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KLIMA/694: Erderwärmung - Schulpflichtverletzung das kleinere Übel ... (SB)


"Wir befinden uns in einer Generation, die in die Zukunft schaut und Weichen für die Zukunft stellen muß. Ich glaube, es gab selten eine Generation, die so viel von den möglichen zukünftigen Entwicklungen schon gewußt hat. Das heißt, wir entscheiden jetzt bewußt, wieviel Armut, wieviel Reichtum, wieviele Risiken und wieviele Chancen wir in den nächsten Generationen haben werden. Das ist eine zusätzliche Verantwortung." (Prof. Dr. Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS) Helmholtz-Zentrum Geesthacht [1])


Ganz und gar trockene Landschaft 2007/2008 in South Australia. Im Vordergrund ein Verbotsschild, das wie ein Verkehrszeichen einen durchgestrichenen Schwimmer zeigt und die Aufschrift 'No Swimming' trägt - Foto: Peripitus, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

"Kleiner Schönheitsfehler: Diese und die anderen Freitagsdemonstrationen finden während der Schulzeit statt, und in Deutschland gilt Schulpflicht."
(DLF-Moderator Heinemann, 15. März 2019 [2])
Großer Schönheitsfehler: Verheerende Dürre in Australien.
Foto: Peripitus, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Am Freitag haben in über 2050 Städten in 123 Ländern Schülerinnen und Schüler unter dem Motto Fridays for Future für mehr Klimaschutz gestreikt. In einem Deutschlandfunk-Interview mit dem Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Anton Hofreiter, am frühen Morgen fiel dem Moderator zu dem existentiell wichtigen Thema Klimawandel nichts anderes ein, als seinen Gesprächspartner immer wieder zu fragen, was Schulpflicht heißt. Treffend hat Hofreiter nicht so auf die Frage geantwortet, wie es der Moderator gerne gehabt hätte, sondern hat darauf insistiert, daß die Frage der Schulpflicht eine reine Ablenkungsdebatte ist, um sich nicht ernsthaft mit der Klimaproblematik auseinandersetzen zu müssen.

Wenn es um die Frage geht, was Schulpflicht ist, läßt sich die mit wenigen Klicks im Internet schnell und ausführlich beantworten. Warum DLF-Moderator Christoph Heinemann deswegen eigens den Fraktionsvorsitzenden der Grünen morgens um 6.50 Uhr anruft und befragen muß, erschließt sich beim besten Willen nicht ... oder aber - und das zu erwähnen ist eigentlich banal - es ging in dem Gespräch gar nicht um die Definition von Schulpflicht, sondern um etwas anderes. Genau darauf hat jedoch Hofreiter von Anfang an geantwortet, indem er sagte:

"Ich glaube, dass das eine klassische Debatte ist, um abzulenken, um diese jungen Menschen klein zu machen, um ihr Anliegen nicht ernst zu nehmen. Es ist viel davon die Rede, dass 2050, was uns, die wir schon etwas älter sind, weit entfernt scheint, wir klimaneutral sein müssen. Wenn die Bundesregierung so weitermacht, sind wir davon ganz unendlich weit entfernt. Aber ein Großteil der Menschen, die jetzt protestieren, der jungen Menschen, sind dann jünger, als ich es bin. Wir sind dabei, deren Zukunft zu zerstören. Das haben die begriffen und das ist ein riesen Problem."

Nicht der Interviewte, sondern der Moderator hat sich der zur Debatte stehenden Frage verweigert, indem er inquisitorisch stets die gleiche Frage gestellt, und als das nicht verfangen hat, diese in anderer Variante wiederholt hat. So wollte er wissen, wie denn Lehrerinnen und Lehrer darauf reagieren sollten, wenn Schülerinnen und Schüler nicht zum Unterricht erscheinen und, nächste Frage, warum man denn nicht am Samstag "für die Zukunft" demonstrieren kann.

Auch Heinemann dürfte das Verfassungsgerichtsurteil vom vergangenen Jahr kennen, demzufolge verbeamtete Lehrkörper nicht streiken dürfen. Wenn also, wie es sich jetzt schon abzeichnet, nach Fridays for Future, Parents for Future und Scientists for Future demnächst auch die Angestellten im Schuldienst Teachers for Future gründen, hat Heinemann seine Antwort: Wer verbeamtet ist, darf den Schulstreik nicht unterstützen, jedenfalls nicht öffentlich, wer angestellt ist hingegen schon. An den heutigen Demonstrationen haben nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen. Da hat Heinemann seine Antwort.

Eben weil sich im August vergangenen Jahres die Initiatorin von Fridays for Future, die damals 15jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, mit einem Schild in der Hand an einem Freitag, anstatt in die Schule zu gehen, auf die Stufen des schwedischen Parlaments gesetzt hat, wurde eine Bewegung daraus. Gewiß, an einem Samstag hätte sie ebenfalls demonstrieren können - warum nicht? Allerdings hätten wir nichts davon erfahren. Solche Demonstrationen für mehr Klimaschutz haben schon Zehntausende auf die Straße gebracht. Und was wurde daraus? Deutschland steigt aus der Kohleverstromung im Jahr 2038 aus.

Doch der Streik an einem Freitag spricht eine andere Sprache, nämlich: Wir verweigern uns eurer Bildung, weil ihr uns unsere Zukunft raubt! Ihr habt uns an diesen entscheidenden Punkt der Menschheitsgeschichte geführt, von dem die Klimawissenschaft sagt: Die globale Erwärmung kann noch gestoppt werden, aber nur dann, wenn 90 Prozent der fossilen Energieträger in der Erde bleiben und unverzüglich eine entschlossene Transformation der Gesellschaft eingeleitet wird. Macht ihr das? Nein? Also streiken wir so lange, bis ihr auf die Wissenschaft hört.


Abbruch von der Permafrostküste von Drew Point, Alaska. Die Küste zieht sich hier um bis zu 20 Meter pro Jahr zurück. - Foto: U.S. Geological Survey

"Natürlich hat es im Laufe der Erdgeschichte mehrere Warmzeiten gegeben, aber die Geschwindigkeit, mit der sich das Klima wandelt, wird von uns jetzt durch das, was wir mit unserer Erde machen, noch beschleunigt."
(Prof. Hans-Wolfgang Hubberten, Leiter der Sektion Periglazialforschung des AWI, auf der XI. International Conference On Permafrost 2016 [3])
Foto: U.S. Geological Survey

Die Botschaft von der begrenzten Tragfähigkeit der Erde wurde eigentlich schon vor über 50 Jahren mit der Studie "Die Grenzen des Wachstums" (1972) verbreitet, mit der Umweltstudie "Global 2000" (1977) für den US-Präsidenten Jimmy Carter aufgegriffen und in den Jahrzehnten seitdem immer wieder unter anderem auf den seit 1992 jährlich stattfindenden UN-Klimagipfeln sowie den alle fünf bis sieben Jahre herausgegebenen Sachstandsberichten des Weltklimarats (IPCC) thematisiert. Es hat also nicht an Informationen gemangelt, sondern am politischen Willen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entscheidungsgrundlage zu nehmen. Und jetzt erwartet der DLF-Moderator ernsthaft, daß die Heranwachsenden die ihnen von den notorischen Wissenschaftsverweigerer in den Regierungen auferlegte Pflicht des Schulbesuchs über das Überlebensinteresse zunächst der Menschen im Globalen Süden, später auch hierzulande, nur um für eine vollkommen ungewisse Zukunft zu lernen?

Nein, so ungewiß ist sie gar nicht. Man weiß, daß die Menschheit auf eine globale Katastrophe noch in diesem Jahrhundert zusteuert, möglicherweise sogar schon innerhalb der nächsten zehn Jahre. [4]

Die zur Zeit betriebene Klimapolitik läuft nicht auf eine Welt hinaus, die 1,5 Grad Celsius wärmer gegenüber der vorindustriellen Zeit ist, wie im Klimaübereinkommen von Paris gefordert. Auch nicht auf eine 2-Grad-Welt, die bereits mit erheblich mehr Naturkatastrophen sowie Verlusten unter Mensch und Tier einhergeht, und ebenfalls nicht auf eine 3,2 Grad wärmere Welt, die sich aus den nationalen Selbstverpflichtungen der Unterzeichnerstaaten im Pariser Übereinkommen ergibt. Nein, die realen Trends lassen eine 3,5 bis vier Grad wärmere Welt erwarten. Und das wäre nur der Anfang, weil auf dem Weg dahin "Tipping Points" - Kippunkte - überschritten werden, die das Gesicht der Erde drastisch verändern. Und dazu fällt einem Radiomoderator des staatlichen Rundfunksenders DLF nicht besseres ein, als an die Schulpflicht zu erinnern?

Aber etwas kann man dem Interview zum Schluß doch noch abgewinnen. Wenn die Schülerinnen und Schüler von der Borniertheit des DLF-Moderators erfahren, werden sie wissen, mit welchen Beharrungskräften sie es auf der Gegenseite zu tun haben. Das wäre eine Lektion fürs Leben, die ihnen kein curricularer Lehrplan am heutigen Freitag trefflicher hätte vermitteln können.


Die nur drei Meter hohe Insel Eita gehört zum pazifischen Inselstaat Kiribati, einem der ersten Länder, die von der Landkarte verschwinden, wenn der Meeresspiegel steigt - Foto: Erin Magee / DFAT, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Der Westantarktische Eisschild "befindet sich nach allem, was wir wissen, schon jetzt in einem instabilen Zustand. Er wird von selber im Laufe der nächsten Jahrhunderte zerfallen, was einen Meeresspiegelanstieg von drei Metern nach sich zieht. Es ist wahrscheinlich, daß es auch Wechselwirkungen zwischen diesen Kippelementen gibt. Dazu halte ich die Vorstellung, daß das Dominosteine sind, die umfallen, so daß einer den anderen anstößt, für nicht ganz von der Hand zu weisen."
(Prof. Dr. Stefan Rahmstorf, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung [5])
Foto: Erin Magee / DFAT, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0288.html

[2] https://www.deutschlandfunk.de/fridays-for-future-wir-sind-dabei-deren-zukunft-zu.694.de.html?dram:article_id=443693

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0227.html

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-693.html

[5] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0257.html


15. März 2019


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