Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/573: Indigene veränderten Amazonas-Regenwald kaum (SB)


Amazonas-Regenwald für Offsets des Kohlenstoffhandels kaum geeignet


Nicht Viehbarone, Plantagenbesitzer, Bergbaukonzerne und große Forstunternehmen werden für die hohe Entwaldungsrate in den tropischen Regenwäldern verantwortlich gemacht, sondern ausgerechnet die Indigenen. Die Absicht hinter dieser Behauptung, die sich wider besseres Wissen bis in den Wissenschaftsbetrieb hinein verbreitet hat, ist simpel: Da die ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner der tropischen Regenwälder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens fast nie über Besitzurkunden für den Grund und Boden verfügen, auf denen sie traditionell leben, wird ihnen neben dem Recht auf Eigentum auch das moralische Recht abgesprochen, das zu tun, was sie seit Generationen tun, nämlich Feuerholz sammeln, Wanderfeldbau betreiben und gegebenenfalls kleinere Flächen brandzuroden.

Diese Schäden - sofern man überhaupt davon sprechen kann - sind jedoch verschwindend klein verglichen mit den Verwüstungen, die der sogenannte Extraktivismus der Konzerne anrichtet, die den Regionen die Ressourcen regelrecht entziehen oder umfrangreiche Waldvernichtungen auslösen. Im übrigen nutzen den Indigenen auch Besitzurkunden manchmal nichts; allzu oft werden sie Opfer krimineller Machenschaften von Interessen, die über die stärkeren Gewaltmittel verfügen.

Wenn bei den im November anlaufenden UN-Klimaschutzverhandlungen in Paris (COP21) darüber verhandelt wird, ob und wie die Aufforstung, Bewahrung und nachhaltige Bewirtschaftung von Wald als Klimaschutzmaßnahme anerkannt werden könnte, dann erfolgt dies auf der Grundlage der inzwischen weithin betriebenen Bezichtigung der Indigenen als Zerstörer ihres eigenen Lebensraums. Um so erfreulicher ist es, wenn wissenschaftliche Untersuchungen veröffentlicht werden, durch die dieses Vorurteil entlarvt wird.

So berichtete diese Woche eine Forschergruppe des Florida Institute of Technology (FIT), daß die Indigenen des Amazonas-Regenwalds zu einer Zeit, als sie noch keinen Kontakt zu den Europäern besaßen, zwar Einfluß auf den Wald nahmen, aber nur in Gebieten, die sich innerhalb eines Tagesmarschs von den Flüssen befanden. [1] Die Studie "Anthropogenic influence on Amazonian forests in prehistory: An ecological perspective" der Archäobotaniker, Paläoökologen und Ökologen wurde am 28. Oktober im "Journal of Biogeography" veröffentlicht.

Die Studienergebnisse sprechen dafür, daß der Amazonas-Regenwald sehr empfindlich auf Störungen durch die Holzwirtschaft, den Bergbau und andere großmaßstäbliche menschliche Eingriffe reagiert. Gleichzeitig wird der Vorstellung mancher Archäologen und Anthropologen widersprochen, daß der Wald in seiner heutigen Erscheinungsform bereits das Ergebnis umfassender menschlicher Eingriffe in die Landschaft darstellt.

Dieses Resultat ist deshalb so wichtig, weil damit dem Argument widersprochen wird, der Regenwald könne bedenkenlos abgeholzt werden, weil er sich ja nach kurzer Zeit wieder erholen würde. "Das ist nicht allein ein Debatte darüber, was vor über 500 Jahren geschah", sagt Mark Bush, FIT-Professor für Biologische Wissenschaften. "Die Implikationen sind für die moderne Gesellschaft und den Naturschutz äußerst relevant."

Der Unterschied, ob die frühen Bewohner des Regenwalds diesen schon stark verändert haben oder nicht, werde zur Zeit immer wichtiger, "da die politischen Entscheidungsträger darüber befinden, ob sie den Schutz für Flächen, die bereits als Parks ausgewiesen sind wie Yasuní in Ecuador, oder für Schutzgebiete in Brasilien lockern oder verstärken wollen", so Bush, der seit fast 30 Jahren zum Amazonas-Regenwald forscht.

Die Studie betrifft noch eine weitere, hochaktuelle Frage: Wieviel anthropogenes CO2 vermag das dicht bewaldete Amazonasbecken zu speichern? Wäre der Regenwald jüngeren Datums, da durch seine ursprüngliche Bevölkerung umgewandelt, folgte daraus, daß er größere Mengen CO2 zu binden vermag, er also als "Senke" angesehen werden könnte. Ist der Regenwald jedoch älter, wie es die FIT-Forscher um Mark Bush vermuten, so hat er seine maximale Aufnahmekapazität nahezu erreicht. Als zusätzliche CO2-Senke, die im Rahmen des Handels von Kohlenstoffzertifikaten zu Geld gemacht werden könnte, wie es von einer Green Economy propagiert wird, schiede der bereits bestehende Amazonas-Regenwald jedenfalls fast vollständig aus.


Fußnoten:

[1] http://newsroom.fit.edu/2015/10/28/new-research-led-by-florida-tech-finds-amazonian-natives-had-little-impact-on-land/

30. Oktober 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang