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KLIMA/642: Umwelt - halbherzig ... (SB)



Aufgrund der Emissionen des Schiffsverkehrs erkranken jedes Jahr weltweit schätzungsweise vierzehn Millionen Kinder an Asthma. Aus Gesundheitsgründen muß ab dem Jahr 2020 der Schwefelanteil am Schiffsdiesel drastisch verringert werden. Trotz dieser Maßnahme nimmt die dafür zuständige International Maritime Organization (IMO) in Kauf, daß auch dann noch sieben Millionen Kinder jährlich in Folge der Schiffsemissionen zu Asthmatikern werden. Sie werden zu Opfern der globalen Handelsströme einer auf Wachstum durch Zerstörung beruhenden Wirtschaftsweise.

Das 2016 ratifizierte Klimaabkommen von Paris hat zwei große Bereiche menschlicher Produktivität aus der Verpflichtung zur Reduzierung von Treibhausgasen ausgenommen, die Luftfahrt und den Schiffsverkehr. Erstere wird von der Weltorganisation ICAO (International Civil Aviation Organization), letzterer von der IMO in Eigenregie geregelt. Diese hatte nach vielen Jahren des Drängens und Schiebens nicht zuletzt seitens der Zivilgesellschaft eine Reihe von Bestimmungen erlassen, nach der neben den Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2) auch die anderer Schadstoffe zurückgefahren werden müssen. Dazu zählt der Schwefelausstoß, dessen Höhe unter anderem vom Schwefelgehalt im Schiffsdiesel abhängt (und natürlich von entsprechenden Filtern). Demnach müssen Schiffe ab 2020 ihren Schwefelausstoß um 80 bis 86 Prozent verringern. Der Grenzwert des Schwefelanteils in Schiffsdiesel wird dann von gegenwärtig 3,5 auf 0,5 Prozent, bzw. von 35.000 ppm (parts per million) auf 5.000 ppm reduziert.

Nun hat eine internationale Forschergruppe um James Corbett von der Universität von Delaware zu berechnen versucht, welche Auswirkungen die deutliche Verringerung des Schwefelgehalts in Schiffsdiesel hinsichtlich der Asthmaanfälligkeit von Kindern haben wird. Laut der in Nature Communications [1] veröffentlichten Studie würde sie weltweit um 3,6 Prozent zurückgehen. Außerdem würde auch die Sterberate durch Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen von gegenwärtig 400.000 vorzeitigen Todesfällen um etwa ein Drittel verringert.

Ein erheblicher Teil des zu erwartenden Erfolgs durch die neuen IMO-Grenzwerte wird allerdings durch den weiter wachsenden Schiffsverkehr gleich wieder zunichte gemacht. Die Forschergruppe rechnet mit jährlich 6,4 Millionen asthmaerkrankten Kindern und 250.000 vorzeitigen Todesfällen durch Schiffsemissionen ab 2020 und schreibt, daß striktere Standards die Zahl der Erkrankten und die Sterberate weiter senken könnten.

Die IMO rechnet mit einer Zunahme des Welthandels, der zu rund 90 Prozent auf dem Seewege abgewickelt wird. Die extrem hohe Zahl an Asthmaerkrankungen auch nach 2020 und die erhöhte Sterberate aufgrund von Schiffsemissionen sind Bestandteil eines Kalküls, in dem Leben und Leiden von Menschen kaum Wert beigemessen wird. Die neuen Bestimmungen sind halbherzig.

In der Berichterstattung über die Problematik der Schwefelemissionen wird die Globalisierung an sich nicht in Frage gestellt. Dabei sollte dies mindestens gleichrangig zur Zusammensetzung des Schiffsdiesels und weiteren technischen Fragen behandelt werden. Für die Abkehr von der Globalisierung findet sich kaum eine Lobby, wohingegen umgekehrt IMO, Reeder und Politik ein Interesse daran haben, daß die Wirtschaft immer weiter wächst. Das wird dann Prosperität genannt. Daß die Sterbe- und Erkrankungsraten bereits dadurch drastisch verringert werden könnten, daß weniger Güter produziert und transportiert werden, um noch wesentlich wirksameren Gesundheits- und Klimaschutz zu betreiben, wird gar nicht erst erwogen.

Nimmt man jetzt noch weitere Verkehrswege (Luft, Schiene, Straße) hinzu, durch die und auf denen Menschen Gesundheit und Leben preisgeben müssen, erweist sich die Globalisierung als gewaltige Vernichtsmaschinerie, der Jahr für Jahr zig Millionen Menschen anheimfallen. Damit nicht genug, fordern nicht nur die globalen Handelsströme Opfer, hinzu kommen noch der Abbau von Ressourcen, ihre Weiterverarbeitung und die Produktion von Waren, die von einem Ende der Welt zum anderen befördert werden und deren Nutzen häufig fraglich ist.

In der Wirtschaftslehre ist der Standpunkt verbreitet, daß eine Abkehr von der Wachstumsidee großes Leid über die Menschheit bringen wird. Unerwähnt bleibt jedoch, daß die Fortsetzung des Wachstumszwangs schon längst dabei ist, großes Leid zu erzeugen. Aufgrund der IMO-Bestimmungen wird ab 2020 weltweit "nur" noch alle fünf Sekunden ein Kind an Asthma in Folge der Schiffsemissionen erkranken. Welch eine Erfolgsgeschichte in Sachen Gesundheitsschutz ...


Fußnote:

[1] https://www.nature.com/articles/s41467-017-02774-9.pdf

12. Februar 2018


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