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GENTECHNIK/302: EU-Kommission spielt Konzernen in die Hände (SB)


Opt-out-Regelung - ein Danaer-Geschenk

GVO-Novelle der EU-Kommission richtet sich nicht gegen die USA, sondern gegen die europäische Anti-Gentechnikbewegung


Die EU-Kommission hat das Zulassungsverfahren für genetisch veränderte Organismen (GVO) in Lebens- und Futtermitteln überprüft und eine Novelle der Rechtsvorschriften vorgelegt. Herausgekommen ist ein Danaer-Geschenk an die Mitgliedstaaten. Ihnen sollen mehr Möglichkeiten eingeräumt werden, "die Verwendung von auf EU-Ebene zugelassenen GVO in Lebens- und Futtermitteln in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen". [1]

Der Vorschlag könnte jedoch dazu verleiten, daß demnächst GVO-Zulassungsanträge nahezu widerspruchslos durchgewunken werden, weil der einzelne Mitgliedstaat die Möglichkeit des "Opt-outs" sowohl bereits für den Anbau von GVO-Pflanzen als auch - nach der jetzt vorgelegten Novelle - für GVO-Futter- und -Lebensmittel hat. Opt-out bedeutet, daß ein Mitgliedstaat die Zulassung von GVO auf seinem Territorium untersagen kann - wenn er das gut zu begründen weiß.

Indem die EU-Kommission ausgerechnet an dieser Stelle auf das Subsidiaritätsprinzip zurückgreift und keine EU-weit einheitliche Regelung für die Zulassung von GVO festlegt, spielt sie der Gentech-Lobby in die Hände. Denn eigentlich sind die EU-Bürgerinnen und -Bürger mehrheitlich gegen GVO, was theoretisch dazu hätte führen können, daß sich alle anderen der Mehrheitsmeinung anschließen müssen. Eine Überprüfung des Zulassungsverfahrens hätte somit auch zu einem generellen GVO-Verbot führen können.

Damit war natürlich nicht zu rechnen. Bekanntlich befürwortet die EU-Kommission die grüne Gentechnik und beruft sich dabei auf die Expertise der als wirtschaftsfreundlich geltenden Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA - European Food Safety Authority), wohingegen im EU-Rat bislang keine Mehrheit für die GVO-Zulassung zusammenkam (und auch nicht dagegen). Mit Blick auf die Verhandlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wächst der Druck auf die Europäische Union, die von der US-Regierung sowieso als bloße wirtschaftspolitisch motivierte Handelsbarriere der Europäer empfundene Beschränkung von GVO aufzuheben.

Nachdem also die EU-Kommission am 22. April ihren Legislativvorschlag präsentiert hat, der anschließend an das Europäische Parlament und den Rat weitergeht, äußerte sich zwei Tage darauf im Anschluß an die neunte Verhandlungsrunde des TTIP US-Chefunterhändler Dan Mullaney in New York dazu. Man sei von dem EU-Kommissionsvorschlag, demzufolge die einzelnen Mitgliedstaaten die Einfuhr von Biotechprodukten verbieten können, "bitter enttäuscht". Es sei schwer, den Vorschlag einerseits mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der EU, andererseits mit ihrem Wunsch nach einem einheitlichen Binnenmarkt in Übereinstimmung zu bringen. [2]

Sicherlich hätten sich die USA ein weitergehendes Entgegenkommen seitens der EU gewünscht. Aber Mullaney wäre niemals Washingtons Chefunterhändler für TTIP geworden, wenn er nicht das Danaergeschenk der EU-Kommission an die Gentechnikkritiker erkannt hätte. Indem er den Legislativvorschlag undiplomatisch heftig kritisiert, gibt er den "bösen Bullen", gegenüber dem sich die EU-Kommission mit ihrem vermeintlich "guten" Vorschlag profilieren kann. Dem widerspricht nicht, daß die USA eine uneingeschränkte Freigabe von GVO anstreben. Doch wenn Mullaneys Aussage dazu beiträgt, von einigen "Sonderbarkeiten" der Opt-out-Regelung abzulenken, hätte sie ihre Funktion erfüllt.

Denn die Möglichkeiten der EU-Mitgliedstaaten, die Verwendung von GVO zu verbieten, werden drastisch eingeschränkt. So heißt es in der Pressemitteilung der EU-Kommission zum Opt-out:

"Die Mitgliedstaaten müssen dabei belegen, dass ihre Opt-out-Maßnahmen mit dem EU-Recht, einschließlich der Grundsätze des Binnenmarkts, und mit den internationalen Verpflichtungen der EU (unter anderem den WTO-Regeln) vereinbar sind. Opt-outs müssen auf legitimen Gründen beruhen, die nicht mit denen identisch sein dürfen, die bereits auf EU-Ebene bewertet wurden, also Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt." [1]

Wenn ein Mitgliedstaat die "Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt" anders bewertet als die EU-Administration, darf er damit nicht das Opt-out begründen. Das ist eine bemerkenswerte Regelung, wenn man bedenkt, daß im Laufe der letzten Jahre innerhalb des EU-Rats über die Bewertung der Gefährlichkeit von GVO Dissens bestand. Jetzt auf einmal wird der Knoten zugunsten der GVO-Befürworter gelöst. Die Fachminister im EU-Rat könnten in Zukunft aber um so eher geneigt sein, einen GVO-Zulassungsantrag abzunicken, wenn sie noch die Opt-out-Regelung in der Hinterhand wissen. Wenn diese dann aus rechtlichen Gründen nicht durchkommt, kann ein Ratsmitglied gegenüber der eigenen, gentechnik-kritischen Bevölkerung den Standpunkt vertreten, man habe alles versucht, aber es habe nicht geklappt, weil die Brüsseler Betonköpfe das Sagen haben ...

Im Anschluß an Mullaneys Kritik auf der Pressekonferenz in New York versicherte EU-Verhandlungsführer Ignacio Garcia Bercero, daß alle Maßnahmen, die von einem EU-Mitgliedstaat ergriffen werden, auf einer "nicht-diskriminierenden" Grundlage beruhen müßten. "In keiner Weise" unterminiere der Vorschlag der EU-Kommission "unsere Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten". Wenn es zutrifft, was Bercero hier sagt, dann ist das ein weitgehendes Entgegenkommen, denn die USA betrachten jedes Gentech-Verbot als "Diskriminierung".

Fazit: Die EU-Kommission hört auf ihre erfahrungsgemäß wirtschaftsnahe EFSA und erteilt GVO grünes Licht; die gentechnik-ablehnenden Mitgliedstaaten werden auf die Zuschauerbank abgeschoben. Der zukünftige Flickenteppich an GVO-Bestimmungen innerhalb der EU dürfte sich allein schon aufgrund der enormen Schwierigkeiten, eine Trennung aufrechtzuerhalten, tendenziell in Richtung Zulassung der umstrittenen Technologie auflösen.

Am Freitag hat die EU-Kommission zum Abschluß eines zehnjährigen Genehmigungsprozesses 19 GVO-Produkte zugelassen. Elf davon stammen vom US-Konzern Monsanto, zu den weiteren Antragstellen gehören DuPont, Bayer und BASF. [3] Wenn das kein Dammbruch für GVO-Produkte ist ...


Fußnoten:

[1] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4777_de.htm

[2] https://ustr.gov/about-us/policy-offices/press-office/speechestranscripts/2015/april/opening-remarks-us-and-eu-chief

[3] http://www.seeddaily.com/reports/US_says_new_EU_plan_for_GMO_imports_is_no_solution_999.html

27. April 2015


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