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KLIMA/486: Dann ist das Spiel aus ... NASA-Forscher warnt vor Teersand-Ölpipeline Keystone XL (SB)


Bau einer weiteren riesigen Pipeline für Rohöl von Kanada in die USA geplant

US-Umweltschützer und Landwirte laufen gegen das Projekt Sturm


Die Bewohner Brandenburgs kennen das Bild: Riesige Bagger fressen sich durchs Erdreich und reißen tiefe Löcher in die Landschaft. Dem Energieträger Braunkohle gilt die Begehr der Tagebauunternehmen, die wiederum ihr Geschäft damit machen, den Energiebedarf der Gesellschaft zu decken. In Kanada sorgt der Abbau eines anderen Energieträgers für noch schwerwiegendere Zerstörungen in der Umwelt, der Abbau von Teersanden. Die finden sich vor allem in der kanadischen Provinz Alberta. Sand enthält dort eine klebrige, bitumenartige Masse, die mit heißem Wasser und chemischen Substanzen abgetrennt und in einem aufwendigen Verfahren zu Rohöl verarbeitet wird. Das Abwasser, das in riesigen künstlichen Sedimentbecken (tailing ponds) "entsorgt" wird, enthält Umweltgifte wie Ammoniak und Zyanidverbindungen. Pro Barrel Rohöl werden drei Barrel Wasser verbraucht.

Der Teersandabbau in Kanada rentiert sich erst, seitdem der Weltmarktpreis für Rohöl auf über 50 US-Dollar pro Barrel gestiegen ist. Aber von dem Zeitpunkt an erlebt die Region einen wahren Goldrausch. Gefördert wird in diesem Fall das "schwarze Gold", heute bereits auf einer Fläche halb so groß wie Deutschland. Der Run auf die energetischen Rohstoffe soll nun noch weiter angeheizt werden durch eine riesige Pipeline, die von Nordalberta quer durch sechs US-Bundesstaaten zu einer Raffinerie nach Texas verlegt werden soll. Die rund ein Meter durchmessende Pipeline Keystone XL ergänzt eine bereits verlegte Ölleitung und wird nach Angaben der US-Regierung alles in allem schätzungsweise 2500 Kilometer lang werden [1].

Umweltschützer üben scharfe Kritik an dem Vorhaben. Sie bringen ein Bündel von Einwänden vor, weswegen der US-Präsident, der bei solchen grenzüberschreitenden Projekten seine Zustimmung verweigern könnte, eben dies tun sollte. Die Umweltorganisation Friends of the Earth, die zu der Gruppe von 86 Umweltorganisationen und Landwirten gehört, die US-Präsident Barack Obama einen Brief mit der Bitte geschrieben haben, von dem Projekt abzulassen, listet einige Bedenken auf ihrer Website auf [2]:

Die Menge an Kohlendioxidemission aus Teersanden sei dreimal höher als aus konventionellem Erdöl und würde bei einer täglichen Belieferung der USA mit 900.000 Barrel die bisher verbrauchte Menge an Teersandöl verdoppeln. Die Klimaschädlichkeit entspräche der von sechs Millionen Neuwagen auf den Straßen der Vereinigten Staaten. Außerdem würden pro Tag mehr als 1,5 Milliarden Liter Wasser verbraucht, 90 Prozent davon werde in Tailing Ponds gespeichert. Im Abbaugebiet von Nordalberta gerate die Kultur der indigenen Einwohner unter die Räder; viele Indigene, die flußabwärts der Fördergebiete lebten, litten an seltenen Krebsformen und anderen schweren Krankheiten. So seien in dem an einem See gelegenen Ort Fort Chipewyan 100 von 1200 Einwohnern an Krebs gestorben.

Darüber hinaus bestehe die Gefahr, daß aus den Rohren und Pumpanlagen Öl austritt, insbesondere bei Unfällen. So wie im Sommer vergangenen Jahres, als aus einer Pipeline des kanadischen Unternehmens Enbridge rund 3,8 Mio. Liter Teersandöl in den Fluß Kalamazoo im US-Bundesstaat Michigan flossen. Die Gefahr, daß bei einer Leckage der Missouri, Yellowstone oder Red River oder auch der riesige Ogallala-Aquifer ölverseucht werden, sei zu groß. Die Raffinierung von Teersandölen erzeuge mehr Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen als die herkömmlichen Erdöls, was sauren Regen produziere und zu Atemwegserkrankungen wie Asthma führen könne, argumentiert Friends of the Earth.

Das Unternehmen TransCanada weist solche und weitere Bedenken zurück. Der Sprecher Shawn Howard erklärte laut der "Los Angeles Times" [3], daß man vergleichbares Erdöl seit Jahrzehnten täglich sicher zu den US-Märkten transportiere. Man investiere also dreizehn Milliarden Dollar in eine Pipeline, und "diese Gruppen" behaupteten weiterhin, daß wir sie mit etwas füllen wollen, das das Material zerstören und auffressen werde? Mache das etwa Sinn vom unternehmerischen Standpunkt aus gesehen? (Mit diesen Fragen trat er der Einschätzung von Umweltschützern entgegen, daß das Unternehmen ursprünglich eine zu dünne Rohrwandung für die Pipeline gewählt hat.) Im übrigen führten bereits heute Hunderte von Pipelines über den Ogallala-Aquifer. Eine andere Route zu nehmen hieße nur, die Umweltprobleme aufgrund einer längeren Strecke zu vermehren und Finanzmittel zu verbrauchen, die bereits zur Erleichterung des heutigen Vorschlags eingeplant seien.

