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KLIMA/682: Permafrost - anwachsende Taugeschwindigkeiten ... (SB)



Zwei Forscher an eisdurchsetzter Abbruchkante mit Gerätschaften wie Spaten und Maßband - Foto: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Vermessung des Permafrostbodens auf der sibirischen Bykovsky-Halbinsel.
Permafrost-Expedition 2014 (Nachwuchsgruppe PETA-CARB) - AWI-Permafrostexperte Dr. Guido Grosse (links) und sein Kollege Matthias Fuchs untersuchen Thermokarst-Erhebungen.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren haben sich die Permafrostböden weltweit um durchschnittlich 0,3 Grad Celsius erwärmt. Was sich vielleicht unspektakulär anhört, ist für diejenigen, die an den Temperaturmessungen beteiligt waren, ein Alarmsignal. Denn die Messungen fanden in Bohrlöchern in über zehn Metern Tiefe statt, und dort verändern sich die physikalischen Verhältnisse in der Regel nur sehr, sehr langsam. Das wird beispielsweise daran deutlich, daß heute noch Permafrostböden aus der vorletzten Eiszeit existieren. Sie haben die zwischenzeitliche Warmzeit (fachsprachlich: Interglazial) überstanden. Inzwischen finden jedoch Wandlungen in verschiedenen Natursystemen mit so hohen Geschwindigkeiten statt, wie sie in den letzten Millionen Jahren nicht abgelaufen sind.

Eine Auswertung der Daten aus weltweit 154 Bohrlöchern (123 von ihnen erlaubten Auswertungen über eine Dekade hinweg; die anderen ergänzten das Bild) zeigte, daß sich der Permafrostboden von Sibirien in einzelnen Bohrlöchern mit über 0,9 Grad Celsius innerhalb des Meßzeitraums (2007 bis 2016) besonders schnell erwärmt hat. Laut dem Erstautor der in "Nature Communications" [1] veröffentlichten Studie, Dr. Boris Biskaborn, Mitglied der Forschungsgruppe Polare Terrestrische Umweltsysteme von der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), zählt die Arktis insgesamt zu den Weltregionen mit den höchsten Temperaturanstiegen des Permafrostbodens und das, obwohl sich die Lufttemperatur im gleichen Zeitraum nur um 0,61 Grad Celsius erhöht hat [2].

In der Antarktis und den Hochgebirgen wurden nicht ganz so starke Veränderungen registriert. Das hängt auch davon ab, ob eine Schneebedeckung vorliegt oder nicht. Ein Anstieg der Temperatur wurde an 71 Bohrstellen festgestellt, eine Abnahme an zwölf und unverändert geblieben war sie an 40 Meßstellen. "All diese Daten zeigen uns, dass sich der Permafrost nicht nur lokal und regional erwärmt, sondern weltweit und nahezu im Takt mit der Klimaerwärmung, die vor allem in der Arktis zu einer starken Erwärmung der Luft und zu größeren Schneedicken führt. Beide Veränderungen bedingen nun die Erwärmung des bisher dauergefrorenen Untergrundes", sagt Co-Autor Prof. Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam.

Permafrostboden ist definiert als derjenige Boden, der mindestens in zwei aufeinanderfolgenden Jahren gefroren ist. Rund ein Sechstel der globalen Landfläche ist dauerhaft gefroren. Die Menschen, die dort wohnen, bekommen erhebliche Probleme, weil ihnen der Boden unter den Füßen weggleitet: Die Infrastruktur bricht zusammen, Straßen schlagen Wellen, Häuser neigen sich zur Seite und werden rissig, Küsten brechen weg und damit auch alle nahe an der Wasserkante errichteten Bauwerke.

Dem noch nicht genug. Sobald der Boden auftaut, setzt bei Bakterien der Stoffwechsel ein und sie zerlegen das im Boden enthaltene organische Material. Das findet heute schon in jenen Permafrostregionen statt, die im Sommer von oben her auftauen und im Winter wieder zufrieren. Man schätzt, daß im Permafrost doppelt so viel Kohlenstoff gebunden ist wie in der Erdatmosphäre. Deshalb ist es äußerst klimarelevant, was im Dauerfrostboden geschieht. In Folge der Entwicklung könnte die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um zusätzlich 0,13 bis 0,27 Grad Celsius steigen.

Ein Wert von 0,3 Grad Celsius wäre nahezu bedeutungslos, solange der Boden etliche Minusgrade aufweist. Gefroren ist gefroren, ob der Boden -10,0 oder -9,7 Grad kalt ist. Aber da, wo er nur ganz knapp unter Null gefroren ist, löst so ein Temperaturanstieg einen fundamentalen Wandel der physikalischen Verhältnisse aus, nämlich zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand von Wasser.

Dies ist der erste umfassende Zustandsbericht zu diesem Thema. "Wir können nun mit Sicherheit sagen, daß sich Permafrost im globalen Maßstab erwärmt", sagte Prof. Hugues Lantuit, ebenfalls vom AWI und Co-Autor dieser Vergleichsstudie, für die Daten des internationalen Permafrost-Netzwerkes (GTN-P - Global Terrestrial Network for Permafrost) ausgewertet wurden [3].

Auftauen der Permafrostböden, Meeresspiegelanstieg, Gletscherschmelze - diese und zahlreiche weitere Natursysteme verändern sich zur Zeit nicht nur mit zunehmender Geschwindigkeit, sondern stehen auch in Wechselwirkung miteinander. Beispielsweise bedeutet ein Anstieg des Meeresspiegels für die nordsibirischen Schelfgebiete, daß sie von Wasser überflutet werden und der gefrorene Untergrund allmählich auftaut. Dort werden bereits größere Mengen an Kohlenstoffdioxid und Methan freigesetzt, was beides Treibhausgase sind. Die Erde heizt sich weiter auf, so daß noch mehr Permafrostboden auftaut, usw. Somit sind die erwähnten 0,3 Grad Celsius Erwärmung der Dauerfrostböden keine Kleinigkeit, sondern ein Warnsignal, daß sich die Erde in einem grundlegenden Wandel befindet, dessen Endzustand heute noch gar nicht absehbar ist.


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/s41467-018-08240-4

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/klima/uklfo744.html

[3] https://insideclimatenews.org/news/16012019/permafrost-thaw-climate-change-temperature-data-arctic-antarctica-mountains-study


18. Januar 2019


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