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ATOM/421: Klage gegen Sellafield-Betreiber (SB)


Verstrahlter Abfall versehentlich auf Müllkippe gelandet



Der Betreiber des Nuklearkomplexes Sellafield im Norden Englands mußte einräumen, daß er radioaktiven Abfall zu einer Müllkippe gesandt hatte, die für den Umgang mit solchem Strahlenmüll nicht ausgelegt ist. Der Vorfall wurde jedoch aufgedeckt, nun klagt die britische Umweltbehörde (EA - Environment Agency) gegen das Unternehmen Sellafield Ltd, wie die Zeitung "The Guardian" [1] berichtete. Am Donnerstag, den 7. Februar, fand hierzu die erste Gerichtsanhörung statt.

Im April 2010 waren vier Beutel mit Plastikmüll, gebrauchter Kleidung, Wischtüchern, Holz und ähnlichen Dingen zur Müllkippe Lillyhall in Workington, Grafschaft Cumbria, gesandt worden. Sie hätten aber zur Entsorgungsstelle für schwach radioaktiven Abfall in Drigg gebracht werden müssen. Nach Angaben von Sellafield Ltd. kam der Irrtum zustande, weil eine neue Überwachungsanlage den Abfall der Kategorie "allgemein" zugeordnet hatte. Das hatte zur Folge, daß das Material keiner strengen Strahlenkontrolle unterworfen werden mußte.

Ergänzend zum Guardian berichtete die Zeitung Whitehaven News [2], daß das Verfahren von der Umweltbehörde gemeinsam mit der Atomaufsichtsbehörde (ONR - Office for Nuclear Regulation) angestrengt wird und sieben Anklagepunkte umfaßt. Bei dem Vorfall hätten fünf Beutel bereits die Kontrolle in Sellafield Ltd. passiert. Von diesen seien vier schon nach Lillyhall gesandt worden. Einer der Beutel war seinerseits auf fünf weitere Beutel aufgeteilt worden. Der Vorfall wurde nur aufgrund einer Übung im Nuklearkomplex Sellafield entdeckt.

Sämtliches leicht verstrahlte Material wurde eingesammelt und wieder nach Sellafield zurückgebracht. Menschen kamen angeblich nicht zu Schaden. EA-Teamleiter Dr. Rob Allot schätzte die Gefahr, daß bestimmte Personengruppen der Radioaktivität ausgesetzt worden wären, als "hochwahrscheinlich" ein; der Abfall enthalte allerdings einen "geringen Risikofaktor", erklärte er. [2]

So geringfügig der Vorfall auch erscheint, er steht in einer Serie von Stör- und Unfällen der Nuklearwirtschaft weltweit, bei denen teilweise Menschen zu Schaden kamen. Auch schwerwiegende Vorfälle wie der Reaktor-GAU von Tschernobyl 1986 werden häufig durch vermeintlich kleine Fehler ausgelöst. Allein die Geschichte des Nuklearkomplexes Sellafield, auf dem es 1957, als die Anlage noch Windscale hieß, zu einem schweren Brand mit massiver Freisetzung von Strahlenpartikeln kam, ist von solchen "Nachlässigkeiten" geprägt - sämtlichen Beteuerungen der Betreiber zum Trotz, daß sie alle Anstrengungen unternehmen, damit keine Unfälle passieren. Deswegen vermag auch die aktuelle Erklärung der Sellafield-Sprecherin Eleanor Sanderson, daß die Belegschaft "unermüdlich" daran arbeite, die Sicherheit auf der Anlage zu bewahren, kaum zu beruhigen [2].

Zwar liegt der Windscale-Brand, der auf der siebenstufigen Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) mit Ernster Unfall (Stufe 5) angegeben wird, mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, aber noch heute werden der im Anschluß an den Unfall stillgelegte Kernreaktor und die ihm zugeordneten Abklingbecken zurückgebaut.

Im April 2005 wurde in einem Betriebsteil auf dem Sellafield-Gelände ein Leck entdeckt, durch das über Monate hinweg insgesamt etwa 83.000 Liter einer hochradioaktiven Flüssigkeit abgeflossen waren, ohne daß dies bemerkt worden wäre. Die Flüssigkeit, die unter anderem das gefährliche Plutonium enthielt, war zum Glück für die Betreiber in ein Becken geflossen. Die Verantwortung für den Störfall, der von internationalen Atomexperten als "ernst" (INES 3) eingestuft wurde, oblag der BNG (British Nuclear Group), die damals für die Stillegung der Reaktoren in dem Nuklearkomplex zuständig war.

Im Juli 2007 gewann die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen Prozeß gegen das Vereinigte Königreich. Durch das Urteil wird bestätigt, daß die laut Euratom-Vertrag durchzuführenden Kontrollen der Wiederaufbereitungsanlage unter anderem wegen der hohen Radioaktivität vor Ort nicht möglich sind. Sellafield soll nun insgesamt außer Betrieb genommen und zurückgebaut werden. Die vorläufigen Kosten hierfür werden mit umgerechnet fast 80 Milliarden Euro angegeben.

Begriffe wie Stillegung und Rückbau erwecken den Eindruck, daß man die Strahlengefahr aus der Welt schaffen könnte. Das trifft nicht zu. Selbst wenn alles nach Plan verläuft, zöge sich der Rückbau voraussichtlich bis ins nächste Jahrhundert hin. Der Gewinn dieser Bemühung bestünde dann bestenfalls darin, daß die verstrahlten Materialien zerlegt und eingekapselt sind. Ob wiederum die "Verpackungen" halten, weiß man nicht, da dies eine Frage ist, die man erst in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten beantworten kann. Die Halbwertszeiten, die angeben, wie lange es dauert bis die Hälfte eines radioaktiven Elements natürlicherseits zerfallen ist, können je nach Material Jahrhunderte bis Jahrtausende betragen. Kein Mensch hat Erfahrung mit radioaktiven Endlagern.

Die "Endlagerung" von über 100.000 Fässern mit radioaktivem Abfall im Bergwerk Asse in Niedersachsen zeigt, daß Strahlenmüll nicht aus der Welt ist, nur weil er in die Erde versenkt wurde. In die Asse dringt Wasser ein und läßt die mit Strahlenmüll gefüllten Fässer korrodieren. Es besteht die Gefahr einer großmaßstäblichen radioaktiven Verseuchung der gesamten Region durchs Grundwasser. Eine Bergung der Fässer wäre nicht nur immens teuer, sondern überstiege womöglich die technischen Fertigkeiten.

Nach einem Standort für hochradioaktiven Abfall wird sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich gesucht. Ende Januar stimmte das Kabinett der Grafschaft Cumbria mit 7 zu 3 Stimmen gegen die Fortsetzung der Erkundung eines Endlagers der Region [3]. Zuvor hatten Geologen erklärt, daß das untersuchte Gestein nicht sicher genug für die Einlagerung von Strahlenmüll über Jahrtausende hinweg ist.


Fußnoten:

[1] http://www.guardian.co.uk/environment/2013/feb/07/sellafield-prosecuted-radioactive-waste-disposal?intcmp=122

[2] http://www.whitehavennews.co.uk/news/sellafield-sent-nuclear-waste-to-landfill-1.1033581?referrerPath=home

[3] http://www.guardian.co.uk/environment/2013/jan/30/cumbria-rejects-underground-nuclear-storage

8. Februar 2013