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KLIMA/542: Mehr Meereis - die Antarktis wird wärmer (SB)


Erdgeschichtliche Parallele

Australische Forscher "entdecken" geologischen Beweis für raschen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter



Es klingt paradox, doch ausgerechnet die Eiszunahme in den Gewässern rund um die Antarktis gilt Forschern als Hinweis auf eine stärkere Erwärmung. Die heutigen Verhältnisse erinnerten an die vor 14.000 Jahren, als eine beschleunigte Eisschmelze auf dem südlichen Kontinent mit einem Anstieg des Meeresspiegels von drei bis vier Metern binnen weniger Jahrhunderte einherging, berichteten australische Forscher in einer aktuellen Studie in "Nature Communications". Jene kurze erdgeschichtliche Phase, in der eine rasche Erwärmung auftrat, ist als "Heinrich-Ereignis" H1 bekannt. [1]

Den Berechnungen zufolge haben sich damals die Wasserschichten in den zirkumantarktischen Küstengewässern wenig durchmischt, wobei nicht die oberflächliche, sondern die darunter liegende Wasserschicht wärmer war. Oben hingegen kam es zu einem vermehrten Schmelzwassereintrag seitens der antarktischen Landmasse. Durch das viele Süßwasser wurde der Salzgehalt des Wassers herabgesetzt, was die Bildung von Meereis förderte. Da fand sozusagen der umgekehrte Effekt dessen statt, was man hierzulande im Winter beabsichtigt, wenn Salz auf gefrorene Straßen gestreut wird, um das Eis zum Tauen zu bringen. In der Antarktis wird der Gefrierpunkt heraufgesetzt, sobald Süßwasser in das Meerwasser eindringt.

Zur gleichen Zeit, wenn sich im Sommer die Strände an der deutschen Nord- und Ostseeküste mit sonnenhungrigen Urlaubern füllen, müssen sich die wenigen Menschen, die in den antarktischen Forschungsstationen überwintern, warm anziehen, sobald sie ihre gut beheizten Wohncontainer verlassen. Dann herrscht dort tiefster Winter, die Sonne lugt nicht einmal mehr über den Horizont, und die Temperaturen am Südpol sinken auf unter -60, -70 Grad Celsius. Das Meer gefriert.

Dennoch deuten Forscher die Ausdehnung der Meereisfläche der Antarktis über die letzten Jahre als Hinweis auf die globale Erwärmung. Am 20. September 2014 hat diese Fläche erstmals seit Beginn der Satellitenmessungen die Ausdehnung von 20 Millionen Quadratkilometern und damit sogar die Größe der Fläche aus dem Rekordjahr 2013 übertroffen, meldet das National Snow and Ice Data Center der USA. [2] Nun haben die australischen Forscher in ihrer aktuellen Studie festgestellt, daß vor 14.000 Jahren vermehrt Schmelzwasser ins Meer geflossen war. Das Wasser hat sich wenig durchmischt, das heißt, es blieb relativ geschichtet. Das bedeutete, daß die Gletscher von unterwärts durch wärmere Meeresströmungen angelöst wurden - ähnlich wie es heute bei den Gletschern auf Pine Island und Totten beobachtet wird -, was den Anstieg des Meeresspiegels förderte.

Inwieweit die Verhältnisse, wie man sie unter anderem aus den Eis- und Sedimentbohrkernen herausliest, von einst auf heute übertragbar sind, ist allerdings die Frage. Denn auch wenn man meint, Parallelen zwischen vergangenen und heutigen Trends zu erkennen, beruhen die Schlußfolgerungen auf Interpretationen von sogenannten Proxy-Daten, also geologischen Indizien, von denen die Forscher annehmen, daß sie sie validieren (überprüfen) können und daß sie "belastbar" sind. Aber natürlich ist auch die Validierung ihrerseits Bestandteil des Interpretationsrahmens und wird nach den gleichen wissenschaftlichen Konzepten und Methoden erstellt wie die "eigentlichen" Daten.

Jedenfalls lassen die Aussagen von Wissenschaftlern manchmal Zweifel aufkommen, daß sie sich der Willkür ihrer Interpretationen überhaupt gewahr sind. Beispielsweise wird der an der Studie beteiligte Forscher Dr. Chris Fogwill mit den Worten zitiert, daß ihre Modellsimulationen einen neuen Mechanismus geliefert hätten, mit dem der geologische Beweis eines vergangenen Meeresspiegelanstiegs erbracht werden konnte. Und weiter: "Die Ergebnisse zeigen, daß die antarktischen Eisflächen trotz ihrer abgeschiedenen Lage eine weitaus größere Rolle beim Antrieb des vergangenen und des zukünftigen Meeresspiegelanstiegs spielen könnten, als wir zuvor angenommen hatten." [3]

In solchen Formulierungen tritt der Fesselcharakter kausaler Verknüpfungsversuche hervor. Denn man kann nicht unterscheiden, ob die Eisflächen eine "treibende Kraft" oder ob sie ein Indikator für ganz andere treibende Kräfte sind - und mit dem hier verwendeten Begriff "Indikator" wird schon wieder ein kausaler Zusammenhang postuliert. Demnach wären aber Ursache und Wirkung austauschbar, so daß man sich hinter der Behauptung einer "gesicherten Erkenntnis" wohl besser ein großes Fragezeichen vorstellen sollte.

Wie eingangs erwähnt, rechnen die Studienautoren mit einem Meeresspiegelanstieg von drei bis vier Meter innerhalb der nächsten Jahrhunderte. Einerseits überrascht das nicht so sehr, wie man annehmen könnte, denn auch im fünften Sachstandsbericht des IPCC (2013) [4] wird ein Anstieg des Meeresspiegels um 55, 100 oder gar 120 Zentimeter bereits bis zum Jahr 2100 angenommen [5]. Andererseits relativiert das nicht im mindesten die Warnungen der Wissenschaftler, daß die Treibhausgasemissionen steigen und die Folgen der globalen Erwärmung für viele Menschen vor allem in den ärmeren Ländern katastrophal sein werden.

Das Meereis in der Arktis schrumpft, während es in der Antarktis zunimmt. Beides ist, so scheint es, Ausdruck des gleichen Trends der globalen Erwärmung.


Fußnoten:

[1] http://www.nature.com/ncomms/2014/140929/ncomms6107/full/ncomms6107.html

[2] http://nsidc.org/arcticseaicenews/

[3] https://www.climatescience.org.au/content/785-changing-antarctic-waters-could-trigger-steep-rise-sea-levels

[4] http://www.climatechange2013.org/images/report/WG1AR5_Chapter13_FINAL.pdf

[5] Die Formulierung "angenommen" könnte leicht zu der irrigen Vorstellung führen, daß die Forscher Prognosen abgeben. Genauer ist es jedoch, von Ergebnissen bestimmter Projektionen zu sprechen, denen wiederum bestimmte Annahmen zugrunde liegen.

5. Oktober 2014