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KLIMA/414: Bezichtigung - Ärmere Bevölkerung schuld am Klimawandel (SB)


Weltbevölkerungsbericht vorgestellt

Vermehrungsfreudige Bevölkerung der Entwicklungsländer angeblich Triebfeder für künftigen Klimawandel


Das mußte ja eines Tages so kommen: Nachdem der Welternährungsgipfel die in ihn gesetzten Erwartungen mehr als erfüllt hat, indem auf ihm tatsächlich keine konkreten Zahlen genannt wurden, wie die Nicht-Industriestaaten in der Beendigung des Hungers unterstützt werden sollen, und auch auf der UN-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen vermutlich nur heiße Luft ventiliert wird, droht die ganze Klimadebatte gegen die Ärmsten der Armen gekehrt zu werden. Im Weltbevölkerungsbericht 2009, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde [1], wird auf folgendes aufmerksam gemacht: Mehr Menschen produzieren auch mehr Treibhausgase.

Das klingt zunächst banal, doch steckt in der Aussage reichlich Sprengstoff. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) will in dem Bericht "Eine Welt im Wandel: Frauen, Bevölkerung und Klima", dessen zusammenfassende deutsche Version von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) herausgegeben wird, erklären, wie "Familienplanung, reproduktive Gesundheit und die Förderung von Frauen den zukünftigen Kurs des Klimawandels beeinflussen können". [2] Es wird dargelegt, daß das Wachstum der Weltbevölkerung vor allem in den sogenannten Entwicklungsländern erfolgt und daß bis 2050 voraussichtlich 9,1 Milliarden Menschen die Erde bevölkern werden. Dementsprechend würden auch die Treibhausgasemissionen zunehmen, wird konstatiert.

Die konservative Zeitung "Die Welt" [3] gibt die Aussage der DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr wieder, derzufolge es ein "großes Versäumnis" sei, "dass die Bevölkerungsentwicklung in den Debatten über den Klimawandel bislang nicht berücksichtigt wurde. (...) In Kopenhagen dürfe nicht nur über Technologien zur Minderung der CO2-Emissionen verhandelt werden. Es müsse auch über Bevölkerungspolitik diskutiert werden", erklärte Bähr. "Investitionen in Familienplanung könnten helfen, den Klimawandel zu bewältigen."

Konnte man Bährs Ausführungen durchaus noch so auslegen, daß die eingeforderte Familienplanung auf eine Stärkung und gesellschaftliche Anerkennung der Rolle der Frauen sowie eine Verbesserung ihrer Lebensumstände hinausläuft, so stellt die "Welt" die Weichen in eine völlig andere Richtung, indem sie fortführt: "In den Industrienationen sind die Pro-Kopf-Emissionen wegen des hohen Lebensstandards zwar immer noch besonders hoch. In den armen Entwicklungsländern aber wächst die Bevölkerung nach wie vor besonders stark, und damit steigen auch die CO2-Emissionen."

Hier werden - Zufall? - Äpfel mit Birnen verglichen. Denn es werden die Pro-Kopf-Emissionen (der Industriestaaten) in ein Verhältnis zu der absoluten Menge an zukünftigen Emissionen (in den Entwicklungsländern) gestellt. Bleibt man jedoch beim Pro-Kopf-Maßstab, so liegen die sogenannten Entwicklungsländer weit, weit hinter den Industriestaaten zurück. Das gilt selbst für China, das einen rasanten Wirtschaftsaufschwung verzeichnet und den Konsum unter anderem in Europa, den USA und Japan bedient, wohingegen die bei der Herstellung der Konsumgüter in China anfallenden Treibhausgasemissionen nicht exportiert werden.

Die Pro-Kopf-Emissionen in den Industrienationen erweisen sich deshalb als entscheidende Größe für den Klimawandel, weil das Aufstellen der Rechnung an sich bereits darauf abzielt, daß Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die sollten aber nicht an der Einwohnerzahl eines Staates festgemacht werden, erlitten doch bevölkerungsreiche Staaten wie China oder Indien beträchtliche Nachteile, würde man dies unberücksichtigt lassen.

