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ATOM/414: Tornados in den USA - potentielle Gefahr für Atomkraftwerke (SB)


Jüngste Tornado-Serie in den USA ging für Akws offenbar glimpflich aus, aber ...


Sollten die Prognosen der Klimaforscher zutreffen, daß die Erderwärmung allgemein die Intensität von Stürmen erhöhen und Nordamerika stärkere Tornados erleben wird als bisher, muß damit gerechnet werden, daß zukünftig Infrastruktureinrichtungen geschädigt werden, die einem Wirbelsturm bisher standgehalten haben. Die jüngste, um diese Jahreszeit recht frühe und zudem überraschend schwere Tornadoserie in den Vereinigten Staaten, die in mehreren Bundesstaaten Dutzende Tote gefordert und Schäden in Milliardenhöhe verursacht hat, wirft Fragen hinsichtlich der Sicherheit von Atomkraftwerken auf. Ausgerechnet für Georgia, in dem auch jetzt wieder Wirbelstürme gewütet haben, hat die US-Regierung erstmals seit über dreißig Jahren Genehmigungen für den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken erteilt.

Zwar sollen sie im Osten des Bundesstaats Georgia am Standort des bereits bestehenden Akw Vogtle in Waynesboro errichtet werden, wohingegen die Tornados durch mehrere Bezirke im Norden und Westen zogen, aber das bedeutet nicht, daß der Standort nicht potentiell tornado-gefährdet ist. In der jüngsten Serie traten Wirbelstürme unter anderem in Indiana (1 Akw), Ohio (2 Akw), Alabama (4 Akw) und Georgia (4 Akw) auf.

Wir sind ja nicht unvertraut mit dem Grimm von Mutter Natur hier in Indiana, aber das ist mit das Schlimmste, was ich in den Jahren meiner Arbeit hier gesehen haben, sagte Mitch Daniels, Gouverneur von Indiana, gegenüber der Presse. Ähnlich äußerte sich der Gouverneur von Kentucky, Steve Beshear: Das Ausmaß der Zerstörung in einigen unsere Gemeinden übersteige alles, was er je erlebt habe. [1]

Mehr als ein Dutzend Tornados waren über den Bundesstaat hinweggezogen und hatten mindestens 19 Tote gefordert. Bäume wurden ausgerissen, Ziegelsteinhäuser kurz und klein geschlagen, ganze Lastwagen und Busse durch die Gegend gewirbelt, die Stromversorgung von zehntausenden Einwohnern brach zusammen. Die Kleinstadt Marysville in Indiana gibt es faktisch nicht mehr. Da stellt sich schon die Frage, ob ein Atomkraftwerk, das der vollen Wucht eines Tornados ausgesetzt ist und womöglich den Strom nicht mehr abführen kann, diesen Gewalten standhält.

Der Super-GAU von Fukushima hat auf bittere Weise daran erinnert, daß die vermeintlich weniger bedeutenden Aggregate außerhalb der schweren Betonummantelung der Reaktorgehäuse empfindliche Schwachstellen bilden, bei deren Versagen die gesamte Anlage außer Kontrolle gerät. Weil die Nachwärme in den Reaktoren des japanischen Atomkraftwerks nicht abgeführt werden konnte, erhitzten sich die Brennelemente, und es traten Kernschmelzen ein.

Die jüngste Tornadoserie hat, soweit bekannt, zu keinen Schäden in US-amerikanischen Atomkraftwerken geführt. Es gibt aber Beispiele in der Vergangenheit, da es zu Beeinträchtigungen des Betriebs und sogar Störungen kam. Beispielsweise brach im vergangenen Jahr nach dem Durchzug von Gewitterstürmen und Tornados im Akw Browns Ferry in Alabama die Stromversorgung zusammen. [2] Der Ausfall betraf unter anderem die Alarmsirenen, mit denen die Einwohner bei einem Störfall gewarnt worden wären. Die Bauart der drei Reaktoren von Browns Ferry (3274 MW), das 2,6 Millionen Haushalte mit Strom versorgt, ähnelt der, die im Akw Fukushima Daiichi eingesetzt wurde. Damals war es auch im Akw Surry Power Station in Virginia zu einem Tornado-Schaden gekommen. Wie Associated Press meldete, hat der Wirbelsturm einem Treibstofftanker, mit dem im Notfall ein Backup-Generator hätte befüllt werden müssen, schweren Schaden zugefügt. [3]

Laut den Bestimmungen der US-Atomaufsichtsbehörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) muß ein Akw die stärksten Tornados, die vernünftigerweise nach 50 Jahren Tornadoforschung angenommen werden können, aushalten. Ob sich die Natur an diese "Vernunft" hält? Oder wird es eines Tages, wenn ein Akw in den USA havariert, heißen, daß kein Experte mit einem so kräftigen Tornado gerechnet habe? Angesichts der Fukushima-Katastrophe oder, um ein Beispiel aus den Vereinigten Staaten zu nehmen, der Überflutung von New Orleans nach dem Durchzug des Hurrikans Katrina im August 2005, ist solchen Expertenmeinungen mit Skepsis zu begegnen.

"Sehen Sie sich diese Anlagen an, da gibt es eine Menge Beton. Wir haben sehr dicke, stahlverstärkte Betonwände", sagte im vergangenen Jahr, wenige Tage nach Beginn der Fukushima-Katastrophe, der Leiter der Kerntechnikpolitik (nuclear regulatory policy) beim Akw-Betreiber Xcel Energy auf die Frage der Presse, ob die Akws in Minnesota einem schweren Tornado standhielten. [4] Die Erklärung wirkt wie ein Ablenkungsmanöver, denn in Fukushima war nicht die Betonummantelung das Problem. Auch der Tornado, der im Jahr 2008 der Kernreaktor der Staatsuniversität von Kansas traf, vermochte den Stahlbeton nicht zu zerstören, wohl aber Schäden an anderen Gebäuden anzurichten.

1990 traf ein Tornado das Akw Quad Cites im Nordwesten von Illinois. Abgesehen davon, daß der Sicherheitszaun der Anlage beschädigt wurde, wurde auch das Dach einer Verbindung zwischen einem Betriebsteil zur Bearbeitung des radioaktiven Abfalls und einem Entlüftungsschacht weggerissen. Angeblich ist dabei kein radioaktives Gas in die Umwelt entwichen. Sechs Jahre darauf sorgte ein Tornado im gleichen Akw für Schäden am Reaktorgebäude. Es wurde Alarm ausgelöst und das Akw heruntergefahren. 1998 wurde das Akw Davis-Besse in Ohio von einem Tornado getroffen. Es entstanden weitreichende Schäden am Stromsystem, den Alarmsirenen und anderen ungeschützten Strukturen. Im Juni 2010 wurde beim Kernreaktor Fermi in Michigan ein Gebäude, in dem Notfallausrüstung untergebracht war, von einem Tornado beschädigt; auch die Stromversorgung wurde beeinträchtigt.

Im vergangenen Jahr traf es die Stadt Joplin in Missouri. Ein Tornado der Kategorie F5 hat dort schwerste Verwüstungen angerichtet. Nur wenige Wochen zuvor war das 270 Kilometer von Joplin entfernt gelegene Akw Wolf Creek im Südosten von Kansas vom Netz genommen worden, weil es als potentiell tornado-gefährdet angesehen wurde. Der Nuklearexperte David Lochbaum von der Union of Concerned Scientists warnt, daß ein Tornado das Backup-Systems eines Backups der Sicherheitseinrichtung eines Akw beschädigen könnte, aber auch das müsse unbedingt beachtet werden. [3]

Die Fukushima-Havarie hat die Empfindlichkeit der Akw-Technologie bewiesen. Selbst ein oder zwei Backup-Systeme genügen nicht, wenn besondere Umstände eintreten. Und die treten immer ein, sobald Backup-Systeme gebraucht werden. Der Verlust eines einzigen Tankwagens kann das Zünglein an der Waage sein, die darüber entscheidet, ob ein Akw außer Kontrolle gerät oder rechtzeitig gesichert werden kann. Tornados stellen eine potentielle Gefahr für Akws dar, von der angenommen werden kann, daß sie im Rahmen klimatischer Veränderungen steigt.



Fußnoten:

[1] "Residents mourn dead after tornadoes kill 38 in US", TerraDaily/AFP, 4. März 2012
http://www.terradaily.com/reports/Residents_mourn_dead_after_tornadoes_kill_38_in_US_999.html

[2]"Alabama Nuclear Power Plant Loses Power From Tornadoes, Could Be Down For Weeks", Huffington Post, 28. April 2011
http://www.huffingtonpost.com/2011/04/28/alabama-tornadoes-nuclear-power-2011_n_854929.html

[3] "Tornado Alley' reactor not fully twister-proof", Associated Press, 26. Mai 2011
http://www.foxnews.com/us/2011/05/26/tornado-alley-reactor-fully-twister-proof/#ixzz1NdBkEePS

[4] "Good Question: What If A Tornado Hit A Nuclear Power Plant March", WCCO-TV, 14. März 2011
http://minnesota.cbslocal.com/2011/03/14/good-question-what-if-a-tornado-hit-a-nuclear-power-plants/

11. März 2012