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KLIMA/599: COP 22 - Deutschlands Klimaschutzmaßnahmen verfehlen Ziele (SB)


Deutschland Vorreiter im Schönrechnen seiner klimapolitischen Maßnahmen


Es reicht nicht. Nie und nimmer. Die von der Bundesrepublik Deutschland beschlossenen Klimaschutzziele genügen bei weitem nicht, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Unter diesem Wert zu bleiben, wäre aber erforderlich, damit sich auf der Erde nicht extrem katastrophale, sondern "nur" katastrophale Klimaverhältnisse einstellen. Davon am schwersten betroffen wären die weniger wohlhabenderen Staaten.

Am 4. November trat das "Abkommen von Paris" in Kraft, in dem sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet haben, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Am gleichen Tag haben die Energy Watch Group (EWG) und ASPO Deutschland die Studie "Deutsche Klimapolitik - vom Vorreiter zum Bremser" veröffentlicht. Darin wird aufgezeigt, warum die aktuellen Klimaziele Deutschlands nicht ausreichend sind und warum selbst die viel zu schwachen Ziele in der Praxis noch verfehlt werden. [1]

"Eine Minderung der nationalen Treibhausgas-Emissionen um 80-95 % bis 2050 im Vergleich zu 1990 ist komplett ungeeignet, um die Pariser Ziele zu erreichen", schreibt der EWG-Vorsitzende und Ko-Autor der Studie, Hans-Josef Fell. [2] Damit steht seine Aussage im deutlichen Gegensatz zu der Erklärung der Referatsleiterin "Internationale Klimapolitik" im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), Nicole Wilke. Sie bereitet seit Jahren die Verhandlungen Deutschlands für internationalen Klimakonferenzen vor und sagte kürzlich am Rande eines Briefings im Auswärtigen Amt gegenüber dem Schattenblick: "Wir wollen unsere Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 reduzieren. Damit werden wir uns mit einer hohen Wahrscheinlichkeit deutlich unter einem 2-Grad-Szenario bewegen." [3]

Wie kommt es zu dieser Diskrepanz in der Einschätzung der deutschen Klimapolitik? Zunächst einmal fällt auf, daß in der EWG-Studie das international anerkannte Basisjahr für Emissionsminderungen, 1990, erwähnt wird. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Deutschland will bis Mitte des Jahrhunderts keine CO2-Emissionsreduzierung um 80 bis 95 Prozent erreichen, sondern sogar noch über dem Stand von 1990 bleiben.

Der Unterschied zu einer weitreichenden Dekarbonisierung ist enorm, denn damals war die besonders emissionsträchtige DDR-Industrie noch nicht abgebaut worden. Von einem entsprechend hohen Emissionsniveau aus konnte das wiedervereinigte Deutschland starten. Selbst in einer die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung (und des United Kingdom) alles in allem sehr positiv bewertenden Studie aus dem Jahr 2001. die das BMUB - damals BMU - und das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben haben, heißt es: "In Deutschland und in UK trugen politische Maßnahmen zu etwas mehr als die Hälfte derjenigen Treibhausgasminderungen bei, die durch Politikmaßnahmen oder Wiedervereinigung bzw. Liberalisierung zusammen erzielt wurden. Betrachtet man nur energiebedingte CO2-Emissionen, beträgt der Politikanteil etwa 40 Prozent. Der Rest ist auf die 'glücklichen' äußeren Umstände zurückzuführen." [4] Somit waren 60 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen kein Verdienst der Politik, sondern kostenlose Draufgabe.

Wenn auf der am Montag angelaufenen Klimaschutzkonferenz von Marrakesch (COP 22) von Klimaschutzzielen die Rede ist und dazu Prozentangaben präsentiert werden, dann wird die Angabe des Basisjahres 1990 häufig weggelassen. Das ist insofern relevant, als daß sich die Erde auch dann noch erwärmen würde, wenn der Stand der globalen Emissionen von vor 26 Jahren gehalten werden könnte. Wobei hier nicht unerwähnt bleiben sollte, daß "der Stand" als Summe weltweit aller klimarelevanten Emissionen höchst verschiedene nationale CO2-Emissionsmengen repräsentiert. Die Industrieländer beanspruchen daran bezogen auf ihre Einwohnerzahl einen um vieles höheren Anteil als die wirtschaftlich weniger wohlhabenden Staaten, denen man eigentlich eine nachholende Entwicklung mit entsprechend steigenden Emissionen von Treibhausgasen zugestehen müßte. Auch das ist bei den Verhandlungen der COP 22 nicht vorgesehen.

Ein wesentlicher Grund für die Diskrepanz zwischen der Einschätzung der EWG und der BMUB-Mitarbeiterin ist, daß erstere nicht nur die CO2-Emissionen, sondern sämtliche Treibhausgase bewertet. Die Klimawirkung aller übrigen zusammengenommen, also von Methan, Lachgas, etc., macht immerhin die Hälfte der Klimawirkung des CO2 aus und ist daher eine nicht zu vernachlässigende Größe. Das Erdklima unterscheidet nicht, durch welche Faktoren für die globale Erwärmung sorgen, ob CO2 oder Methan. Insofern ist die Rechnung der EWG-Studie konsequent.

Zudem heißt es darin unter Berufung auf das New Climate Institute, daß die Industrienationen spätestens ab 2030, alle anderen Staaten ab 2035 keine Treibhausgase mehr emittieren dürfen. Zur Einschätzung dieser Forderung: Ab 2030 will Deutschland keine neuen Benzin- und Dieselautos mehr zulassen. Das heißt, es werden dann noch zig Millionen Verbrennungsmotoren in Betrieb sein, und die von der Bundesregierung favorisierte Alternative, das Elektroauto, ist bezogen auf die gesamte Rohstoffkette sogar noch klimaschädlicher!

Der Verkehr wird in der EWG-Studie als besonders mangelhaft bewertet. Hans-Josef Fell: "Gemäß den Projektionen der Bundesregierung wird zum Beispiel der Verkehr im anspruchsvollsten Minderungsszenario den vorgeschriebenen Zielpfad 2035 um 91 % überschreiten."

Auch werden nach Vorstellung der Bundesregierung im Jahr 2030 noch reichlich Kohlekraftwerke in Betrieb sein und weiterhin CO2-Emissionen produzieren. Ein weiteres Beispiel dafür, daß Theorie und Praxis des Klimaschutzes weit auseinanderklaffen, sogar bezogen auf die im Jahr 2010 beschlossene anspruchslose Vorgabe, die globale Temperatur um nicht mehr als 2 bis 2,4 Grad steigen zu lassen. Jörn Schwarz, Autor der EWG-Studie und Vorsitzender der ASPO Deutschland: "Der Emissionsminderungspfad von 2010 ist schon in den ersten Jahren verfehlt worden. In Kombination mit den deutlich ambitionierteren Zielen des Pariser Abkommens sind nun zusätzliche Maßnahmen in erheblichem Umfang nötig, deren Ziel eine Nullemissions-Wirtschaft bis 2030 sein sollte." [2]

Der Ruf Deutschlands als Vorreiter im Klimaschutz hat erstens damit zu tun, daß andere Staaten lange Zeit eine Politik betrieben haben, die noch klimaschädlicher ist (von denen aber inzwischen einige die Nase vorn haben, wie in der EWG-Studie angedeutet), und zweitens damit, daß Deutschland bei Umwelttechnologien eine weltweite Führungsposition angestrebt hat und es gelungen ist, diese als besonders klimafreundlich erscheinen zu lassen. Dabei ist das Elektroauto nicht das einzige Beispiel, bei dem unter dem Label des Klimaschutzes die wachstumsorientierte Warenproduktion in Bereiche ausgelagert wird, die auf den ersten Blick nicht als Emittenten von Treibhausgasen zu erkennen sind.

Klimapolitisch lebt Deutschland zu Lasten anderer, heute und in zukünftigen Generationen. Auf der aktuell in Marrakesch angelaufenen Klimaschutzkonferenz dürfte die deutsche Delegation einige Bemühungen darauf verwenden, diesen Umstand zu verschleiern. Die Voraussetzungen für solche Manöver sind allerdings gesunken, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, rechtzeitig vor Beginn der Verhandlungen ihren "Klimaschutzplan 2050" vorzulegen. Das heißt, die anderen Staaten wissen gar nicht so genau, woran sie sind.


Fußnoten:

[1] http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/2015/05/EWG-Klimapolitik-Deutschland-Nov-2016.pdf

[2] http://www.hans-josef-fell.de/content/index.php/presse-mainmenu-49/schlagzeilen-mainmenu-73/1031-neue-ewg-studie-deutschland-verfehlt-klimaziele-erheblich

[3] Näheres zum Briefing zur Deutschen Klimapolitik im Schattenblick unter anderem hier::
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0122.html

[4] http://www.isi.fraunhofer.de/isi-wAssets/docs/e/de/publikationen/treibgasminderung.pdf

6. November 2016


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