Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/658: CO2 - Und wir wußten es doch ... (SB)



Die globale Erwärmung führt nicht nur zu weitreichenden Umbrüchen in der Erdatmosphäre, sondern auch in den Weltmeeren. Beispielsweise verändert sich die Chemie der Ozeane unter dem Einfluß menschengemachter CO2-Emissionen. Da die globale CO2-Konzentration in der Atmosphäre ungebremst weiter zunimmt und es einen regelmäßigen Austausch zwischen Luft und Wasser gibt, rechnet die Wissenschaft damit, daß die ozeanische Versauerung in Zukunft noch erheblich zunehmen wird.

Nun hat eine internationale Forschergruppe ein Meeresgebiet an der pazifischen Küste Japans untersucht, das einen Ausblick auf eine Welt liefert, wie sie unvermeidlich entstehen wird, sollten nicht drastische Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen ergriffen werden. Genauer gesagt, hat die Forschergruppe die Biodiversität an einem Riff vor der Insel Shikine ermittelt. Diese liegt in der Übergangsregion zwischen gemäßigten und subtropischen Breiten. Dort ist das Meerwasser in Folge submariner vulkanischer Ausgasungen besonders sauer. Verglichen wurde diese Fläche mit einem nahegelegenen Riff in einem Meeresgebiet, das bereits nicht mehr unter dem Einfluß der Vulkanemissionen stand und dessen Wasser, unter dem Einfluß der kräftigen Kuroshio-Strömung, einen höheren ph-Wert aufweist. Ermittelt wurde die Artenzusammensetzung und Menge von Organismen von Flächen, die entweder unter dem Einfluß der Gezeiten standen oder davon unbeeinflußt waren, weil sie weiter im Meer lagen.

Das vulkanisch beeinflußte Gebiet liefert nach Ansicht der Forschergruppe eine geeignete Analogie für Verhältnisse, wie sie in Zukunft zu erwarten sind. Zu den wesentlichen Ergebnissen der Studie gehört:

- Die Versauerung stellt für viele Meeresbewohner eine Gefahr dar und verringert die Biodiversität in den marinen Ökosystemen sehr deutlich.

- Die Artenzusammensetzung verschiebt sich von sehr diversen Lebensgemeinschaften mit Kalkbildnern zu monolithischen Lebensgemeinschaften ohne Kalkbildner.

- Bestimmte Algenarten gedeihen im saureren Milieu gut und dominieren den marinen Lebensraum, indem sie sich als regelrechte Matten über die Korallen legen.

- Die Vorstellung, daß sich Korallen in einer wärmeren Welt weiter nach Norden ausbreiten, dürfte sich als Irrtum erweisen, da genau das von der Versauerung verhindert wird.

In erdgeschichtlicher Vorzeit hat es durchaus Phasen gegeben, in denen die Ozeane erheblich saurer waren als heute und in denen dennoch Korallen, Kieselalgen, Muscheln und andere kalkbildenden Organismen gediehen. Denn die Versauerung fand damals so langsam statt, daß sich die Arten anpassen konnten. Die heutige Entwicklung läuft dagegen so schnell ab, daß es keine Individuen gibt, die mit der Geschwindigkeit der Veränderung mithalten und ihre Anpassungsfähigkeit an die Nachkommen weitergeben könnten.

Um das besser zu verstehen, muß man wissen, was mit dem sperrigen Begriff "Lysokline" gemeint ist. Damit wird ein Grenzbereich in rund ein bis zwei Kilometer Meerestiefe bezeichnet, der auch Sättigungshorizont genannt wird. Oberhalb der Lysokline herrscht eine Übersättigung von Karbonat-Ionen vor, die für die Kalkbildung unverzichtbar sind. Unterhalb dieses Horizonts besteht eine Untersättigung, ein Mangel, so daß sich die Kalkskelette der Meeresorganismen auflösen. Genaugenommen existieren sogar zwei Sättigungshorizonte, einer für die Bildung von Calcit und einer für Aragonit. Beide sind Modifikationen des Calciumcarbonats und werden von Organismen zum Aufbau ihrer Kalkskelette verwendet. Entscheidend ist jedoch, daß die Horizonte nach oben wandern, je saurer das Meerwasser wird. Man geht davon aus, daß sie seit Beginn der industriellen Entwicklung vor rund 200 Jahren um 50 bis 200 Meter näher zur Oberfläche gerückt sind. In den polaren Breiten läuft der Prozeß schneller ab, da kaltes Wasser mehr CO2 aufnehmen kann. Das hat zur Folge, daß gegen Ende dieses Jahrhundert die Lysokline in der Arktis wahrscheinlich die Meeresoberfläche erreicht. Im Nordatlantik wird sie voraussichtlich auf 100 Meter an die Oberfläche herangerückt sein.

Auf die Ozeane und die Geschwindigkeiten bezogen, mit denen dort Prozesse ablaufen, ist das eine ähnlich dramatische Entwicklung, wie sie gegenwärtig in der Erdatmosphäre durch die Erhöhung der CO2-Konzentration stattfindet: Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur, das vermehrte Auftreten von Extremwetterereignissen, das beschleunigte Auflösen des Permafrosts, der Rückzug der Gletscher - all das sind Vorgänge, die sich vor den Augen der Menschen abspielen. Was im Meer geschieht, bleibt hingegen vergleichsweise im dunkeln. Es wäre indes ein Trugschluß anzunehmen, daß etwas, das man nicht sieht, deswegen nicht stattfindet oder sich nicht auf den Lebensbereich der Landbewohner auswirken kann.


Fußnote:

[1] https://www.nature.com/articles/s41598-018-29251-7.pdf

1. August 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang