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ATOM/423: Von Hanford nach New Mexico - neues Endlager, neues Glück? (SB)


Strahlende Erblast für die Ewigkeit

Wie in den USA Strahlenmüll "entsorgt" wird und sich das Beseitigungsproblem doch immer weiter fortsetzt



Auch die Vereinigten Staaten haben ein "Asse"-Problem. In dem ehemaligen Salzbergwerk Asse in Niedersachsen werden über 125.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll gelagert, die teilweise leckgeschlagen sind, mit eindringendem Grundwasser in Berührung kommen und wieder ans Tageslicht geholt werden sollen. Anschließend soll der Strahlenmüll "sicher" verpackt und abermals unter der Erde gelagert werden. Das ist sowohl mit enormen Kosten, für die letztlich die Steuerzahler aufkommen müssen, als auch erhöhten Gesundheitsgefahren für die Arbeiter, die mit dem Strahlenmüll hantieren, verbunden.

Technisch gesehen hat das US-Energieministerium (United States Department of Energy) als verantwortliche Institution für die Dekontamination des Geländes der ehemaligen Kernwaffenproduktionsstätte Hanford (Hanford Nuclear Reservation) im US-Bundesstaat Washington ähnliche Probleme. Unter anderem lagert dort atomarer Abfall in 177 unterirdischen Tanks, von denen 149 einwandig ausgelegt sind. Von diesen sind im Laufe der Jahre bereits etliche Dutzend durchgerostet. Sie mußten entleert werden, wobei oftmals Schlämme zurückblieben, die das Erdreich weiter kontaminierten. Es wird vermutet, daß aus allen Tanks zusammengenommen bislang fast vier Millionen Liter flüssiger Strahlenmüll in die Umwelt gelangt sind. Im Februar dieses Jahres wurde gemeldet, daß aus weiteren sechs Tanks permanent hochradioaktive Flüssigkeiten auslaufen. [1]

Luftbildaufnahme in schwarz-weiß - Foto: United States Department of Energy

Hanford-Gelände mit N-Reaktor im Vordergrund und weiteren Reaktoren entlang des Columbia-Flusses, Januar 1960
Foto: United States Department of Energy

Eine akute Gefahr für die Bevölkerung aufgrund der aktuellen Strahlenfreisetzung besteht nach offiziellen Angaben nicht. Der kontaminierte Bereich könnte sich allerdings auf den unmittelbar am Hanford-Gelände vorbeiziehenden Fluß Columbia zubewegen, von dem die Anwohner des Unterlaufs Wasser beziehen und der ein wichtiges Laichgebiet für Lachse ist. Da aber die Tanks nicht in jenem Teil dieses 1517 km² großen Nuklearkomplexes liegen, der unmittelbar an das Flußufer grenzt, und angeblich auch das Grundwasser noch nicht betroffen ist (zumindest nicht aufgrund jener sechs Tanks, deren Lecks erst im Februar gemeldet wurden), besteht zur Zeit keine Gefahr einer Verschleppung der radioaktiven Substanzen über das Gelände hinaus.

Indes lassen zwei große Anlagen, die zum Zweck der Grundwasseraufbereitung gebaut wurden, und zahlreiche weitere Installationen des Grundwasserschutzes auf dem weitläufigen Hanford-Gelände ahnen, daß ohne diese aufwendigen Maßnahmen der Columbia sehr wohl gefährdet wäre.

Ganz zu schweigen davon, daß die Atombombenbauer in der Vergangenheit wissentlich radioaktive Substanzen in den Fluß einleiteten. Die Reaktoren besaßen nur einen Kühlkreislauf. Das erhitzte Kühlwasser enthielt radioaktive Nuklide, die in den höchstens sechs Stunden, die sie in "Rückhaltebecken" verbrachten, bevor sie in den Columbia gepumpt wurden, längst nicht alle zu harmlosen Nukliden zerfallen waren. Erst 1972 wurde diese Praxis eingestellt. Die Strahlenpartikel waren stromabwärts noch in über 350 Kilometern Entfernung vor der Küste des US-Bundesstaats Oregon nachgewiesen worden.

