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FOKUS/006: Verlierer des Naturschutzes (SB)


Naturschutzlogik

Weltweit werden Indigene verdrängt und vertrieben, weil andere angeblich etwas Gutes tun wollen



Bis auf den heutigen Tag gilt "Naturschutz" als ein rundum positiv besetzter Begriff. Naturschutzgebiete sind Orte, an denen die wirtschaftlichen Aktivitäten eingeschränkt werden und ein Städter endlich mal so richtig tief Luft holen kann. Dort findet man oftmals seltene Tier- und Pflanzenarten und trifft häufig auf eine einzigartige Naturlandschaft.

Naturschutz entspringt der Sichtweise und den Bedürfnissen einer Gesellschaft wie der unsrigen, die sich auf einen relativ hohen Ressourcenverbrauch gründet, für dessen Befriedigung gravierende Eingriffe in die Natur in Kauf genommen werden, und deren Mitglieder so sehr als Produktivkräfte angefordert sind, daß sie zur Regeneration ihrer Arbeitskraft geradezu nach Erholung lechzen und dazu gerne auch Naturschutzgebiete aufsuchen.

Das weltweit erste Naturschutzgebiet wurde auf Initiative von US-Präsident Theodore Roosevelt 1872 in Form des Yellowstone National Parks eingerichtet, was vielleicht für die weißen Siedler eine großartige Idee war, nicht jedoch für die Native Americans, die dort seit Ewigkeiten siedelten. Fünf Jahre lang ließ der weiße Mann sie noch in ihren angestammten Gebieten leben, dann wurden sie wieder einmal vertrieben. Für die Shoshonen, Blackfoot und Crow, deren Lebensraum von einem Tag auf den anderen Yellowstone National Park hieß und für sie zur No-go-area wurde, stellte Naturschutz bloß eine weitere Variante der Repression dar, für die die Bleichgesichter immer wieder neue Begründungen erfanden. Viele Native Americans, die sich gegen die Vertreibung zur Wehr setzten, wurden getötet (und wer sich nicht zur Wehr setzte, erlitt oft das gleiche Los.)

Daß auch heute noch unter dem Label "Naturschutz" ganz gezielt solche, abstrakt formuliert, Verlagerungen der Verfügungsgewalt stattfinden, davon zeugt der im November 2014 erschienene Bericht "Parks Need Peoples" [1] von Survival International. Die Nichtregierungsorganisation nennt als Gründe bzw. Vorwände für Vertreibung abgesehen von Naturschutz Faktoren wie Paternalismus und Rassismus, Tourismus und Bevölkerungskontrolle und spricht in diesem Zusammenhang von der "dunklen Seite des Naturschutzes".

Eine wohlmeinende Formulierung, wird damit doch unterstellt, daß dieser umgekehrt eine helle, positive, förderungswürdige Seite hat, ungeachtet dessen, daß der Wunsch nach einem Schutz der Natur von jeher erst in Folge einer oftmals desaströsen Umwelteinwirkung durch die Menschen überhaupt zum Thema wird. Inzwischen sind weltweit mehr als 15 Prozent der Landfläche und Binnengewässer irgendeiner Form des Naturschutzes unterstellt, wie Christian Science Monitor kürzlich meldete; die Vereinten Nationen streben eine Steigerung auf 17 Prozent bis zum Jahr 2020 an. [2]

Zugleich nimmt jedoch die Versiegelung der Landschaft durch Bauten und Verkehrsflächen, der Verlust an Wald und allgemein an Biodiversität zu. Die vermehrte Ausweisung von Naturschutzgebieten, die man als Antwort auf eben diese Entwicklung ansehen könnte, erscheint nur deshalb unterstützenswert, weil unterstellt wird, daß ansonsten eine noch desaströsere Entwicklung einträte.

Einen positiven Effekt wollen die Autorinnen und Autoren des Berichts "Parks Need Peoples" der Naturschutzidee abgewinnen, den Indigenen die Verantwortung für Naturschutz zu übertragen, so daß sie nicht vertrieben werden. Demnach setzt sich Survival International dafür ein, daß die traditionellen Eigentumsrechte der indigenen Stämme auf das Land, in dem sie leben, anerkannt und ihr Wissen und ihre Praxis zum "Landmanagement" respektiert werden. Es sei kein Zufall, daß 80 Prozent der weltweiten Arten auf dem Land von Stammesmitgliedern lebten und die große Mehrheit von 200 artenreichsten Plätze auf Erde ebenfalls zu Stammesgebieten gehörten, heißt es. Hierfür macht die Menschenrechtsorganisation die nachhaltige Lebensweise der Ureinwohner verantwortlich. Nahezu alle Nationalparks und Wildreservate, die unter Schutz stünden, seien ursprünglich oder heute noch traditionelle Stammesgebiete. Eine "Wildnis" gebe es nicht, auch wenn manchmal anderes behauptet werde, schreibt die Organisation.

Das kann man noch grundsätzlicher sagen: Immer wenn eine expansive Gesellschaft sich weitere Gebiete einverleiben will, leistet sie ihrem Anliegen durch die Wahl von Begriffen wie "Wildnis" oder "unberührtes Land" Vorschub. Zu Kolonialzeiten wurden die Menschen, die in diesen Gebieten lebten, zu "Wilden" erklärt und sprichwörtlich zum Abschuß freigegeben, wahlweise auch zur Versklavung. Einige verschleppte man, um sie in Hagenbecks Tierpark zwischen Elefanten, Affen und anderen Tieren auszustellen.

Die Kritik von Survival International richtet sich nicht allein gegen die Regierungen, örtlichen Verwaltungen und Unternehmen, die es zulassen, daß Menschen für den Erhalt von Tieren und Pflanzen vertrieben werden, sondern auch gegen Naturschützer und entsprechende Organisationen, die ihren Namen für Projekte hergeben, durch die Menschen vertrieben werden. 1995 habe die indische Sektion des WWF an die Regierung Indiens appelliert, ein Gesetz zu erlassen, demzufolge fortan alle menschlichen Aktivitäten in Nationalparks untersagt sein sollen. Das Oberste Gericht folgte diesem Aufruf und entschied, daß binnen eines Jahres alle Menschen die Naturparks verlassen haben müssen. Das war natürlich nicht durchsetzbar - in dem Netzwerk an Parks leben rund vier Millionen Einwohner, viele schon seit Generationen -, führte jedoch zu einer permanenten Bedrohung ihrer Lebensform.

Das Leben eines Wald- oder Savannenbewohners schließt in der Regel größere Gebiete ein. Die Menschen müssen ihr Vieh weiden und Wasserstellen aufsuchen, sie sammeln Holz, Früchte, Pilze und andere Dinge im Wald oder stellen dort Holzkohle her. Was in den letzten rund zehn Jahren zum "Land Grabbing" thematisiert wurde, gilt hier genauso: Es gibt kein ungenutztes Land. Mag die Nutzungsintensität in manchen Gebieten auch gering erscheinen, so sagt dieser Eindruck nur etwas über die Sichtweise von Leuten aus den Wohlstandsregionen aus, die ihrerseits rechnerisch mehrere Erden benötigen, um ihren konsumgetriebenen Lebensstil praktizieren zu können, und entsprechende Ge- und Verbrauchsspuren in der Landschaft hinterlassen. Für Stammesmitglieder dagegen ist mitunter selbst eine "Nebensache" wie das Sammeln von Feuerholz existentiell wichtig, so daß ihre Vertreibung aus einem Waldgebiet aus Naturschutzgründen schwerste Folgen für die gesamte Lebensform zeitigen kann.

In einigen Fällen, wie beispielsweise bei den Baka in Südostkamerun, sind auch Naturschutzorganisationen wie der WWF zumindest indirekt an Vertreibungen beteiligt, als daß die Organisation sich bei der Regierung für den Naturschutz eingesetzt, anscheinend aber nicht ihre Möglichkeiten in einem wünschenswerten Maße genutzt hat - so zumindest die Einschätzung von Survival International -, um Vertreibungen zu verhindern.

Das von dieser Organisation vorgebrachte an sich plausible Argument, daß Indigene, die aus Gründen des Waldschutzes vertrieben werden, sich mitunter jahrhundertelang um den Wald gekümmert haben und somit die besten Naturschützer sind, könnte sich an der Stelle als schwach erweisen, an der die Indigenen den Wald zerstören, beispielsweise durch Brandrodung, übermäßige Wasserentnahme oder Beweidung. Daß solchen Eingriffen womöglich bereits eine Vertreibung, Verdrängung und Beschneidung des angestammten Lebensraums und damit eine von außen induzierte Notlage vorausgeht, könnte dann von den beteiligten Regierungen ignoriert werden.

Auch aus diesem Grund wäre die Eigentumsfrage grundsätzlicher zu stellen: Mit welchem anderen Recht als dem des Stärkeren wird Indigenen das geschriebene oder ungeschriebene Besitzrecht über ein Waldgebiet abgesprochen?

Heute noch geht es um die Auseinandersetzung zwischen der vorherrschenden Zivilisation gegen die vermeintlich Wilden und Primitiven, die eine bestimmte Produktivkraftentwicklung nicht mitvollzogen haben. Das vermeintliche Recht des Entwickelteren erweist sich schlicht und ergreifend als nackter Raub - unter welchem Vorwand auch immer. Wenn es um die Verhinderung von Naturzerstörung geht, dann ließe sich ohne weiteres das Verhältnis umkehren und sagen, daß die Indigenen eigentlich alles Recht der Welt hätten, alle anderen aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben.

Mit dem Verhandlungsprozeß des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change), in dem gegenwärtig ein international geltendes Klimaschutzabkommen für die Zeit nach 2020 ausgearbeitet werden soll, werden einige Ideen und Konzepte der Waldbewahrung aus Klimaschutzgründen diskutiert. Das ist höchst problematisch, weil hierdurch, parallel zur Naturschutzidee, weitere rechtliche Mechanismen der Waldbewahrung etabliert werden könnten, in deren Folge die Bewohner vertrieben werden - und wieder einmal würde das mit dem Vorwand "für ein höherwertiges Ziel" gerechtfertigt.

Durch die Verschiebung der Verfügungsgewalt über Waldgebiete der Indigenen auf die der Klimaschutzökonomie könnte es zu einer weiteren Verdrängung und Fragmentierung der letzten Reste relativ autonomer, indigener Lebensformen kommen. Die "Verwendung" der Indigenen als Naturschützer, wie es Survival International anstrebt, könnte sie vielleicht vor dieser Entwicklung schützen, die Idee birgt jedoch die Gefahr, daß dies mit einer Musealisierung ihrer ursprünglichen Lebensform einhergeht, was in der Konsequenz ebenfalls auf deren Auflösung hinausliefe.


Fußnoten:

[1] http://assets.survivalinternational.org/documents/1324/parksneedpeoples-report.pdf

[2] http://www.csmonitor.com/World/Progress-Watch/2014/1222/More-than-half-a-million-square-miles-of-land-have-come-under-protection-since-2012

24. Dezember 2014