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KLIMA/299: James Lovelock will Ozeane in CO2-Endlager umwandeln (SB)


Ausdehnung des CO2-Endlagers Atmosphäre auf die Ozeane

Haarsträubender Vorschlag des "Vaters" der Gaia-Hypothese


Es wurde schon eine Reihe von Lösungsvorschlägen veröffentlicht, wie angeblich die Zunahme des Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre gestoppt oder zumindest gebremst werden kann, und alle haben sich bei näherer Betrachtung als unbrauchbar, ja, teilweise sogar kontraproduktiv erwiesen. Das gilt auch für den jüngsten Vorstoß in diese Richtung. In einem 300 Wörter umfassenden Brief an das Wissenschaftsmagazin "Nature" (26.9.2007) schlugen James Lovelock, Vater der "Gaia-Theorie", derzufolge die Erde ein lebender Organismus ist, der sich selbst heilt (was der Menschheit teuer zu stehen käme), und Chris Rapley, ehemaliger Leiter des Britischen Antarktischen Dienstes und heute Direktor des Science Museum in London, vor, man solle lange Röhren senkrecht in den Ozeanen schwimmen lassen, um von unteren Schichten her kühles, nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche zu leiten. Das würde die Algenblüte anregen, und mit den abgestorbenen Algen würde ein Teil des beim Algenwachstum zuvor der Atmosphäre entzogenen Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) auf den Meeresgrund absinken und dort dauerhaft lagern. Gleichzeitig würden die Algen Dimethylsulphid emittieren, das zur Wolkenbildung betrage. Die wiederum würden das Sonnenlicht abhalten und damit der globalen Erwärmung entgegenwirken.

Die Röhren, die mittels Bojen in Position gehalten würden, besäßen einen Durchmesser von vielleicht zehn und eine Länge von 100 Metern, schlug Lovelock vor. Andere Forscher halten einen Durchmesser von drei und eine Länge von 300 Metern für geeigneter. Das kalte Wasser würde aufgrund natürlicher Wellenbewegungen in den Röhren aufsteigen und durch einfache Klappen am Rückfluß gehindert. Das US-amerikanische Unternehmen Atmocean hat bereits Versuche mit einer ähnlichen Technologie begonnen. Atmocean Geschäftsführer Phil Kithil hat ausgerechnet, daß mit 134 Millionen Röhren ein Drittel der anthropogenen Kohlendioxidemissionen gebunden werden könnten. Kithil räumte allerdings kürzlich gegenüber BBC News (26.9.2007) ein, daß hinsichtlich dieses Verfahrens noch sehr viele Fragen offen seien. Vor allem bereite ihnen die Versauerung der Ozeane Sorgen.

Das sollte es auch, denn Lovelock und Rapley schlagen nichts anderes vor, als die Weltmeere in ein Endlager für Kohlenstoff zu wandeln. Das erinnert an die Verklappung von Gülle in der Nordsee, das Versenken von Giftmüllfässern vor Somalia, die Verbringung von ausgedienten Autoreifen vor der US-amerikanischen Südküste oder auch das von Rußland praktizierte Verfahren, Fässer mit Nuklearabfall in der Japanischen See über Bord zu werfen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. All diesen Methoden liegt die Irrtumsvorstellung "aus den Augen, aus dem Sinn" zugrunde.

Das gilt auch für das Röhrenkonzept. Lovelock und Rapley erklärten zwar, daß dies keine langfristige Lösung sein könne, sondern daß damit nur etwas Zeit gewonnen werden solle, da das Kyoto-Protokoll und andere Klimaschutzmaßnahmen nicht so wirksam seien, um in der gebotenen Zeit zu nennenswerten Klimaveränderungen beitragen zu können, aber dennoch hätten die beiden Forscher nicht an ein renommiertes Wissenschaftsmagazin geschrieben, wenn sie ihre Idee nicht als einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz ansähen. Insofern müssen sie ihren Vorschlag einer kritischen Betrachtung unterziehen lassen.

Der auffällig parallele Verlauf der globalen, in Bodenhöhe gemessenen Temperaturkurve und der Kurve der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration seit Beginn der Industriealisierung deuten darauf hin, daß der Mensch und seine auf Verbrennung beruhende Technologie einen wesentlichen Anteil an der Erderwärmung hat. Der Mensch hat von jeher die Atmosphäre als wildes Endlager für Kohlendioxid und andere Treibhausgase benutzt - Lovelock und Rapley wollen das CO2-Endlager nun auf die Weltmeere ausdehnen. Zwar nehmen die Ozeane bereits natürlicherweise CO2 auf, aber mit dem Röhrensystem, so es denn funktioniert, würde der Vorgang beschleunigt werden. Das ist im höchsten Maße problematisch.

Regelmäßige Messungen des pH-Werts der Ozeane zeigen eine zunehmende Versauerung an. Durch einen vermehrten Kohlendioxid-Eintrag würde der Vorgang beschleunigt werden. Das ist schlecht für alle kalkbildenden Meeresbewohner, angefangen von den Kieselalgen bis zu den Korallen. Der Kalk löst sich auf, die marinen Lebewesen verlören ihren Schutz und damit ihre Lebensfähigkeit. Im übrigen haben Forscher festgestellt, daß die CO2-Aufnahmekapazität der Ozeane wesentlich geringer veranschlagt werden muß als vor einigen Jahren noch angenommen.

Desweiteren muß bedacht werden, daß kaltes Tiefenwasser bereits erhebliche Mengen an anorganischem Kohlenstoff enthält. Das würde an die Wasseroberfläche transportiert und aufgrund der dort herrschenden geringeren Druckverhältnisse in die Atmosphäre entweichen. Die Röhren, so warnt Scott Doney, Meereschemiker an der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) in Massachusetts, würden das genaue Gegenteil von dem bewirken, was mit ihnen beabsichtigt werden sollte: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre würde nicht verringert, sondern verstärkt.

Und es spricht ein weiterer schwerwiegender Einwand gegen das Röhrenkonzept. Von dem Vater der Gaia-Hypothese hätte man eigentlich etwas anderes erwarten können, denn auch wenn die Gaia-Vorstellung ziemlich harmonistisch ist, so wird in ihr zumindest der Versuch erkennbar, umfassendere Zusammenhänge begreifen zu wollen.

Typischerweise wird jedoch nur eine Seite der Medaille betrachtet: Kaltes Wasser steigt auf und treibt die Algenblüte voran. Dabei wird vergessen, daß im gleichen Verhältnis warmes Wasser in größere Tiefen gelangt. Es kommt zu einer Durchmischung der - je nach Röhrenlänge - obersten ein- bis dreihundert Meter. Das ist zugleich ein Lebensraum für viele Fische und andere Meeresbewohner, die immer in einem relativ konstanten Lebensraum existiert haben und in der Regel sehr empfindlich auf geringe Veränderungen der Temperatur oder des CO2-, Salz- und Nährstoffgehalts reagieren.

Salopp gesagt wollen Lovelock und Rapley den gasförmigen "Müll" der menschlichen Verbrauchsgesellschaft kräftig in die Weltmeere unterrühren, um ihn auf diese Weise loszuwerden ... wie ernst muß der Klimawandel bereits gediehen sein, wenn zwei durchaus renommierte Wissenschaftler mit einer solch haarsträubenden Notlösung aufwarten?

1. Oktober 2007