Die US-Regierung hatte vor der Bevölkerung geheimgehalten, daß das Wasser und die Fische aus dem Columbia potentiell radioaktiv kontaminiert waren. Dieses Verhalten der Politiker gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Menschen, die Atombomben auf die Bevölkerung eines anderen Staates werfen, keine prinzipiell andere Einstellung gegenüber der "eigenen" Bevölkerung haben. Müßte ansonsten nicht deren gesundheitliche Unversehrtheit für sie oberste Priorität besitzen?

Luftbildaufnahme einer fabrikgroßen Anlage - Foto: United States Department of Energy

'200 West' - eine von zwei größeren Grundwasseraufbereitungsanlagen auf dem Hanford-Gelände
Foto: United States Department of Energy

Die verschiedenen Substanzen in den Hanford-Tanks stammen zwar unter anderem aus dem Betrieb von Atomreaktoren, aber diese besaßen nicht die Aufgabe, elektrischen Strom für die kommerzielle Nutzung zu produzieren. Auf dem Hanford-Gelände wurde ursprünglich im Rahmen des geheimen Manhattan Projects Plutonium zum Bau von Kernwaffen produziert, so auch das Plutonium für die Bombe 'Fat Man', die am 9. August 1945 auf Nagasaki (Japan) abgeworfen wurde. Damals wurden auf einen Schlag mehrere zehntausend Menschen getötet, eine noch viel größere Zahl verendete nach Wochen des Siechtums oder jahrelangem Leiden.

1963, zur Blütezeit des Kalten Kriegs, reihten sich auf dem Nuklearkomplex Hanford entlang des Columbia neun Kernreaktoren; es gab fünf Wiederaufbereitungsanlagen und über 900 weitere Gebäude sowie zahlreiche unterirdische Tanks. Auf dem Gelände wurde der größte Teil des Plutoniums für die rund 60.000 Atombomben der US-Regierung hergestellt. Kein anderes Nukleargelände der westlichen Welt ist so verseucht wie die Hanford Site. Die US-Regierung wendet jedes Jahr rund sechs Milliarden Dollar auf, um landesweit den Strahlenmüll zu beseitigen - von dieser Summe wird rund ein Drittel allein für die Rückbau- und Dekontaminationsaktivitäten auf dem Hanford-Gelände, die hauptsächlich von Privatunternehmen ausgeführt werden, verbraucht.

Wenn von "Tanks" die Rede ist, könnte leicht die Vorstellung aufkommen, daß es sich um ein Art Heizöltanks handelt, wie man sie vielleicht vom eigenen Haushalt her kennt. Dieser Vorstellung trifft insofern nicht zu, als daß die Hanford-Tanks mit einem Fassungsvermögen zwischen 250.000 und 4.546.000 Litern nicht nur ungleich größer sind, sondern daß zu ihnen auch zahlreiche Apparaturen und andere Einrichtungen gehören, die beispielsweise dafür sorgen müssen, daß die im Innern permanent produzierte Wärme abgeführt oder die Giftsuppe umgerührt wird. Darüber hinaus muß bei vielen der mit flüssigem Atommüll befüllten Tanks der sich ständig von neuem bildende Wasserstoff abgelassen werden, damit kein explosives Gasgemisch entsteht. Die Tanks stehen also unter permanenter Beobachtung, zumindest in den Bereichen, die zugänglich sind. [2]

Drei Arbeiter in Strahlenschutzanzügen - Foto: United States Department of Energy

Arbeiter messen Strahlung außerhalb eines unterirdischen Tanks, 22. Oktober 2010
Foto: United States Department of Energy

Was genau die Tanks enthalten, sei den Verantwortlichen oftmals nicht klar, sagte Donna Busche, ehemalige Managerin für nukleare Sicherheit der Hanford Site. [3] Abgesehen von verschiedenen radioaktiven Substanzen, die bei der Produktion des Atombombenmaterials angefallen sind, wurden in ihnen auch andere Chemikalien, wie sie beispielsweise bei der Plutoniumgewinnung eingesetzt wurden, aufbewahrt. Das hatte zur Folge, daß sich in einigen Tanks regelrechte Giftmischungen befanden, die ständig köchelten und Gase bildeten. Der Gouverneur von Washington State, Jay Inslee, soll einmal den Inhalt der Tanks als "Hexengebräu" bezeichnet haben. [4]

Für Unruhe bei der Hanford-Belegschaft hatte ein Tank gesorgt, der ungefähr alle drei Monate regelrecht aufgestoßen hat. In dem Tank mit der Bezeichnung SY-101 hatte sich eine feste Kruste aus verschiedenen, teils radioaktiven Chemikalien gebildet, die Blasen bildete und sich allmählich aufwölbte, um jeweils nach etwa 100 Tagen in einem gewaltigen Rülpser umzukippen. "Ich stelle keine Behauptungen zu diesem Tank auf", sagte Donald Oakley, Umweltexperte im Ruhestand des Los Alamos National Laboratory, der das US-Energieministerium beraten hat. "Ich bin nicht davon überzeugt, daß irgend jemand die chemischen und physikalischen Vorgänge in dieser Kruste versteht", wird er von der New York Times (27.9.1999) zitiert. [5]

Aufgehender, Blasen bildender Hefeteig in Blechform - Foto: Flavio Piacenza, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Manche Tankfüllungen verhalten sich wie Hefeteig - nur daß sie im Gegensatz dazu ungenießbar sind
Foto: Flavio Piacenza, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Das Problem des rülpsenden Tanks ist inzwischen behoben, andere Probleme dagegen sind es nicht. Nun soll der Inhalt jener sechs maroden Tanks geborgen und ein Teil davon in das relativ neue, unterirdische Endlager WIPP (Waste Isolation Pilot Plant; z. dt.: Abfall-Isolations-Pilotanlage) nahe Carlsbad in New Mexico gefahren werden. [6] Die Anlage, im März 1999 in Betrieb genommen, wurde fünf Jahre darauf modifiziert, da sie einen Teil des radioaktiven Abfalls, für den ursprünglich der Yucca Mountain im US-Bundesstaat Nevada als Endlager vorgesehen war, aufnehmen sollte. Das Vulkangestein des Yucca Mountains ließ jedoch das Regenwasser schneller durchsickern, als die mit der Projektplanung betrauten Experten zunächst behauptet hatten. Deshalb hat US-Präsident Barack Obama dieses Endlagerkonzept auf Eis gelegt, und bis jetzt gibt es keinen Grund anzunehmen, daß er von seiner Entscheidung wieder Abstand nehmen wird.

Doch selbst Bill Richardson, der bei der Eröffnung der WIPP im Jahr 1999 noch Energieminister der USA war, lehnte fünf Jahre darauf als Gouverneur von New Mexico einen Vorschlag seines früheren Ministeriums, andere radioaktive Abfallklassen als die im ursprünglichen Konzept für die WIPP vorgesehenen einzulagern, kategorisch ab.

