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KLIMA/734: Globale Erwärmung - konsequent inkonsequent ... (SB)



Der Weltklimagipfel COP 25 in Madrid wird vor allem deshalb als gescheitert angesehen, weil sich die Delegierten nicht mal ansatzweise darauf geeinigt haben, wie ein weltweites Handelssystem mit Verschmutzungsrechten eingerichtet werden kann. Der sogenannte Emissionshandel gilt als schärfste Waffe im Arsenal des Klimaschutzes, und doch hat sich diese Waffe bisher als stumpf erwiesen. So hat das Europäische Emissionshandelssystem (ETS), das häufig als Vorbild genannt wird, bislang keinen nennenswerten Klimaeffekt gebracht. Im Gegenteil, die beteiligten Wirtschaftsbranchen haben die Verschmutzungsrechte größtenteils geschenkt bekommen und waren nicht gezwungen, ihre Produktion möglichst CO₂-arm zu organisieren. Wohingegen die Idee, Klimaschutz zu betreiben, indem man sich vom Wachstumszwang und Profitstreben der vorherrschenden Wirtschaftsordnung verabschiedet, also von vornherein nicht so immens viele CO₂-Emissionen produziert, als rotes Tuch gilt und auf der COP 25 gar nicht erst erwogen wurde.

Nach vielen Jahren, in denen das ETS mehr Schaden als Nutzen gebracht hat und die am System beteiligten Unternehmen beispielsweise aus der Stromversorgung Emissionszertifikate geschenkt bekamen, aber eiskalt berechnend den Wert der Geschenke auf die Strompreise geschlagen haben - Stichwort: Windfall-Profits -, sollen in der 4. Handelsperiode (2021 - 2030) erstmals nennenswerte Klimaschutzeffekte entstehen. So beschlossen und festgelegt im April 2018 mit der EU-Richtlinie "EU ETS Di(Directive (EU) 2018/410)".

Inzwischen gibt es weltweit 57 Emissionshandelssysteme, die unterschiedlich ausgestaltet sind. Viele weisen Gemeinsamkeiten mit dem ETS auf. Dabei gibt der Staat oder in diesem Fall die EU-Kommission eine bestimmte Menge an Emissionszertifikaten aus. Die bemißt sich an der Zielvorgabe, die erreicht werden soll, also der maximalen Menge an CO₂, das noch in die Atmosphäre emittiert werden darf. So wurde in dem am 4. November 2016 in Kraft getretenen Übereinkommen von Paris beschlossen, die Erderwärmung um deutlich unter 2 Grad C, möglichst 1,5 Grad C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Davon wurde schon 1,0 Grad C in Anspruch genommen. Bei gleichbleibender Erwärmung würde die 1,5-Grad-Schwelle spätestens im Jahr 2035 erreicht. Um nicht über diesen Grenzwert hinauszuschießen, wollen die Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens ihre nationalen Treibhausgasemissionen, insbesondere Kohlenstoffdioxid (aus der Verbrennung fossiler Energieträger), Methan und Lachgas, reduzieren.

Dazu stehen ihnen unterschiedliche Mittel und Wege zur Verfügung. Jene oben erwähnte, das kapitalistische Wachstumsinteresse in Frage stellende Möglichkeit einmal beiseite gelassen, könnten der Marktlogik folgend CO₂-intensive Produkte besteuert werden. Man würde dann für jedes Produkt einen CO₂-Wert festlegen und ihn mit einem Preis versehen. So haben sich vor kurzem Bund und Länder darauf geeinigt, pro Tonne CO₂-Emission (genauer gesagt, CO₂-Emissionsäquivalent, weil es auch andere Treibhausgase gibt) eine Steuer in Höhe von 25 Euro zu erheben und bis zum Jahr 2025 die Steuer sukzessive auf 55 Euro anzuheben.

Eine weitere Möglichkeit bildet der sogenannte Emissionshandel, in den immer mehr Branchen und gesellschaftliche Bereiche (Verkehr, Wohnen, etc.) involviert werden könnten und der stärker gedeckelt werden könnte als bisher. Denn wenn die Zahl der ausgegebenen oder wahlweise versteigerten Emissionszertifikate begrenzt wird (cap), steigt der Preis der handelbaren Zertifikate (trade). Um so höher wird der Anreiz für Unternehmen, Energie einzusparen oder die Produktion auf andere als fossile Energieträger umzustellen.

Eine weitere bewährte Möglichkeit, die zwischen 2005 und 2015 das 142fache (!) an Reduktion von CO₂-Emissionen gegenüber dem ETS gebracht hat, nämlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz, wird von der Bundesregierung zur Zeit auf nahezu Null ausgebremst. Eine "Erfolgsgeschichte" der Anti-Klimaschutzpolitik sondergleichen. Dabei könnte mittels des Instruments der Einspeisevergütungen der Wechsel von Atom- und Kohlestrom auf erneuerbare Energieträger so forciert werden, daß nicht nur die elektrische Energiegewinnung, sondern auch Verkehr und Wohnen "klimafreundlicher" werden. Das wird aber nicht gemacht, obschon laut dem Pariser Übereinkommen Deutschland zwischen 2018 und 2050 nur noch rund sieben Milliarden Tonnen CO₂ emittieren dürfte. Allein im Jahr 2018 betrugen die CO₂-Äquivalent-Emissionen der Bundesrepublik laut Umweltbundesamt 866 Millionen Tonnen. Diesen Wert hochgerechnet dürfte Deutschland ab 2026 null Emissionen produzieren!

Das Europäische Emissionshandelssystem, das rund 50 Prozent der in der EU emittierten Treibhausgasemissionen von über 11.000 Kraftwerken, Raffinerien, Stahlwerken und aus anderen Industriebranchen sowie die innereuropäische Luftfahrt erfaßt, ist unter anderem am starken Einfluß der Industrie gescheitert. Eine Einigung auf globaler Ebene zu erzielen, ist nahezu ausgeschlossen und würde absehbar im günstigsten Fall nach vielen Jahren ein extrem schwaches, kaum verbindliches (das heißt nicht einklagbares), keinen der einflußreichen Staaten benachteiligendes System hervorbringen. Mögen sich die "Sherpas", die im Vorwege der Klimagipfel die Verhandlungen führen, noch so abrackern, um einen gemeinsamen Vertrag auszuarbeiten, es dürfte kaum gelingen.

Ein wichtiger Grund, weswegen die französische Regierung auf dem Weltklimagipfel 2015 in Paris vermeintlich erfolgreich agieren konnte: Sie hatte von vornherein gar nicht erst versucht, eine gemeinsame, globale Lösung zu erarbeiten. Statt dessen durfte jeder Staat seine nationalen Klimaschutzziele formulieren und einreichen. Diese Selbstverpflichtungen (National Determined Contributions - NDC) bilden nun einen kunterbunten Haufen an Beschlüssen mit höchst unterschiedlichen Bezugsrahmen.

Schießen die NDC schon sehr weit über das Wohlfühlversprechen des Pariser Übereinkommens zur Begrenzung der globalen Erwärmung hinaus, werden sie nochmals von den ungebändigten realen Emissionen übertroffen. Der CO₂-Gehalt der Atmosphäre steigt unaufhaltsam an. Die Erde steuert auf eine 4- bis 5-Grad-Welt zu. Dadurch wird eine Reihe von sich selbstverstärkenden, nicht zu kontrollierenden Prozessen in Gang gesetzt, die die Erwärmung weiter beschleunigen. Die Wissenschaft erwartet dann eine "Heißzeit" und auch, daß womöglich nur eine halbe Milliarde Menschen überleben wird.

Als der Preis eines CO₂-Zertifikats des ETS in den Keller gerutscht war und zeitweise weniger als fünf Euro pro Tonne CO₂-Äquivalent betrug, haben sich die Unternehmen mit Zertifikaten eingedeckt. So erwachsen dem RWE-Konzern, einem der europaweit größten CO₂-Emittenten, keine Belastungen aus dem ETS bis mindestens 2021, weil er genügend Verschmutzungsrechte auf die Seite gelegt hat. RWE ist nicht das einzige Unternehmen mit dieser Praxis, die in der Finanzwelt "Hedging" genannt wird. Die Risiken werden gewissermaßen "eingehegt". Die Europäische Union wiederum hat den für den Klimaschutz folgenschweren Beschluß gefaßt, daß die angesammelten Verschmutzungsrechte am Ende einer Handelsperiode nicht verfallen, sondern in der folgenden Handelsperiode eingelöst werden dürfen. Nur deshalb konnten sich RWE & Co. mit billigen CO₂-Zertifikaten für "Zeiten der Not" bevorraten.

Vom ETS ging jahrelang so gut wie kein Klimaschutzeffekt aus und auch jetzt, da der Preis eines CO₂-Zertifikats auf 24 bis 25 Euro gestiegen ist, stehen die Unternehmen, insbesondere wenn sie Hedging betrieben haben, kaum unter Druck, CO₂ einzusparen. Das schließt überhaupt nicht aus, daß sie aus anderen Gründen, beispielsweise betriebswirtschaftlichen, darauf achten, Energie zu sparen und damit ihre CO₂-Emissionen zu verringern. Aber das ETS hat daran so gut wie keinen Anteil.

Hedging sorgt für eine gewisse Stabilisierung des Marktes, was einer der Gründe dafür ist, daß diese Methode, Klimaschutzmaßnahmen zu umgehen, seitens der EU-Kommission nicht unterbunden wird. Beispielsweise hat das Hedging verhindert, daß der CO₂-Preis in der zweiten ETS-Handelsperiode (2008 bis 2012) auf Null abgerutscht ist. Die Nachfrage war nur deshalb höher, weil die beteiligten Unternehmen Zertifikate auf die Seite gelegt haben. Aber dieser ökonomische Vorteil geht natürlich vollkommen am vorgeblichen Ziel des ETS vorbei. Klimaschutz wird mittels Hedging umgangen, und Finanzinstitute wie die Commerzbank werben geradezu damit, daß sie erfahren darin sind, Kunden in Sachen ETS zu beraten. Anders gesagt, sie geben den Unternehmen Tips, wie sie den Druck aus dem ETS, ihre CO₂-Emissionen zu reduzieren, ins Leere laufen lassen können.

Auch läßt sich mit CO₂-Zertifikaten genauso spekulieren wie mit anderen Finanzmitteln, beispielsweise Aktien. Bei niedrigen Preisen werden sie mit der Erwartung gekauft, daß sie bei steigenden Preisen gewinnbringend verkauft werden können. Wenn Finanzakteure, die gar nicht dem ETS unterworfen sind, dennoch CO₂-Zertifikate kaufen und horten (banking), ist das zunächst einmal kein Klimaschutz. Andererseits verknappt sich dadurch die Ware. Deren Preis steigt, und alle am Kohlenstoffzertifikat-Handelssystem beteiligten Unternehmen sind bestrebt, Kosten zu sparen, indem sie weniger CO₂ emittieren.

Bei der 4. Handelsperiode des ETS wird sogar von offizieller Seite eine Art Hedging betrieben, indem eine "Marktstabilitätsreserve" eingeführt wurde. Sehr vereinfacht gesagt, hat sie eine ähnliche Funktion für den Kohlenstoffmarkt wie eine Zentralbank für die Geldpolitik. Rutscht der Wert von CO₂-Zertifikaten zu sehr ab, werden dem Markt CO₂-Zertifikate entzogen; steigt deren Preis zu stark, werden sie wieder auf den Markt gebracht. Außerdem sollen im Laufe der Jahre immer mehr CO₂-Zertifikate vernichtet werden, damit der CO₂-Preis insgesamt steigt. Offen ist allerdings noch die Frage, was mit den CO₂-Zertifikaten beispielsweise eines Kohlekraftwerks geschieht, wenn es abgeschaltet wird. Hier fordert die Klimaschutzbewegung, daß diese CO₂-Zertifikate verfallen, andernfalls der Markt mit ihnen überschwemmt und der CO₂-Preis abrutschen würde.

Wie in der Finanzwelt sind die Konstrukte des Kohlenstoffmarkts noch komplizierter, als sie hier beschrieben wurden. Aber das Beispiel ETS vermittelt einen Eindruck, wie ungeheuer schwierig es werden dürfte, einen globalen Zertifikatehandel aufzubauen. Innerhalb eines Nationalstaats oder Staatenbundes wie die EU weichen die beteiligten Interessen bereits deutlich voneinander ab, in einem erdumspannenden System wären die Gegensätze noch ausgeprägter. In dem als "historisch" und "menschheitsgeschichtlich" bedeutenden Klimaschutzübereinkommen von Paris des Jahres 2015 war jedenfalls keine Einigung hinsichtlich eines solches Systems erzielt worden, und auch die späteren COP - Conferences of the Parties - vermochten das Versäumnis nicht wettzumachen. Nun soll es die britische Regierung richten, die in einem Jahr die COP 26 in Glasgow abhalten wird.

Es bestehen erhebliche Zweifel, ob das Anliegen, in Zeiten der Abkehr vom Multilateralismus ein System des globalen Emissionshandels aufzubauen, überhaupt gelingt. Wenn dieser auch noch im Mittelpunkt der Bemühungen um einen raschen, wirkungsvollen Schutz vor der globalen Erwärmung steht, dann dürfte es das gewesen sei mit dem Versuch, das Eintreten der von der Klimaforschung erstellten Worst-case-Szenarien zu vermeiden.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Verhandlungen für einen globalen Emissionshandel Jahre in Anspruch nehmen. Womöglich nur, um am Ende schwache, viele divergierende Interessen berücksichtigende Bestimmungen eines solchen globalen Emissionshandelssystems zu verabschieden. So viel Zeit bleibt der Menschheit jedoch nicht, um die anthropogenen Treibhausgasemissionen zu verringern. Mit jedem Jahr, das allein nur für die Verhandlungen untätig verstreicht, verkürzt sich die Frist, in der noch verhindert werden kann, daß die globale Erwärmung in eine sich selbst verstärkende Dynamik verfällt und ganze Klimazonen unbewohnbar werden. Die gegenwärtige Feuersbrunst und Hitzeperiode in Australien sind schon die Vorboten des Klimatrends. Das Konfliktpotential dieser die Überlebensvoraussetzungen großer Teile des menschlichen und nicht-menschlichen Lebens vernichtenden globalklimatischen Entwicklung ist gewaltig.

23. Dezember 2019


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