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KLIMA/646: CO2 - Emissionsbetrug und Selbsttäuschung ... (SB)



Müßten nicht alle Staaten, die das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet haben, sowie alle zwischenstaatlichen Einrichtungen ihrem eigenen Anspruch gerecht werden und alles dafür tun, um dessen Ziele einzuhalten? Zum Beispiel die Internationale Energieagentur (IEA). Sie wurde ein Jahr nach der Ölkrise 1973 von 16 Industriestaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegründet, um gemeinsame Maßnahmen zur Sicherung der Ölversorgung zu ergreifen. Heute hat die in Paris ansässige IEA 30 Mitglieder. In dem "New Policies Scenario" (NPS) des jüngsten World Energy Outlook (WEO) propagiert die IEA jedoch nach wie vor eine Politik, die unvereinbar mit den Zielen des Klimaabkommen von Paris ist. Das behaupten die beiden NGOs Oil Change International und das Institute for Energy Efficiency and Financial Analysis (IEEFA) in einem Anfang April erschienenen, 44seitigen Report mit dem Titel "Off Track: How the International Energy Agency Guides Energy Decisions towards Fossil Fuel Dependence and Climate Change" [1].

"Die IEA fördert die Vision einer Zukunft, in der die Welt von fossilen Energieträgern abhängig bleibt", berichtet Greg Muttitt, Hauptautor des Reports und Forschungsdirektor von Oil Change International. Als Grundlage für politische und Investitionsentscheidungen berge das NPS die Gefahr einer "sich selbsterfüllenden Prophezeiung" [2].

Im Klimaabkommen von Paris haben sich die Staaten darauf festgelegt, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad, möglichst unter 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Wichtigstes Instrument dazu ist die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen aus dem Verbrennen fossiler Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas.

Die IEA propagiere eine Energiepolitik, die nicht in die Sicherheit führe, sondern uns über die Klippe bugsiere, kritisiert Muttitt im Interview mit dem "Guardian" die Organisation [3]. Bei dem "Neuen Politikszenario" der IEA wäre das Kohlenstoffbudget für das 1,5-Grad-Ziel bereits 2022, also in vier Jahren, ausgeschöpft und das für das 2-Grad-Ziel im Jahr 2034. Selbst wenn man die ambitioniertesten Aussichten der IEA zugrunde lege, die im "sustainable development scenario" beschrieben sind, würde das 2-Grad-Ziel im Jahr 2040 überschritten. Deshalb seien alle Regierungs- und Finanzinstitutionen, die die IEA-Szenarien zur Grundlage ihrer Investitionen in Öl und Gas machten, schlecht beraten, so Muttitt. Es sei schockierend, wie weit sich die Organisation vom Paris-Abkommen entferne.

Zwei der Autoren des World Energy Outlook befänden sich auf der Gehaltsliste von Shell, zeigte der Kritiker einen offensichtlichen Interessenkonflikt der IEA auf. Außerdem monierte er, daß diese Organisation noch immer den Industriestaaten verpflichtet ist. Als Beispiel wurde der Widerspruch genannt, daß laut IEA die Europäische Union ihre Treibhausgasemissionen bis 2040 um 40 Prozent, Indien jedoch um 46 Prozent senken würde. Das stehe im Widerspruch zur historischen Verantwortung der Industriestaaten für den Klimawandel. Muttitt fordert die IEA auf, dem Beispiel der Weltbank zu folgen, die im Dezember vergangenen Jahres angekündigt hat, Investitionen in Öl und Gas 2019 auslaufen zu lassen.

Gegenüber dem "Guardian" erwiderte die IEA hinsichtlich der Vorwürfe, daß ihre zwei Dutzend Autoren und mehrere hundert Gutachter des World Energy Outlook aus einem "breiten Feld" stammten, aus Regierungen, NGOs und der Industrie, inklusive der erneuerbaren Energieindustrie. Im übrigen sei beim jüngsten ministerialen Treffen eine Modernisierungsstrategie beschlossen worden, um die IEA in ein "globales Zentrum für saubere Energie" zu wandeln.

Der Guardian hat nicht näher ausgeführt, was die IEA unter "sauberer Energie" versteht oder verstehen könnte. Das sei hiermit nachgeholt. Möglicherweise ist damit Kernenergie gemeint, gegenüber der die Organisation bislang sehr positiv eingestellt war. Weil beim Abbrand der Kernbrennstäbe keine CO2-Emissionen freiwerden, behauptet die Industrie, Akws seien klimafreundlich. Das ist zwar an den Haaren herbeigezogen, weil während der gesamten Prozeßkette, von der Urangewinnung bis zu Endlagerung abgebrannter Brennelemente - und nicht zu vergessen der Katastrophenbewältigung wie in Fukushima - riesige Mengen an CO2-Emissionen erzeugt werden, hat sich aber inzwischen bis in den Verhandlungsprozeß des internationalen Klimaschutzes eingeschlichen. Darüber berichtete im Dezember vergangenen Jahres der russische Umweltschützer Vladimir Slivyak (Ecodefense, Moskau), der schon an einer Reihe von COPs teilgenommen hat, auf dem People's Climate Summit in Bonn [4].

Auch Kohle wird von der Industrie als "sauber" gehandelt, wenn sie nur in Verbindung mit dem Geschäftsmodell des CCS, des Abfangens und Abscheidens von Kohlenstoff aus der Kohleverbrennung und anschließenden Lagerung des verflüssigten Treibhausgases etabliert wird. Nicht zuletzt wird von interessierten Kreisen auch innerhalb der Europäischen Union behauptet, daß Erdgas eine klimafreundlichere Alternative zu Kohle und Erdöl darstellt. Das ist jedoch ein Irrtum, denn dabei würden unter anderem die kurzfristigen Methanemissionen aus der Gasinfrastruktur unter den Teppich gekehrt, wie im vergangenen Dezember Frieda Kieninger von der Organisation Food and Water Europe ebenfalls auf dem People's Climate Summit in Bonn näher ausführte [5].

Die Zeit spielt der Industrie in die Hände. Je mehr Zeit verstreicht, in der nicht entscheidende Schritte zur Reduzierung der CO2-Emissionen ergriffen werden, desto leichter hat es die Industrie, daß ihre fadenscheinigen Vorschläge zur Bereitstellung vermeintlich sauberer Energie angenommen und umgesetzt werden. Beispielsweise erfordert das CCS-Verfahren zur "sauberen Kohle" seinerseits viel Energie, die dann wiederum von Kohlekraftwerken generiert werden würde. Die wären also eine richtige Geldmaschine. Man könnte auch von einer Win-win-Technologie sprechen: In beiden Fällen streichen die Betreiber der Kohlekraftwerke die Gewinne ein, während die Gesellschaft das Nachsehen hat.

Der aktuelle Report der beiden NGOs zeigt: Was immer sich die IEA auf die Fahne schreibt, als Kind der OECD ist sie nach wie vor der fossilen Energiewirtschaft verbunden.


Fußnoten:

[1] http://priceofoil.org/content/uploads/2018/04/OFF-TRACK-the-IEA-Climate-Change.pdf

[2] https://www.commondreams.org/news/2018/04/05/study-details-how-ieas-rosy-outlook-fossil-fuels-driving-world-towards-climate

[3] https://www.theguardian.com/environment/2018/apr/05/iea-accused-of-undermining-global-shift-from-fossil-fuels

[4] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0101.html

[5] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0102.html

9. April 2018


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