung für Kinder hinaufgesetzt


An der Lage im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi hat sich seit dem 11. März, als dort in den ersten Tagen nach Erdbeben und Tsunami in mehreren Meilern unkontrollierte Kernschmelzen einsetzten und es zu einer Serie von Wasserstoffexplosionen kam, nichts Nennenswertes geändert. Alle Maßnahmen dienen noch immer dazu, überhaupt Zugang zum Reaktor 1 und anderen hochverstrahlten Bereichen zu erhalten; außerdem müssen die heißen Brennelemente permanent von außen gekühlt werden, wodurch immer mehr radioaktiv kontaminierte Flüssigkeit produziert wird. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß es zu weiteren Explosionen kommt.

Die japanische Regierung unternimmt alles, um den Eindruck zu erwecken, der GAU in Fukushima sei kontrollierbar. Gleichzeitig wird die Bevölkerung Schritt für Schritt an höhere Strahlenwerte in ihrem Umfeld gewöhnt. Die heutige Generation der Kinder wird mit dem Segen des Erziehungsministeriums einer Strahlenbelastung ausgesetzt, die der von Arbeitern in Atomkraftwerken entspricht. Der kindliche Organismus ist jedoch naturgemäß viel strahlungssensibler, da im Wachstum, das heißt bei der häufigen Teilung der Zellen, entsprechend mehr Substanzen aufgenommen und in die verschiedenen Gewebe eingebaut werden. Damit gelangen radioaktive Stoffe an empfindliche Stellen und können dort auf zunächst zellularer Ebene ihre zerstörerische Wirkung entfalten.

Die Kinder dürfen nun mit 3,8 Mikrosievert pro Stunde [1] bzw. 20 Millisievert im Jahr [2] radioaktiv belastet werden. Das entspricht den Grenzwerten der Internationalen Strahlenschutzkommission für Nukleararbeiter. Zu diesem Grenzwert muß man wissen, daß er sowieso schon einen zweifelhaften Kompromiß darstellt zwischen dem Interesse eines Arbeiters auf Bewahrung seiner körperlichen Unversehrtheit und dem ökonomischen Interesse eines Nuklearkonzerns bzw. dem einer auf Atomenergie setzenden Regierung, Atomkraftwerke betreiben zu können.

Würde man keine berufsabhängigen Grenzwerte für die radioaktive Belastbarkeit eines Menschen verhängen, müßte jeder Erwachsene gleich behandelt werden. Arbeiter in Kernkraftwerken sind ja nicht strahlungsresistenter als andere Erwachsene, woraus folgt, daß die Nukleararbeiter aus nacktem Kalkül einem höheren Strahlenrisiko ausgesetzt werden.

Gleiches gilt nun für die Kinder in Japan. Eigentlich müßten sie evakuiert werden, um sie vor der Verstrahlung zu schützen. Anfang April durchgeführte Messungen auf den Flächen bzw. Schulhöfen von 1600 Vorschulen, Kindergärten und Mittelstufenschulen haben nämlich eine deutlich erhöhte Strahlenbelastung ergeben. Demnach lag die in ein Meter Höhe gemessene Strahlung an Hunderten Einrichtungen zwischen dem 43- und 200fachen über der der Hintergrundstrahlung - und zwar außerhalb der 20-km-Sicherheitszone, die um das Akw Fukushima Daiichi herum gezogen wurde [2].

Noch weit außerhalb dieser Zone wurde eine Menge an Radioaktivität registriert, die vor 25 Jahren nach der Explosion des Akw Tschernobyl und der sich an den Vorfall anschließenden Strahlenbelastung als "Hot Spot" ausgewiesen wurde. In Japan dürfen die Menschen offensichtlich solche "heißen" Gebiete betreten, und wenn das Erziehungsministerium die Außenaktivitäten an lediglich dreizehn Schulen in den Städten Fukushima, Date und Koriyama einschränkt, dann zeigt das vor allem anderen, wie mit der Gesundheit der Bevölkerung Poker gespielt wird.

Zumal die Messung der radioaktiven Belastung von Arbeitern in der Nuklearwirtschaft nur bedingt mit der der Kinder vergleichbar ist. Normalerweise trägt jeder Arbeiter einen Sensor, an dem die Strahlenbelastung des Trägers abgelesen werden kann. Wird der Grenzwert für einen bestimmten Zeitraum überschritten, verläßt der Betroffene den Strahlenbereich und wird dort nicht mehr eingesetzt - zumindest ist das so vorgeschrieben. Die Kinder tragen keine Meßgeräte. Die Behörden messen nur allgemein an bestimmten Orten, an denen sich Kinder aufhalten, was ungenau ist, denn radioaktive Strahlung kann im Bereich von nur wenigen Metern stark variieren. Schwer vorstellbar, wie die Behörden verhindern wollen, daß einzelne Kinder einer noch höheren Strahlenbelastung ausgesetzt werden als Akw-Arbeiter, die zumindest den Vorteil haben, daß sie eine unmittelbare Rückmeldung über ihre Strahlenexposition erhalten.

Die vermehrte Zunahme an strahlenbedingten Krankheiten und Beeinträchtigungen bei japanischen Kindern wird man vermutlich erst in einigen Jahren aus medizinischen Statistiken herauslesen können. Dann wird es aber für adäquate Schutzmaßnahmen zu spät sein.


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Quellen:
[1] "Radioaktivität macht Kinder krank - Erhöhung der
Strahlengrenzwerte für japanische Kinder", IPPNW-Presseinformation,
21. April 2011

http://www.ippnw.de/presse/presse-2011/artikel/7fbc3165ea/radioaktivitaet-macht-kinder-krank.html

[2] "Japan Callously Puts Thousands of Kids in Harm's Way - Radiation for Children's Day", Robert Alvarez, CounterPunch, Weekend Edition, 29. April - 1. Mai 2011
http://www.counterpunch.org/alvarez04292011.html

4. Mai 2011