Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

KLIMA/518: Keystone XL - Protest gegen Erdöl aus Teersanden (SB)


In den USA mobilisieren Umweltschützer gegen riesiges Pipeline-Projekt



Eines der Kernkonstrukte der internationalen Klimaschutzpolitik lautet, daß es im Prinzip keine Rolle spielt, wo die Treibhausgase reduziert werden, um die Erderwärmung aufzuhalten. Wichtig sei allein, daß es geschieht. Unter anderem wird damit begründet, daß sich Unternehmen aus den Industriestaaten von der Verpflichtung, selber Treibhausgase zu reduzieren, freikaufen können, indem sie in klimafreundliche Projekte von Entwicklungs- oder weniger industrialisierten Ländern investieren. Diese Idee, die unter den Titel Clean Development Mechanisms (CDM) fällt, wird von allen Unterzeichnern des Klimaschutzprotokolls von Kyoto anerkannt.

Ausgerechnet die beiden Staaten, die im Mittelpunkt des Aufbaus eines der weltweit klimaschädlichsten Projekte stehen - die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada -, haben das Protokoll entweder gar nicht erst ratifiziert oder sind wieder ausgestiegen. Beide Staaten wollen den Abbau von Erdöl aus Teersanden, der in der kanadischen Provinz Alberta in großen Mengen vorkommt, vorantreiben und das gewonnene Öl über eine insgesamt mehr als 2700 Kilometer lange, rund ein Meter durchmessende Pipeline mit der Bezeichnung Keystone XL quer durch die USA nach Texas pumpen. Dort soll das Erdöl raffiniert werden.

Am Sonntag, den 17. Februar, waren über 30.000 US-Bürgerinnen und -Bürger aus verschiedenen Landesteilen unter dem Demo-Motto "Vorwärts beim Klima" in die Bundeshauptstadt Washington gereist, um US-Präsident Barack Obama an sein Wahlversprechen - Kampf dem Klimawandel - zu erinnern und ihn aufzufordern, den Bau der unsäglichen Ölpipeline Keystone XL zu verhindern. [1] Wenige Tage zuvor hatten sich Protestierende an einen Zaun des Weißen Hauses gekettet. Zu diesen gehörten die Schauspielerin Daryl Hannah, der altgediente Menschenrechtler Julian Bond und Michael Brune, Direktor der Umweltschutzorganisation Sierra Club. Alle drei wurden zusammen mit anderen Aktivisten von der Polizei verhaftet.

Es handelte sich um den ersten Vorfall zivilen Ungehorsams in der 120jährigen Geschichte des Sierra Clubs, berichtete der Christian Science Monitor (CSM). [2] Noch im vergangenen Monat hatte die älteste Naturschutzorganisation der USA mitgeteilt, daß etwas furchtbar falsch laufen müsse, um zivilen Ungehorsam als Protestform zu rechtfertigen. CSM zitiert den Sierra Club mit den Worten: "Wir beobachten, wie sich vor unseren Augen eine weltweite Krise entfaltet. Daneben zu stehen und sie geschehen zu lassen, obwohl wir wissen, wie sie aufgehalten werden kann, wäre unverantwortlich."

Am 19. Januar vergangenen Jahres hatte Obama das Projekt Keystone XL des Konsortiums TransCanada auf Eis gelegt und ein einjähriges Moratorium verhängt. Das wurde von den Umweltschützern als Erfolg gefeiert, doch angesichts dessen, daß auf den südlichen Streckenabschnitten fleißig weitergebaut wurde, muß man sich fragen, ob der US-Präsident wieder einmal auf Zeit spielt. War er nicht auch einst mit dem Versprechen angetreten, das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zu schließen? Fünf Jahre danach ist von diesem Versprechen nichts mehr geblieben.

In den USA 30.000 bis 35.000 Menschen für eine Demonstration zum Klimaschutz zu mobilisieren, ist eine beachtliche Leistung. Es soll sich um eine der größten Protestaktionen für den Umweltschutz in den Vereinigten Staaten gehandelt haben, berichteten verschiedene Medien. [3] An der Kundgebung waren mehrere Dutzend Nichtregierungsorganisationen beteiligt, nicht nur aus dem Bereich Umweltschutz. Aber macht sich nicht Ernüchterung breit, wenn im gleichen Zeitraum zur größten Autoshow der USA in Chicago, die am 18. Februar ihre Pforten schloß, mehr als eine Million Besucher gekommen waren? Autos sind sozusagen das Wahrzeichen der fossilen Energiewirtschaft, und Keystone XL ist in Nordamerika ihre wichtigste Ader.