Die aktuellen, auf den 22. April 2013 datierten "Waste Acceptance Criteria" (Abfall-Akzeptanzkriterien) des US-Energieministeriums besagen, daß von der WIPP keine Flüssigkeiten angenommen werden dürfen. [7] (Diese Einschränkung hat mit dem Endlagerkonzept zu tun, das weiter unten beschrieben wird.) Dennoch griff das US-Energieministerium in einer Presseerklärung vom 6. März 2013 sein ursprüngliches Anliegen erneut auf und schrieb, es wolle rund 12 Mio. Liter radioaktive Schlämme aus 20 Hanford-Tanks in das Endlager von New Mexico bringen. Die Bundesbehörde gibt sich sogar sehr zuversichtlich, daß das im Einklang mit den Bestimmungen der WIPP geschehen könne. [8]

Möglicherweise sollen die Schlämme aus den undichten Hanford-Tanks getrocknet und dann in feststofflicher Form zum Endlager gebracht werden. Jedenfalls ist die milliardenschwere Verglasungsfabrik, die auf dem Hanford-Gelände gebaut wird, um radioaktive Flüssigkeiten in Glas einzuschmelzen (Vitrifikation) und damit Edelstahlbehälter zu füllen, so daß das strahlende Erbe auf dem Gelände selbst gelagert werden kann, erst zur Hälfte fertiggestellt und wird daher in absehbarer Zeit nicht in Betrieb gehen. Das Problem der durchgerosteten Tanks muß jedoch schneller gelöst werden.

Die Abfall-Isolations-Pilotanlage in Carlsbad gilt als sicher, wobei das eine recht gewagte Interpretation der wissenschaftlichen Daten ist. Umweltorganisationen wie das Southwest Research and Information Center (SRIC) [9] protestieren sowohl gegen den Betrieb der Anlage selbst als auch die aktuellen Pläne des US-Energieministeriums. Die WIPP habe schon zu einer Zeit den Betrieb aufgenommen, als noch gar nicht alle Genehmigungen vorlagen, wird kritisiert. Nun wolle das Energieministeriums die Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen lockern, weil sie gar nicht eingehalten werden können, und die WIPP über die bisher geplanten Aufnahmemengen von radioaktiven Substanzen hinaus befüllen! Das Energieministerium soll nicht über irgendwelche Nutzungserweiterungen der WIPP nachdenken, sondern besser die bestehenden Probleme in Angriff nehmen, fordert die SRIC, die darauf anspielt, daß sich an manchen Stellen der unterirdischen Anlage der Stollenboden hebt und an anderen Stellen die Decke nach unten durchbiegt. [10]

Lkw mit zwei Nuklearcontainern auf einer bergigen Landstraße - Foto: United States Department of Energy

Unfallträchtig - Atomtransport über Berg und Tal
Foto: United States Department of Energy

Das Konzept, den Inhalt der Hanford-Tanks über eine Strecke von mehr als 2500 Kilometer quer durch mehrere Bundesstaaten zur WIPP zu bringen, bedarf zwar noch der Zustimmung von zwei Staatsregierungen und des Kongresses, aber bislang wurden von keiner Seite prinzipielle Einwände gegen den stets mit einem höheren Unfallrisiko verbundenen Transport von Atommaterial erhoben, so daß mit einer Einigung zu rechnen ist.

Die Abfall-Isolations-Pilotanlage wurde in einer geologischen Salzformation in mehreren hundert Metern Tiefe angelegt. Dort wird bereits schwachradioaktiver Abfall (Schutzkleidung, Werkzeuge, etc.) eingelagert, unter anderem 25.000 Tonnen sogenannter transuranischer Abfall aus der Atombombenfabrik Hanford. Dieser enthält zwar große Mengen an sogenannten Alphastrahlern - die Reichweite dieser Strahlungsart ist gering, doch können die radioaktiven Partikel Krebs auslösen, wenn es zum Hautkontakt kommt oder wenn sie in den Körper gelangen -, aber er ist weniger gefährlich als hochradioaktiver Abfall, da die Strahlung so weit abgeklungen ist, daß der Müll nicht mehr ständig wassergekühlt werden muß.

