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RESSOURCEN/083: GEO-4 - Mangelprognose des UN-Umweltprogramms (SB)


570 Seiten umfassender Appell an die "Entscheidungsträger" ...

doch die sind womöglich nicht Teil der Lösung, sondern des Problems


Es hat schon viele, weithin beachtete Analysen zur Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde gegeben. Der gestern in Berlin vorgestellte Globale Umweltzustandsbericht (GEO-4) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) kann in eine Reihe mit dem vor mehr als einem Vierteljahrhundert veröffentlichten Bericht "Global 2000" für die US-Regierung, mit der Studie der Brundtland-Kommission "Our Common Future" (1987), mit Bestsellern wie "Die Grenzen des Wachstums" oder auch Schriften und Studien Lester R. Browns und des von ihm geleiteten Earth Policy Institute gestellt werden, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Im Jahr 2025, so warnen die UNEP-Studienautoren, würden mehr als 1,8 Milliarden Menschen in Regionen mit großer Wasserknappheit leben, im Jahr 2050 könnten es bereits 5,1 Milliarden Menschen sein. 60 Prozent aller Ökosysteme der Welt seien geschädigt, heißt es in dem 570 Seiten umfassenden Bericht, für den 390 Wissenschaftler vier Jahre lang Meßergebnisse, Analysen und Studien aus den letzten zwei Jahrzehnten ausgewertet haben.

Die Forscher vergleichen den gegenwärtigen Artenschwund mit den insgesamt fünf Massensterben von vor 450 Mio. bis zuletzt vor 65 Mio. Jahren und erklären, daß ein sechster Artenschwund, diesmal aufgrund menschlichen Verhaltens, stattfände. Das Klima verändere sich so rasant wie in den letzten 500.000 Jahren nicht, hieß es weiter, die bodennahe globale Durchschnittstemperatur könnte zwischen 1,8 und 4,0 Grad bis Ende des Jahrhunderts steigen. Es sei keine ausreichende Menge an Ressourcen, die für eine nachhaltige Entwicklung benötigt würde, verfügbar.

Fast schon apokalyptisch mutet es an, wenn die Autoren schreiben, daß der Anlaß nicht dringlicher und die Zeit nicht passender sein könne, den bevorstehenden Herausforderungen zu begegnen, um das eigene Überleben und das zukünftiger Generationen zu sichern. Manche Entwicklungen seien nicht mehr umkehrbar. Der einzige Weg, um den enormen Problemen Herr zu werden, bestehe darin, die Umweltfragen vom Rand in den Mittelpunkt der politischen Entscheidung zu rücken.

Das ist die Kernforderung des Berichts. GEO-4 wendet sich an Entscheidungsträger, fordert aber auch, daß jeder einzelne etwas tun müsse. UNEP-Direktor Achim Steiner brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, daß es der letzte Report dieser Art sei.

Sicherlich kann man all die oben erwähnten Studien, Reports, Expertisen und Forschungsergebnisse nicht über einen Kamm scheren, denn dazu ist allein das Oberthema - nennen wir es Tragfähigkeit der Erde - zu komplex, und die methodischen Ansätze und Zielsetzungen der Einzelarbeiten weichen viel zu sehr voneinander ab. Dennoch sollte es zu denken geben, daß bereits vor zwei Jahrzehnten im gleichen Tenor an die Entscheidungsträger appelliert wurde, Maßnahmen zu ergreifen, um exakt jene Entwicklung, wie sie tatsächlich eingetreten ist, zu verhindern.

Aus diesem Umstand wurde bislang keine Lehre gezogen, und auch die UNEP wendet sich erneut an die gleichen Adressaten, die bereits vor zwanzig Jahren angesprochen wurden und es bis heute nicht geschafft haben (sofern man ihnen ein Bemühen unterstellt, was nicht selbstverständlich ist), die an sie gerichteten Forderungen zu erfüllen.

Wäre daraus nicht der Schluß zu ziehen, daß die Entscheidungsträger nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind? Und müßte man nicht weiterhin folgern, daß ein bloßer Austausch der entscheidungsbefugten Personen durch womöglich grün bemantelte Systemträger, keine Abkehr von dem seit Jahrzehnten favorisierten Kurs bedeuten würde?

Solange das System an sich nicht in Frage gestellt wird, kann es nahezu egal sein, von welchen Trägern es gestützt wird, das Ergebnis sähe immer ähnlich aus. Nicht dem Egalismus soll hier das Wort geredet werden, sondern der grundlegenden Hinterfragung der systemisch begünstigten und begründeten Voraussetzungen, die zu exakt jenen Konsequenzen geführt haben und führen werden, vor denen die UNEP jetzt so eindringlich warnt. Davor haben auch auch schon Dennis Meadows, die Brundtland-Kommission oder die Autoren des Berichts "Global 2000" gewarnt. Die UNEP sagt nichts Neues.

Abgesehen davon, daß ein Bewußtseinswandel bei den herrschenden Politikern und eine Neuausrichtung ihrer Entscheidungen womöglich jene Zeit beanspruchte, die von den UNEP-Autoren dafür veranschlagt wird, bis daß sich die Verhältnisse auf der Erde extrem stark verschlechtert haben, bleibt zu konstatieren, daß die Entscheidungsträger von heute bereits zu verantworten haben, daß es zwei Milliarden arme und nach UN-Angaben 854 Millionen Hungernde auf der Erde gibt und daß sich die Schere zwischen arm und reich, Besitzenden und Besitzlosen, Profiteuren und Opfern dieser Ordnung immer weiter aufgetan hat.

Die sogenannten Millenniumsziele zur Halbierung der Armut in der Welt werden nach dem bisherigen Stand der Entwicklung nicht nur nicht erreicht, sondern es werden bis zum Stichtag 2015 sogar noch mehr Menschen arm sein und Hunger leiden als heute. Im übrigen sind die Millenniumsziele bereits als Ausdruck des Scheiterns anzusehen, denn in früheren Jahrzehnten wurde von der Weltgemeinschaft noch das Ziel ins Auge gefaßt, Hunger und Armut vollständig beseitigen zu wollen, und zwar bis zum Jahr 2000. Wer dagegen die Zahl der Hungernden halbieren will, hat in letzter Konsequenz bereits die andere Hälfte dem Mangel und potentiell dem Hungertod überantwortet.

Solange Entscheidungsträger nach dem Kalkül handeln, daß einem Teil der Menschheit nicht mehr zu helfen sei, sollte von ihnen nichts anderes erwartet werden als das, was in den letzten Jahrzehnten schon nicht funktioniert hat. Eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen, wie es die UNEP fordert, würde vor diesem Hintergrund nicht allen Menschen, sondern nur einem Teil zugute kommen, und das dürfte der mit Abstand kleinere sein.

26. Oktober 2007