Vor kurzem hat sich auch der NASA-Wissenschaftler James E. Hansen in die Debatte eingebracht. Hansen, der zu den wenigen Forschern zählt, die sich ungeachtet ihrer etablierten Stellung und der häufig von Wissenschaftlern bemühten Ausrede, eine wertneutrale Position einnehmen zu müssen, politisch deutlich Stellung gegen klimaschädliche Kohlekraftwerke bezogen und sich auch an Protesten beteiligt hat [4], warnt vor dem Keystone XL-Projekt und fordert, daß die Wissenschaftsgemeinde zu den Plänen gefragt werde. Es sei äußerst schwierig, das "Teersandungeheuer" zu kontrollieren. Damit will Hansen sagen, daß die durchaus berechtigten Umweltschutzeinwände das Projekt wohl nicht stoppen werden, aber daß der Abbau von Teersanden es unmöglich mache, "das Klima zu stabilisieren und verheerende globale Klimafolgen zu vermeiden". [5]

Laut des Vierten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC enthielten die Teersande mindestens 400 GtC (Gigatonnen Kohlenstoff), was bei einer vollständigen Verbrennung die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um rund 200 ppm (Teile pro Million) anheben würde, erinnerte Hansen und mahnte, daß bereits die leicht zugänglichen Reserven an konventionellen Öl und Gas genügten, den CO2-Gehalt auf über 400 ppm steigen zu lassen, was für das Leben auf der Erde "unsicher" sei. Kämen nun auch die Teersande zum Energiemix hinzu, wäre das Spiel aus. Es gebe keine praktische Methode, das CO2 aus der Verbrennung von Erdöl, das vor allem für Fahrzeuge verwendet wird, abzufangen.

Umgekehrt sei eine Stabilisierung des Klimas denkbar, wenn innerhalb weniger Jahrzehnte keine Emissionen durch die Kohleverbrennung mehr hinzukämen und der Teersand unangetastet bliebe. Die Regierungen handelten jedoch, als hätten sie vergessen, daß es eine Grenze dafür gibt, wieviel Kohlenstoff aus fossilen Treibstoffen wir in die Luft blasen dürfen. Auch wenn man einen Bruchteil des CO2-Überschusses mittels verbesserter landwirtschaftlicher Methoden und forstwirtschaftlicher Praktiken einbehalten könne, man werde niemals zu einem sicheren CO2-Niveau zurückkehren, wenn sämtliche Kohle ohne CCS-Verfahren verbrannt oder unkonventionelle fossile Treibstoffe wie Teersand ausgebeutet werden.

Die indirekten Folgen des Teersandprojekts dienten keineswegs den nationalen Interessen, erklärte Hansen. Denn es löse weitreichende Schäden an Mensch und Umwelt aus, indem es erheblich zum Klimawandel beitrage. Das müsse bedacht werden, bevor das Projekt vorangetrieben werde.

Hansen ist sicherlich kein Gesellschaftskritiker. Er stellt die Produktionsverhältnisse nicht in Frage, sondern übt Kritik aus dem System heraus, ohne das System (die Vergesellschaftung des Menschen) zu hinterfragen, und könnte sicherlich damit leben, wenn es nicht nur ein bloßes Versprechen wäre, Kohlekraftwerke durch das CCS-Verfahren "entschärfen" zu können, indem die abgeschiedenen CO2-Emissionen abgefangen und sicher gelagert werden. Aber was Hansen und andere Kritiker an der Pipeline Keystone XL auszusetzen haben, rührt sehr wohl an der vorherrschenden Verwertungsordnung, in der es nur folgerichtig ist, wenn Unternehmen wie TransCanada eine riesige Erdölpipeline bauen, solange sie nicht für die gesamtgesellschaftlichen Verluste aufgrund der anthropogenen Treibhausgasemissionen aufkommen müssen. Der Teersandabbau ist einer der bedeutenderen Faktoren, die zur globalen Erwärmung beitragen. Die Verluste beschränken sich nicht auf die USA und nicht einmal auf die heutige Weltbevölkerung, sondern müssen auch von zukünftigen Generationen getragen werden.


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Anmerkungen:

[1] "The U.S. Department of State requests public comment on the Supplemental Draft Environmental Impact Statement (EIS) for the proposed Keystone XL pipeline", 15. April 2011
http://www.keystonepipeline-xl.state.gov/clientsite/keystonexl.nsf?Open

[2] "Keystone XL Pipeline", Internetzugriff am 8. Juni 2011
http://www.foe.org/keystone-xl-pipeline

[3] "U.S. will do new studies on Keystone XL tar sands pipeline", Los Angeles Times, 15. März 2011
http://latimesblogs.latimes.com/greenspace/2011/03/tar-sands-oil-keystone-xl-state-dept.html

[4] Beispielhaft nachzulesen im Schattenblick unter:
KLIMA/362: NASA-Forscher Hansen ruft zum zivilen Ungehorsam auf (SB)

[5] "Silence Is Deadly I´m Speaking Out Against The Canada-U.S. Tar Sands Pipeline", James E. Hansen, 4. Juni 2011
http://www.climatestorytellers.org/stories/james-hansen-silence-is-deadly/

9. Juni 2011