Die Dekontamination von Hanford und der Transport eines kleinen Teils der weit über 200 Millionen Liter des "Hexengebräus", das auf dem Gelände lagert, dürfte sich jedoch verzögern, denn das Energieministerium muß wie alle Ministerien und auch die Staatsregierungen sparen, da sie der Ausgabenkappung (sequester) zur Haushaltssanierung unterworfen sind. So kündigte Gouverneur Jay Inslee an, daß er 92 Mio. Dollar für sein Office of River Protection (Büro für Flußbewahrung) streichen wird. Das könnte auf eine Beurlaubung von mehreren hundert Arbeitern hinauslaufen, die mit der Entleerung der Tanks und dem Bau einer Fabrikanlage, in der das radioaktive Material aufbereitet wird, befaßt sind.

Das Energieministerium hatte zum 1. April 2013 die Beurlaubung oder Entlassung von 4800 der 9000 Beschäftigten in Hanford, die hauptsächlich bei privaten Unternehmen angestellt waren, angekündigt. Schon zwischen Ende 2011 und Januar 2013 waren rund 1200 Arbeiter entlassen worden. Solche finanzpolitischen Entscheidungen bergen die Gefahr, daß das Sicherheitsniveau auf der Hanford Site abgesenkt wird und notwendige Dekontaminationsarbeiten nicht ausgeführt werden.

Transuranic Package Transporter (TRUPACT II) mit drei großen Containern als Fracht auf der beschilderten Zufahrtsstraße zur WIPP - Foto: United States Department of Energy

Ankunft des Gefahrguts am Endlagerstandort, 1.10.1996
Foto: United States Department of Energy

Sollte nun ein weiterer Teil des atomaren Abfalls aus Hanford in der WIPP eingelagert werden, wäre damit das Problem der undichten Tanks nur vordergründig behoben. Das Strahlenmaterial würde von A nach B verschoben, wäre aber nicht aus der Welt. Die Skepsis der Umweltschützer bezieht sich nicht zuletzt auf die Frage, ob die Salado-Formation des Delaware-Beckens überhaupt als Endlager geeignet ist.

Die Entstehungsgeschichte eines Salzstocks, wie er im wendländischen Gorleben seit mehreren Jahrzehnten als mögliches Endlager für hochradioaktiven Atommüll aus Deutschland gehandelt wird, läßt auf hochdynamische Vorgänge im Untergrund schließen. Die Fließbewegung des Salzes in der Salado-Formation gilt zwar als seit 250 Mio. Jahren abgeschlossen, aber dennoch könnte aufgrund der vertikalen Zerklüftung des Salzgesteins Grundwasser in die Lagerräume eindringen. Außerdem sind in dem Salzstock dünne, horizontal verlaufende Lehmschichten eingelagert, die viel raschere Fließgeschwindigkeiten des Wassers erlauben als das Salzgestein. Das US-Energieministerium hält das Endlager für "essentiell" trocken - die Einschränkung spricht Bände.

Ein weiteres potentielles Sicherheitsproblem besteht darin, daß anscheinend rund um den WIPP-Standort Erdöl und Erdgas gefördert wird, wobei die Lagerstätten unter dem Endlager liegen. [11] Da bekannt ist, daß sich die Erdbebengefahr in solchen Fördergebieten erhöht, gesellt sich zu all den beschriebenen Risiken noch ein weiteres hinzu. Würden radioaktive Flüssigkeiten in der WIPP eingelagert, könnte es geschehen, daß das Salz, das im Laufe der Zeit die Hohlräume ausfüllen soll, die Behälter zerquetscht. In dem Fall würde der flüssige Inhalt entweichen und Wege nehmen, die nach dem Verschließen der Anlage niemand mehr kontrollieren kann.

Die von US-Präsident Barack Obama am 20. Januar 2010 eingesetzte Blue Ribbon Commission on America's Nuclear Future, die sich von der administrativen Seite her der umfänglichen Probleme des hochradioaktiven Strahlenmülls annehmen und Pläne für den Umgang mit dem gefährlichen Material vorschlagen soll, kommt zwei Jahre nach ihrer Einberufung zu dem Schluß, daß die WIPP zeige, daß Nuklearabfall über große Entfernungen sicher transportiert und in einem tiefen Bergwerksendlager verbracht werden kann. [12]

Schemazeichnung der ober- und unterirdischen Anlage - Schaubild: United States Department of Energy

Schematischer Aufbau der Abfall-Isolations-Pilotanlage (WIPP) und stratigraphische Abfolge der Sedimentschichten (rechte Seite)
Schaubild: United States Department of Energy

Die Umweltorganisation CARD (Citizens for Alternatives to Radioactive Dumping) vertritt klipp und klar den Standpunkt, daß der Salzstock nicht als Endlager für radioaktiven Abfall geeignet ist, und begründet dies mit einer Reihe von Einwänden. Beispielsweise könnte sich das in den Salzkristallen eingebettete Wasser sammeln und in das Lager eindringen, befürchten die "Bürger für Alternativen zur radioaktiven Verkippung". Außerdem würde Wasser in den Hauptentlüftungsschacht (Exhaust Shaft), der alle Schichten oberhalb der etwa 650 Meter tiefen Anlage durchstößt und dabei auch grundwasserführende Schichten passiert, fließen. Des weiteren sei davon auszugehen, daß Oberflächenwasser allmählich in den Untergrund läuft, schreibt die Organisation. Die Container würden korrodieren und der Inhalt käme in Kontakt mit Wasser, das daraufhin in die Umgebung entwiche. Die Salzlake ihrerseits reagiere mit bestimmten Anteilen des Atommülls und produziere Gase, welche Druck auf die Kammern ausüben und radioaktive Substanzen in die Umgebung pressen könnten. Auch könnte es geschehen, daß die in den Fässern produzierte Wärme dafür sorgt, daß Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Innerhalb eines Containers entstünde eine potentiell explosive Umgebung. [13]

Der Hauptentlüftungsschacht sei zwar mit Strahlendetektoren (CAMs - Continuous Air Monitors) ausgestattet, aber einige hätten in der Vergangenheit beim Nachweis von Plutonium schon mal Leistungseinbußen von bis zu 90 Prozent verzeichnet, schreibt die Organisation CARD. Aus nachvollziehbaren Gründen bezweifelt sie, daß CAMs, die nur noch zu 10 Prozent leistungsfähig sind, ordnungsgemäß arbeiten und sämtliche vorbeiströmenden Alphateilchen erwischen, bevor sie in die Umwelt entweichen. Auch könnten die CAMs selbst durch das eindringende Wasser beschädigt werden, wird zu bedenken gegeben.

Ein weiterer Grund, weswegen das Endlager WIPP nicht als vollständig trocken bezeichnet werden kann, hat mit den besagten dünnen Lehm- und Anhydritschichten innerhalb der Salado-Formation zu tun. Solche Einlagerungen dienen Geologen manchmal als Marker zur zeitlichen Einordnung von Schichtabfolgen ihrer Bohrkerne, da sich die dünne Lehmschicht über Dutzende bis Hunderte von Kilometern erstrecken kann. Laut CARD können sich Flüssigkeiten entlang dieser Markerschichten rund 1000 mal schneller bewegen als in ihrem salzigen Umfeld. Außerdem wirft die Organisation die Frage auf, ob nicht all die vielen Schächte und Brunnen, die für die WIPP gebaut wurden und nun sämtliche Gesteinsschichten (einschließlich der Markerschichten) durchstoßen, später einmal als Einfallstore für das Wasser in die Anlage dienen werden.

Die Environmental Evaluation Group (EEG), die für den Bundesstaat New Mexico die Sicherheit der WIPP überwacht, und das US-Energieministerium bewerten die hydrogeologischen Voraussetzungen und damit die Sicherheit der Anlage vollkommen anders als die Umweltinitiativen. Die EEG geht davon aus, daß das eines Tages abgeschlossene Endlager so lange ausreichend dicht bleiben wird, bis die Strahlung innerhalb des Lagers auf harmlose Werte abgeklungen ist. Die Erwartung gründet sich nicht zuletzt darauf, daß das Salz fließen kann und nach der Verfüllung mit radioaktivem Abfall sämtliche Hohlräume aufgefüllt und quasi versiegelt werden. Dieser Vorgang wäre nach schätzungsweise 75 Jahren abgeschlossen.

