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KLIMA/592: Neue Normalität - Extremereignisse hoch zwei (SB)


2016 wird wärmstes Jahr seit mindestens einem Jahrtausend

Braunkohle zur Brückentechnologie zu erklären zeugt von Zynismus


Die Geschwindigkeit, mit der gegenwärtig die internationale Staatengemeinschaft Klimaschutzmaßnahmen beschließt, genügt anscheinend nie und nimmer, um der globalen Erwärmung den Rang abzulaufen. Und von der bloßen Beschlußlage bis zur Realisierung von Plänen ist es nochmal ein gewaltiger Schritt.

Wer auf den Schienen steht und einen Zug auf sich zurasen sieht, sollte dafür sorgen, daß er möglichst rasch von den Gleisen herunterkommt. Es wird aber noch abgewogen, welches Bein den ersten Schritt macht und vorangeht (politische Entscheidungsträger), wie schnell der Zug ist (Wissenschaftler), ob ein Verlassen der Schienen überhaupt Not tut (Klimaskeptiker) oder ob die Bedrohung nicht ein recht profitables Geschäftsmodell abgibt (Geoengineering-Lobbyisten).

Ob Meereisrückgang, Gletscherschmelze, globale Erwärmung oder Auftauen des Permafrosts, die Messungen der Natursysteme sind in diesem Jahr auf erfolgreicher Medaillenjagd. 2016 winkt in fast allen Kategorien Gold, es werden am laufenden Band Rekorde eingefahren.

Seit mindestens 1000 Jahren hat sich die Erde nicht mehr so schnell erwärmt wie in diesem Jahr, berichtet aktuelle die US-Raumfahrtbehörde NASA. Höchst unwahrscheinlich, daß das Ziel, die globale Erwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau steigen zu lassen, eingehalten werde, erklärt Gavin Schmidt, Direktor des Goddard Institute for Space Studies der NASA: "Die Temperaturen unter der 1,5-Grad-Leitplanke zu halten erfordert bedeutende und sehr schnelle Einschnitte in den Kohlendioxidemissionen oder ein koordiniertes Geoengineering. Das ist sehr unwahrscheinlich. Wir machen nicht einmal Emissionsreduktionen, mit denen die Erwärmung unter zwei Grad gehalten werden kann." [1]

Nach den gegenwärtig geltenden Klimaschutzgesetzen der internationalen Staatengemeinschaft würde gerade mal die 3,6-Grad-Leitplanke als Begrenzung eingehalten. Faßt man die freiwilligen nationalen Klimaschutzzusagen (INDC) zusammen, die im vergangenen Dezember beim UN-Klimagipfel von Paris (COP 21) vereinbart wurden, bliebe man vor der 2,7-Grad-Leitplanke. Man ist also weit, weit davon entfernt, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, durch die rechnerisch verhindert würde, daß weltweit Milliarden Menschen in akute Not aufgrund Klimawandel, Meeresspiegelanstieg, Versauerung der Ozeane, Artenschwund, etc. geraten.

Selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß die 2-Grad-Leitplanke eingehalten wird, liefe dies auf eine dramatische Zunahme an Extremwetterereignissen, eine Verschiebung der Klimazonen und die Entstehung gänzlich neuer Klimazonen, in denen kein Mensch mehr leben könnte, hinaus. Bereits bei der 1,5-Grad-Schwelle würden Naturkatastrophen wie vor kurzem die riesige Überschwemmung im US-Bundesstaat Louisiana zur neuen Normalität.

Wenn also der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß es gelingt, binnen fünf (!) Jahren die Treibhausgasemissionen so drastisch zu verringern, daß laut der NASA die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 1,5 Grad steigt, würde sich die Erde "nur" in eine Dauerkatastrophenwelt wandeln.

Sollte Deutschland Vorbild für die Staatengemeinschaft sein, so wäre es schlecht um die Welt bestellt. Die Bundesregierung zieht zur Zeit der Transformation der Energiesysteme von Atom und Kohle auf Sonne, Wind und Biomasse den Boden unter den Füßen weg und hat Braunkohle zur Brückentechnologie erklärt. Mindestens bis zum Jahr 2050 sollen in Deutschland Kohlekraftwerke elektrischen Strom produzieren. Bis dahin wird nicht nur die 1,5-, sondern auch die 2-Grad-Leitplanke gerissen, so daß die Brücke in jenem Klimachaos endet, das sie selbst mit angerichtet hat.

31. August 2016


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