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KLIMA/346: Schutz der Unternehmen statt der Menschen (SB)


Überraschend starke Methanemissionen der grönländischen Tundra

Der Klimawandel kommt, doch Merkel will Arbeitsplätze schützen, nicht die Menschen


Die düsteren Prognosen von Politikern, Managern und Wissenschaftlern zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, welche nach Einschätzung der Experten in eine weltweite Rezession übergehen könnte, verschleiern die dunklen Wolken am Horizont, die längst aufgrund des Klimawandels heraufgezogen sind. Die große UN-Klimakonferenz in Poznan, auf der über ein Nachfolgeabkommen für das 2012 endende Kyoto-Protokoll verhandelt wird, genießt keine dem Ereignis angemessene Medienaufmerksamkeit. Denn wenn es tatsächlich zutrifft, was Klimaforscher und Aktivisten, Militärs und Geheimdienstler, aber auch Politiker aller Couleur voraussagen, nämlich daß sich im Verlauf dieses Jahrhunderts die Lebensverhältnisse von vermutlich Milliarden Menschen so sehr verschlechtern, daß sie künftig Tag für Tag um ihr unmittelbares Überleben werden kämpfen müssen, und daß von dieser Entwicklung kein Staat unbetroffen bleibt, sollte man annehmen, daß die UN-Klimakonferenz in Poznan nicht nur ein größeres Medienecho fände, sondern daß spätestens jetzt eine eifrige Debatte über die Frage einsetzt, in welcher Gesellschaft die Menschen künftig leben wollen. Daß diese Debatte nicht geführt wird, sollte als Hinweis darauf verstanden werden, daß sie von denen, die sie am ehesten anstoßen könnten, nicht erwünscht bzw. bereits beantwortet ist.

Die Gefahren, die vom Klimawandel ausgehen, werden hierzulande - im Unterschied beispielsweise zu Inselstaaten, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind - kaum wahrgenommen. Wen kümmert's, wenn Zugvogelarten im Winter nicht mehr fortziehen, wärmeliebende Insekten aus der Mittelmeerregion nach Norden vordringen oder sich ein Alpengletscher um ein paar Meter zurückgezogen hat. Von einer Bedrohung kann doch keine Rede sein, lautet eine unausgesprochene, aber nicht selten anzutreffende Einstellung. Die entspricht der Sorglosigkeit eines Raumfahrers, der behauptet, sich über einen Meteoritentreffer keine Sorgen zu machen, bislang sei alles gut gegangen und keine Gefahr zu erkennen ...

Dieses Bild trifft die Ignoranz gegenüber dem Problem der Erderwärmung insofern nur bedingt, als daß es für den Klimawandel sehr konkrete Anzeichen gibt. Allein die jüngsten Berichte über die Methankonzentration in der Atmosphäre und die unerwartet starken Emissionen dieses Gases aus der arktischen Tundra belegen, daß sich die Erdatmosphäre in einem Umbruch befindet, wie es ihn in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat.

Eine dänisch-schwedische Forschergruppe berichtete kürzlich im Wissenschaftsmagazin "Nature", daß aus der Tundra nahe der Forschungsstation Zackenberg im Nordosten Grönlands große Mengen Methan freigesetzt werden, viel mehr, als bislang für möglich gehalten wurde. Nicht nur in den Sommermonaten, mehr noch sogar im Herbst maßen die Forscher von der Universität Kopenhagen, dem nationalen Forschungsinstitut (DMU) der Universität Aarhus und der Lund-Universität in Schweden eine kräftige Methanabgabe.

Methan wird als das zweitwichtigste Treibhausgas bezeichnet. Sein Atmosphärenanteil liegt zwar weit unter dem des ebenfalls nur in geringen Mengen vorhandenen Kohlendioxids - dessen Konzentration betrug im vergangenen Jahr 383 ppm (parts per million - Teile auf eine Million) -, dafür ist es aber als Treibhausgas 20 bis 25 mal so wirksam wie Kohlendioxid. Rund ein Sechstel des Treibhauseffekts führt der Weltklimarat IPCC auf den Einfluß von Methan in der Atmosphäre zurück. Der NASA-Klimaforscher Drew Shindell hatte allerdings bereits vor drei Jahren behauptet, daß der Methaneinfluß auf das Klima unterschätzt wird und daß das Gas zu rund 30 Prozent am Treibhauseffekt beiträgt.