Ob die Anlage dann ihren Namen verdient und das Strahlenmaterial "isoliert" ist? Immerhin klingt die Radioaktivität erst in vielen tausend Jahren ab. Nährt nicht ausgerechnet die Fließfähigkeit des Salzes den Verdacht, daß im Zuge solcher geologisch-dynamischen Vorgänge auch Wasser "mitbewegt" wird?

Luftbildaufnahme, schwarzweiß - Foto: United States Department of Energy

12 von insgesamt 177 Tanks, die auf der Hanford Site gebaut wurden
Foto: United States Department of Energy

Jene heute maroden Hanford-Tanks waren auf eine Betriebsdauer von nur 20 Jahren ausgelegt, wurden schon lange über diese Zeit hinaus genutzt und haben bereits in den 1950er Jahren angefangen durchzurosten. Die doppelwandigen Tanks halten natürlich länger. Aber auch sie scheinen allmählich zu zerfallen, was nicht verwundert, denn es handelt sich mehr oder weniger um zwei einwandige Tanks, die in einem Abstand von einigen Dezimetern ineinandergestellt wurden. Es dauert etwas länger, bis sich die strahlende Giftbrühe durch beide Wandungen durchgefressen hat, aber bei der Innenwandung eines Tanks hat der Prozeß schon begonnen, wie einem Bericht der Hanford-Betreiber vom Oktober 2012 zu entnehmen ist. [14]

Erstmals war im Jahr 2011 ein Leck in einem der doppelwandigen Tanks entdeckt worden, und zwar ausgerechnet in dem Tank mit der Bezeichnung AY-102. Mike Geffre, der den Schaden meldete, berichtete gegenüber dem Radiosender King 5, daß jener Tank das "übelste des üblen Zeugs" in Hanford enthält. Würde man sich einen Tank aussuchen, von dem man sich am wenigsten wünschte, daß er undicht wird, sei das AY-102. [15]

Das hat nicht nur mit dem heißen, hochgiftigen Inhalt zu tun, auf den Geffre abhebt, sondern auch damit, daß eben dieser Tank dafür vorgesehen war, der Abfallbehandlungsanlage (Waste Treatment Plant) flüssigen Nuklearabfall zuzuführen. Dazu sollte AY-102 mit dem Inhalt der anderen Tanks befüllt werden, was nun nicht mehr in Frage kommen dürfte. Im Oktober 2012 gelangte ein Leak Assessment Team (Leckage-Ermittlungsteam) zu dem Schluß, daß in den Ringraum zwischen den beiden Tanks 700 bis 2000 Liter hochradioaktive Flüssigkeit eingedrungen waren.

Vielleicht kommen in Hanford eines Tages Verfahren wie das Einschmelzen der radioaktiven Flüssigkeit in Glaskokillen zum Tragen oder es werden neue Technologien entwickelt, so daß der Atommüll eine längere Zeit von der Umwelt isoliert werden kann als heute. In Anbetracht der Problematik, die sich aus der spezifischen Salzformation mit ihren eingelagerten Lehm- und Anhydritschichten ergibt, kommen allerdings Zweifel auf, ob das Endlager in New Mexico 1000 Jahre und länger dicht bleiben wird.

Nach den Hanford-Tanks als Zwischenlager soll die WIPP zum Endlager für den gleichen Strahlenmüll werden. Aber wieviele Lager werden noch gebraucht? Wie oft muß der radioaktive Abfall aus der Kernwaffenproduktion aus der Erde geholt und neu verbracht werden, bis daß die Strahlung auf ein gefahrloses Niveau abgeklungen ist?

Die Problematik, die hier beispielhaft an der aufwendigen Verbringung von Strahlenmüll aus der Atombombenproduktionsstätte Hanford aufgezeigt wird, stellt sich genauso bei der zivilen Atomenergieproduktion. Radioaktive Substanzen wie Plutonium sind noch Zehntausende von Jahren hochgefährlich für Mensch und Umwelt. Bisher halten die Verbringungsmethoden gerade einmal wenige Jahrzehnte, und auf der ganzen Welt existiert nicht ein einziges Endlager für hochradioaktiven Abfall. Das US-Energieministerium hat sich in seiner Nuklearabfall-Strategie von Januar 2013 das Ziel gesetzt, ein solches Endlager im Jahr 2048 in Betrieb nehmen zu können. [16] Der Termin scheint wohl eher aus der Hoffnung denn aus der technisch-wissenschaftlichen Expertise geboren.

Der Bau der Atombombe stand am Beginn des nuklearen Zeitalters. Atomkraftwerke, in denen elektrischer Strom zu kommerziellen Zwecken produziert wurde, wurden erst viel später errichtet. Man könnte sie als Kollateralschaden dieser Entwicklung bezeichnen. Der Mensch hat mit seinen radioaktiven Emissionen in Luft, Wasser und Boden einen über unzählige Generationen hinweg nachweisbaren Fußabdruck auf dem Planeten hinterlassen. Eingedenk der zunehmenden Spannungen in der Welt scheinen jedoch die Probleme der Dekontamination der radioaktiven Verschmutzungen von Hanford, so immens sie auch sind, noch eher zu bewältigen zu sein als die Elimination der Voraussetzungen, warum solche Atomkloaken überhaupt entstehen: Das Streben nach alleinigem Besitz der Atombombe als ultimatives Gewaltmittel zwischenstaatlicher Konflikt"lösung".

Dreieckiges, rotes Warnschild mit Symbolen für Radioaktivität, Totenschädel und rennende Person - Bild: historicair, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Klare Botschaft: Nichts wie weg!
Bild: historicair, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://newsinfo.inquirer.net/363719/gov-6-underground-hanford-nuclear-tanks-leaking

[2] http://www.hanford.gov/news.cfm/DOE/DST%20Ventilation%20Statement.pdf

[3] http://www.opb.org/news/article/npr-hanford-cleanup-slows-while-tanks-leak-treatment-plant-stalls/

[4] http://blog.seattlepi.com/seattlepolitics/2013/02/22/six-hanford-tanks-leaking-radioactive-waste/

[5] http://www.nytimes.com/library/national/science/092799sci-nuclear-waste.html

[6] http://energy.gov/nepa/articles/doe-identifies-its-preferred-alternative-certain-hanford-tank-wastes

[7] http://www.wipp.energy.gov/library/wac/wac.pdf

[8] http://energy.gov/em/articles/doe-announces-preference-disposal-hanford-transuranic-tank-waste-wipp

[9] http://www.sric.org/nuclear/docs/Why%20WIPP%20not%20for%20SNF%20and%20HLW-1.pdf

[10] http://www.sric.org/voices/2001/v2n1/WIPP.php

[11] http://lajicarita.wordpress.com/2013/03/12/wipp-expanding-threat-to-public-health/

[12] http://cybercemetery.unt.edu/archive/brc/20120620220235/http://brc.gov/sites/default/files/documents/brc_finalreport_jan2012.pdf

[13] http://www.cardnm.org/repository_a.html

[14] http://www.hanford.gov/files.cfm/RPP-ASMT-53793%20-%20Rev%2000.PDF

[15] http://www.king5.com/news/investigators/Contractor-discounted-Hanford-leak-evidence-for-a-year-204201981.html

[16] http://energy.gov/sites/prod/files/2013%201-15%20Nuclear_Waste_Report.pdf

25. April 2013