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KLIMA/583: Kleiner Einfluß, große Wirkung - Grönlands Eisschmelze mit globalen Folgen (SB)


Verstärkte Eisschmelze von Grönland könnte globales System der Meeresströmungen unterbrechen


Die Meeresströmungen weltweit sind miteinander verbunden. In einer vereinfachten Beschreibung kann man sagen, daß in der Tiefe kaltes Wasser aus dem Atlantik in den Indischen Ozean und von dort, zwischen Antarktis und Australien, weiter in den Pazifik fließt, während umgekehrt warmes Oberflächenwasser vom tropischen Pazifik in den Indischen Ozean und weiter in den Süd- und Nordatlantik strömt. Der sogenannte Golfstrom ist Teil dieses "globalen Förderbands"; er bringt Wärmeenergie aus der Karibik bis weit nach Nordeuropa, das damit relativ milde Winter erfährt.

Somit erfüllt das Förderband die Funktion eines energetischen Ausgleichs zwischen den Weltregionen, die unterschiedlich starke Sonneneinstrahlung aufweisen. Ähnlich wie bei einer Zentralheizung der Wasserkreislauf die Wärmeenergie vom Brenner - das entspricht den Tropen, die pro Flächeneinheit am meisten Wärmeenergie von der Sonne aufnehmen - in die Peripherie befördert, sorgen die Meeresströmungen für einen planetaren Energieausgleich.

Es läßt sich vorstellen, daß dieses System, auf das Faktoren wie Salzgehalt, Dichte, Verdunstungsrate und Temperatur des Wassers Einfluß ausüben, ziemlich empfindlich auf Veränderungen reagiert und daß die Folgen einer Unterbrechung des globalen Förderbands gravierend sein können. Um im obigen Bild zu bleiben: Die Heizung würde weiter Hitze produzieren, aber diese würde nicht mehr abtransportiert.

Eine Forschergruppe aus den USA, Kanada und den Niederlanden hat nun mit Hilfe von Daten des Satelliten GRACE zu bestimmen versucht, welchen Einfluß der in den letzten Jahren ansteigende Schmelzwassereintrag vom grönländischen Eisschild auf die Labradorsee und damit auf einen wichtigen Bestandteil des globalen Förderbands, die sogenannte Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation; AMOC), hat.

Noch bis Mitte der 1990er Jahre blieb die Schmelzwasserrate Grönlands relativ konstant. Seitdem nimmt sie jedoch zu, was zur Folge hat, daß vermehrt Süßwasser in den Nordatlantik fließt und zur lokalen Absenkung des Salzgehalts beiträgt. Bislang ist jedoch salzhaltiges, kaltes und relativ dichtes Wasser eine Art Motor der Umwälzströmung, denn es fließt in mehreren tausend Metern Tiefe am Meeresgrund Richtung Süden und sorgt so für einen Sog des oberflächennahen, wärmeren Wassers in Richtung Norden.

Die Forschergruppe unter anderem von der University of South Florida berichtete nun im Journal "Nature Communications" [1], daß sich die Verhältnisse in der zwischen Kanada und Grönland gelegenen Labradorsee durch die vermehrten Schmelzwassereinträge bereits verändert haben und daß ihren Berechnungen zufolge dies zu einer Abschwächung der Meereszirkulation führen könnte. Das würde darauf hinauslaufen, daß der Wärmetransport aus den Tropen in Richtung Nordeuropa abgeschwächt wird. "AMOC und der Golfstrom sind Teil eines komplexen globalen Ozeanzirkulationssystems, das noch nicht vollständig verstanden ist", sagt Prof. Tim Dixon von der University of South Florida. "Wenn menschliche Aktivitäten anfangen, dieses System zu beeinflussen, ist es ein besorgniserregendes Anzeichen, daß das Ausmaß des menschlichen Einflusses auf das Klimasystem einen kritischen Punkt erreichen könnte." [2]

Unter einem "kritischen Punkt" verstehen die Forscher einen Schwellenwert oder auch ein Kippelement, bei dessen Überschreiten bzw. bei dessen Freisetzung eine Dynamik einsetzt, die nicht mehr zu stoppen ist und erst auf einem gänzlich anderen Niveau der physikalischen Verhältnisse endet. Zudem könnte das Auslösen eines Kippelements weitere Kippelemente aktivieren, was auf jeden Fall weitreichenden Einfluß auf die Lebensverhältnisse von Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen hätte.

Diese Schlußfolgerung ziehen die Forscher in ihrer Studie nicht - sie würden sich damit dem Vorwurf aussetzen, die Grenzen ihrer Fragestellung und ihres Fachgebiets zu verletzen. Aber wenn beispielsweise Prof. Don Chalmers von der University of South Florida sagt, daß durch AMOC große Mengen an Wärme in den Nordatlantik verfrachtet werden und daß eine Abschwächung der Zirkulation "kältere Winter und Sommer rund um den Nordatlantik" mit sich brächte, dann könnte das bedeuten, daß Europa weniger Wärmeenergie erhielte, was sich unter anderem negativ auf die landwirtschaftliche Produktivität auswirken würde.

Die Zunahme an grönländischem Schmelzwasser ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Einfluß auf die atlantischen Meeresströmungen. AMOC ist so wichtig, daß es einen Schwerpunkt der US-amerikanischen Klimaforschung bildet; Dutzende Projekte innerhalb des nationalen Forschungsprogramms CLIVAR (US Climate Variability and Predictability) befassen sich mit diesem Thema. [3] Auch in den nationalen Forschungsprogrammen der EU-Mitgliedsländer wird die Bedeutung der "Umwälzpumpe" gewürdigt und näher erforscht. [4]

In der Klimaforschung werden zahlreiche Beispiele beschrieben, in denen ein zunächst regionaler Effekt planetenweite Folgen nach sich ziehen kann. Wobei die Gletscherschmelze von Grönland zunächst einmal dafür bekannt ist, daß sie zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt. Mit der Abschwächung oder gar Unterbrechung der Umwälzbewegung der atlantischen Meeresströmungen kommt ein weiterer Faktor von globaler Bedeutung hinzu. Wobei es einer typisch eurozentristischen Sichtweise entspricht, lediglich davor zu warnen, daß die Winter in Europa kalt werden könnten. Unerwähnt hingegen bleiben oftmals die Verhältnisse am Ausgangspunkt des bisherigen Wärmetransports: Die Karibik wird sich aufheizen, wenn AMOC zusammenbricht. Somit wäre dort mit energiereicheren und vielleicht auch häufigeren Wirbelstürmen zu rechnen.


Fußnoten:

[1] http://www.nature.com/ncomms/2016/160122/ncomms10525/pdf/ncomms10525.pdf

[2] http://www.spacedaily.com/reports/Melting_Greenland_ice_sheet_may_affect_global_ocean_circulation_future_climate_999.html

[3] http://www.usclivar.org/amoc

[4] Beispielsweise hier: http://www.nerc.ac.uk/research/funded/programmes/rapidamoc/

26. Januar 2016


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