Die Weltmeteorologische Organisation (WMO) gab in diesem Jahr Zahlen für den Anstieg der Treibhausgase von 2006 auf 2007 bekannt. Demnach nahm ihr Gesamtanteil um 1,06 Prozent zu, davon kam Methan ein Anteil von 0,34 Prozent zu. Welche Bedeutung dies hat, läßt sich erst so richtig erkennen, wenn ein längerer Zeitraum betrachtet wird. Demnach wuchs das Treibhauspotential von Kohlendioxid, Distickstoffoxid und Methan seit 1990 um 24,2 Prozent.

Die Tundra ist die Hauptquelle für Methan. Neue Messungen, die überraschende Mengen dieses organischen Gases ergeben, sind womöglich kein Einzelfall. Es gilt noch zu prüfen, ob dies nicht globalklimatische Auswirkungen hat. Wissenschaftler gehen davon aus, daß es einen Schwellenwert gibt, ab dem sich das Klima hochdynamisch verändert, bis es nach einer Phase der sehr raschen Umwälzung wieder einen Zustand relativer Stabilität erlangt. Dieser Schwellenwert wird bei einem globalen Anstieg der Durchschnittstemperatur von gut zwei Grad Celsius, bezogen auf den Beginn der Industriealisierung, veranschlagt. 1,5 Grad sind davon schon erreicht. Es könnte also sein, daß jene Dynamik in wenigen Jahren angestoßen wird oder daß gar die Voraussetzungen für einen solchen Vorgang schon zurückliegen. Weil neuartige Schwellenwerte von natürlichen Systemen erst erkennbar werden, wenn es zu spät und ein Aufhalten der eingeleiteten Entwicklung nicht mehr möglich ist, stände es eigentlich an, unverzüglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Ausgerechnet die ehemalige Umweltministerin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, verhält sich wie jener Raumfahrer, wenn sie zu verstehen gibt, daß sie aus Klimaschutzgründen keine Arbeitsplätze in Deutschland gefährden wird. Da werden Arbeitsplätze wichtiger genommen als die Menschen, die sie ausfüllen sollen. Sicherlich, nicht den Bundesbürgern steht das Wasser bis zum Hals, sondern den Bewohnern Tuvalus, Bangladeshs oder der Malediven. Wer jedoch wie Merkel und andere Politiker die Bezeichnung "internationale Gemeinschaft" im Munde führen und davon predigt, daß Globalisierung positive Seiten hat, der sollte es nicht an der gebotenen Konsequenz missen und sich beim Wort nehmen lassen: Wenn die Menschen in "einer Welt" leben, dann, bitte schön, sollte diese Vorstellung weitergedacht werden als bis zum eigenen Bauchnabel. Dann müßten die Arbeitsplätze in Deutschland ausnahmslos jedem zur Verfügung stehen; dann dürfte nicht mehr die Vorstellung vorherrschen, daß "uns" die Probleme der Tuvalesen, Bangladeshis oder Malediver nichts angehen.

Wer den Schutz deutscher Arbeitsplätze sichern will, aber die Menschen in anderen Weltregionen absaufen läßt, um es einmal mit einem drastischen Bild zu sagen, der handelt chauvinistisch. Schwer vorstellbar, daß eine solche Politik geeignet ist, mit einem kaum lösbaren Problem wie das des Klimawandels auf andere Weise umzugehen, als daß die Not auf jene abgewälzt wird, die am wenigsten Mittel haben, sich dagegen zu wehren. In der vorherrschenden Weltordnung wären dies als erstes die Länder des Südens.

11. Dezember 2008