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KLIMA/534: Operation gelungen, Patient tot - Deutschland erfüllt sein Kyoto-Ziel (SB)


Erfolgsrezept: Man muß die Latte nur tief genug hängen, dann wird Klimaschutz zum Kinderspiel



"Deutschland hat sein im Kyoto-Protokoll vorgegebenes Ziel zur Minderung der Treibhausgasemissionen deutlich übererfüllt", berichtete das Umweltbundesamt (UBA). [1] Was hier als "Ziel" ausgewiesen wird, entspricht in etwa dem Ziel eines Fußgängers, der eine Bordsteinkante überschreiten will. Man muß die Latte nur tief genug hängen, dann stellt sich der Erfolg fast von alleine ein. Das war von Anfang an der Kniff, mit dem das Kyoto-Protokoll zu einem Popanz aufgeblasen wurde. Darin hatte die internationale Staatengemeinschaft beschlossen, daß der Kampf gegen die Erderwärmung mit den gleichen Mitteln ausgetragen werden sollte, durch die zuvor die potentiell katastrophale Klimaentwicklung herbeigeführt worden war: die Wachstumsideologie. Sie wurde zur Abwechslung in ein grünes Gewand gehüllt und als neue Heilsbringerin gepriesen.

Zum Beispiel konnten die Unternehmen Ablaßzettel erwerben und sich damit von der Verpflichtung einer eigenen Emissionsminderung freikaufen. So haben unter anderem die Energiekonzerne keine Verluste durch die Emissionsminderungsziele erlitten, kassierten aber die ihnen vom Staat geschenkten Klimaschutzzertifikate und erhöhten die Strompreise. Das Kyoto-Protokoll bzw. seine Ausgestaltung in Form des Emissionshandels der Europäischen Union lieferte eine echte Win-win-Situation: Die Unternehmen gewannen zweifach.

Deutschland hatte sich verpflichtet, bis Ende 2012 seine Treibhausgasemissionen um 21 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Erreicht wurde laut dem Bericht, den das Bundesumweltministerium und das UBA vor kurzem an die Europäische Kommission übermittelten, eine Minderung um 23,6 Prozent. Ein Riesenerfolg also, auf dem sich - selbstredend - niemand ausruhen will. Bundesumwelt- und -bauministerin Barbara Hendricks: "Die erfolgreiche Umsetzung unserer Kyoto-Verpflichtung ist ein wichtiger Meilenstein im Klimaschutz. Jetzt müssen wir den Blick fest auf das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel einer Minderung der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 40 Prozent bis zum Jahr 2020 richten." [1]

Wer den Blick fest auf sein Ziel richtet, läuft Gefahr, nicht mitzubekommen, was rechts und links des Wegs geschieht. Ein signifikanter Anteil an der vermeintlichen BRD-Erfolgsgeschichte des Klimaschutzes kommt der wiedervereinnahmten DDR zu, deren vorwiegend von Kohle betriebene Industrie weitgehend abgebaut wurde. In den neunziger Jahren wurde dadurch schätzungsweise die Hälfte der Emissionseinsparungen erzielt. Hinzu kommt die umfangreiche Auslagerung der Produktion von in Deutschland verbrauchten Gütern. Wenn Auto, Handy und wandgroßer Fernsehschirm in Asien hergestellt werden, verhagelt die Produktion der Güter dort und nicht bei uns die Klimabilanz. Deutschland hat die Bordsteinkante nicht aus eigener Kraft bewältigt, sondern konnte sich dabei zunächst auf die DDR und dann vor allem auf die asiatischen Länder stützen.

Noch nicht erwähnt wurde, daß das Problem der globalen Erwärmung, das vor allem in ärmeren Ländern, die sich keinen ausreichenden Klimaschutz leisten können, eine existentielle Frage ist, überhaupt nicht mit der Bewältigung der Bordsteinkante, also dem Erreichen des Kyoto-Ziels, gelöst werden kann. Um in diesem Bild zu bleiben: Es müßte schon die Bordsteinkante und darüber hinaus das auf fossile Energieträger gestützte Individualverkehrssystem ab- und statt dessen der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und zudem kostenlos angeboten werden, anstatt ihn überdurchschnittlich zu verteuern, wie aktuell geschehen. [2]

Was wiederum erst ein Anfang wäre. Beim anstehenden Abschied von der Wachstumsapologetik müssen sehr viel mehr Bastionen als die des Verkehrswesens und der übrigen Infrastruktur geschliffen werden. Es geht schlicht um das Ende der vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsbedingungen, von denen sämtliche gesellschaftlichen Bereiche betroffen sind. Es geht also um nicht weniger als die Verwirklichung einer Utopie.

Gegenwärtig sieht es nicht so aus, als wolle die Weltgesellschaft die menschengemachte Erderwärmung aufhalten. Die Treibhausgasemissionen steigen global an, und über das Kyoto-Protokoll werden sowieso nur rund dreizehn Prozent davon erfaßt. Gewiß, Deutschland hat sein Ziel übererfüllt, pustet aber seit zwei Jahren wieder verstärkt Treibhausgase in die Atmosphäre, trotz Produktionsverlagerung ins Ausland.


Fußnoten:

[1] http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/hendricks-beim-klimaschutz-ehrgeiziger-werden

[2] http://www.rp-online.de/wirtschaft/tickets-fuer-bus-und-bahn-werden-2014-teurer-aid-1.4017643

7. Februar 2014