Außerdem ist der Eindruck, daß die CO2-Emissionen nur wegen des Bevölkerungswachstums zunehmen werden, während sie in den Industriestaaten - wenngleich auf hohem Niveau - stabil bleiben, unzutreffend. Auch in einer Reihe von EU-Ländern, den USA und anderen Industriestaaten wachsen die CO2-Emissionen. Während dem Weltbevölkerungsbericht zumindest attestiert werden kann, daß er die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Armut und Bevölkerungsentwicklung differenziert darstellt, wird durch die Vereinfachung der Wiedergabe in der "Welt" ein Aspekt betont, über den schon seit langem gestritten wird. Bevölkerungspolitische Maßnahmen transportieren a priori den Geruch einer mehr oder weniger verkappten rassistischen Weltanschauung. Das sollte jeder berücksichtigen, der sich des Themas annimmt, und entsprechende Sensibilität an den Tag legen, sofern er nicht mißverstanden werden will.

So haben große Naturschutzorganisationen wie der Sierra Club in den USA - oder zumindest einige seiner einflußreichen Mitglieder - einen Einwanderungsstopp gefordert. [4] Begründet wird dies mit Berechnungen, denen zufolge der Naturverbrauch untragbar wächst, je mehr Menschen in die Vereinigten Staaten immigrieren. Der Erhalt eines Wildreservats, indem die Naturfreunde ungestört ihren Urlaub verbringen können, wird also um vieles höher bewertet als die Aufnahme beispielsweise von Klimaflüchtlingen aus dem äquatorialen Lateinamerika. Seit vielen Jahren wird über das Thema heftig gestritten, und der Sierra Club mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er tendenziell eugenisches Gedankengut vertritt. Wobei hier anzumerken ist, daß sich bekanntlich bei der Gründung der Partei der Grünen in Deutschland auch einige bräunliche Töne untergemischt hatten. Grün und braun sind durchaus Farben, die zu einander passen können ...

Solange den Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern als Folge der sozioökonomischen Bedingungen ein Überlebensvorteil erwächst, wenn sie viele Kinder in die Welt setzen, ist nicht das Phänomen der sich mehrenden Bevölkerung das Problem, sondern ihre existentielle Not. Sollte jetzt, da vom UN-Klimagipfel im Dezember nur Lippenbekenntnisse zu erwarten sind, der Schwerpunkt von Maßnahmen gegen den Klimawandel darauf hinauslaufen, die Vermehrungsrate der ärmeren Bevölkerungsschichten zu reduzieren, dann hätte sich der angebliche Klimaschutz vollends als sozialdarwinistisches Projekt demaskiert.

Weder soll hier den Verfassern des Weltbevölkerungsberichts unterstellt werden, sie verfolgten eugenische Ideen, noch soll geleugnet werden, daß eine unterstützende Familienplanung, sofern sie nicht vom Staat aufoktroyiert wird, für die Bevölkerung in den Armutsregionen von Vorteil sein kann. Stellt man jedoch eine Gesamtbilanz auf und fragt, welche Faktoren den Klimawandel beschleunigen, dann sollte nicht das Bevölkerungswachstum, sondern eine sich auf rigorose, physische Ausbeutung stützende Lebensweise in den Wohlstandsregionen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.dsw-online.de/pdf/WBB_09_deutsch_final.pdfhttp://www.dsw-online.de/pdf/WBB_09_deutsch_final.pdf

[2] Pressekonferenz zur Vorstellung des UNFPA-Weltbevölkerungsbericht 2009
http://www.weltbevoelkerung.de/presse/presseinformationen141.shtml? navanchor=1010031

[3] "Mit kostenlosen Kondomen gegen den Klimawandel. UN-Bericht: Familienplanung senkt CO2-Ausstoß", Welt Online, 19. November 2009
http://www.welt.de/die-welt/politik/article5261010/Mit-kostenlosen-Kondomen-gegen-den-Klimawandel.html

[4] "Commentary: A Big Green Bomb Aimed at Immigration; Remember Eugenics? Sierra Club Revives its Propaganda about Population Growth", Alexander Cockburn, Los Angeles Times, 2. Oktober 1997: B-9.

oder:

"Enviroment: All-American eco-freaks want to ban immigration", The Independent, 3. Oktober 1997
http://www.independent.co.uk/news/enviroment-allamerican-ecofreaks-want-to-ban-immigration-1233620.html

19. November 2009