Natürlich stehen die Teilnahme an einer Demonstration gegen eine Erdölpipeline und der Besuch einer mehrtägigen Autoshow in keinem unmittelbaren Widerspruch. Dennoch liefert dieser Vergleich eine Ahnung, wie die Proteste gegen Keystone XL gesamtgesellschaftlich zu bewerten sind. Auch wenn mit den Klimaschützern ein breites Bündnis aus Mitgliedern der republikanischen Tea Party und der Demokratischen Partei, aus Landwirten und American Indians, aus religiösen Gruppen und der Occupy-Bewegung zusammengefunden hat, um den Bau der Pipeline zu verhindern, gibt es starke Interessen für die Fortsetzung ihres Baus.

Die bisherige Energiepolitik Barack Obamas läßt darauf schließen, daß er Keystone XL vermutlich seinen Segen geben und allenfalls pro forma von den Betreibern verlangen wird, strenge Umweltauflagen einzuhalten. Für Obamas Okay sprächen nicht zuletzt strategische Gründe.

In seiner Amtszeit hat die US-Regierung dafür gesorgt, daß die Importabhängigkeit des Landes von Energieträgern abnimmt, insbesondere von Erdöl aus den Golfstaaten. Die Obama-Administration will neue Atomkraftwerke bauen, sie hat die Förderung von unkonventionellem Erdgas auf eigenem Territorium weiter vorangetrieben (Stichwort: Fracking), sie läßt erstmals Shell nördlich von Alaska in der ökologisch empfindlichen Arktis offshore nach Erdöl bohren, und sie hat den Tiefbohrungen nach Erdöl im Golf von Mexiko ihren Segen erteilt (die Erdölkatastrophe der Bohrinsel Deepwater Horizon am 20. April 2010 war eine Folge dieser Politik). Nicht zuletzt fördert sie die Produktion von Agrosprit, die bereits rund die Hälfte des Maisanbaus in den USA verschlingt.

Beim Erweiterungsprojekt der bereits bestehenden Pipeline Keystone zu Keystone XL handelt es sich strenggenommen um keine Maßnahme der US-Regierung zur Befreiung von Importen, aber Kanada und die USA sind wirtschaftlich und politisch sehr eng miteinander verbunden. Kanada gilt als ausgesprochen stabiles Land und ist zudem darauf angewiesen, seine Rohstoffe zu exportieren.

In der kanadischen Provinz Alberta wird bereits auf einer Fläche halb so groß wie Deutschland Teersand abgebaut, mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Das klebrige Bitumen wird mit heißem Wasser und Chemikalien aus dem Sand herausgelöst und in einem aufwendigen Verfahren verarbeitet. Öl aus Teersanden erzeugt dreimal soviele Treibhausgase wie herkömmliches Erdöl, und bei der Produktion wird die dreifache Menge an Wasser verbraucht. Die ausgedehnten Tailing Ponds - Sammel- und Sedimentbecken für das chemisch unter anderem mit Ammoniak und Zyanidverbindungen belastete Abwasser - sind regelrechte Vogelfallen. Die Tiere müssen laufend mit lauten Knallgeräuschen davon abgehalten werden, auf den ölig glänzenden Oberflächen zu landen. Unter Ureinwohnern, die stromabwärts der durch den Teersandabbau mit Schadstoffen belasteten Flüssen leben, wird eine auffällig hohe Krebsrate verzeichnet.

Würde Keystone XL in Betrieb gehen, wären damit die Regierungen der USA und Kanadas ihrem Ziel, bis 2030 die Ölgewinnung aus Teersanden um 300 Prozent zu steigern, einen großen Schritt nähergekommen. [4] Gleichzeitig würden sie damit allen, die sich für einen internationalen Klimaschutz einsetzen, unverhohlen ins Gesicht lachen. Für ein Konsortium wie TransCanada lohnt sich der Bau der Erdölpipeline nur deshalb, weil es nicht für die gesamtgesellschaftlichen Verluste, die unter anderem aufgrund der anthropogenen Treibhausgasemissionen durch die Verbrennung des Teersandöls entstehen, zur Verantwortung gezogen wird. Hierbei handelt es sich um einen nicht zu vernachlässigenden Faktor, der zur globalen Erwärmung beiträgt. Die durch Keystone XL erzeugten Gesamtverluste beschränken sich nicht auf die USA und Kanada und nicht einmal auf die gesamte heutige Weltbevölkerung. Die katastrophalen Folgen des Klimawandels müssen auch von zukünftigen Generationen getragen werden.


Fußnoten:

[1] http://www.washingtonpost.com/business/economy/crowd-marches-to-voice-opposition-to-keystone-pipeline/2013/02/17/a36be95e-7937-11e2-82e8-61a46c2cde3d_story.html

[2] http://www.csmonitor.com/Environment/Energy-Voices/2013/0214/Keystone-XL-pipeline-protest-marks-first-civil-disobedience-by-Sierra-Club

[3] http://de.euronews.com/2013/02/18/massendemo-in-washington-vorwaerts-beim-klima/

[4] http://www.spiegel.de/politik/ausland/washington-demo-fuer-klimaschutz-und-gegen-keystone-xl-pipeline-a-883945.html

18. Februar 2013