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RESSOURCEN/129: Risikotechnologie Schiefergas-Förderung (SB)


Von flammenwerfenden Wasserhähnen, explodierenden Häusern und anderen Folgen der Förderung unkonventionellen Erdgases


Um die energiefressende Produktionsweise aufrechtzuerhalten, fliegt der Mensch zum Mond, um dort nach Helium-3-Vorkommen zu suchen, und taucht tief hinab zum Meeresboden, da dort Gashydrate lagern. Er bohrt vor den Küsten den Meeresboden an, um Erdöl zu fördern, sprengt in den Appalachen ganze Bergkuppen weg, weil sich darunter Kohleflöze verbergen, und preßt Chemikalien, Sand und Wasser in mehrere tausend Meter tiefes Schiefergestein, um es aufzubrechen und das darin enthaltene Gas heraufzupumpen. Wie kein anderes Lebewesen hat sich der Mensch in eine an Destruktivität kaum zu überbietende Abhängigkeit von der Energieversorgung gebracht. Es läßt sich nicht mit Gewißheit sagen, ob er das Feuer gezähmt hat oder das Feuer ihn. Ebenso wenig steht fest, ob der mit der Vergesellschaftung einhergehende technologisch-wissenschaftliche Fortschritt dazu diente, die Menschen von den Bedingungen der Überlebensnot zu befreien, oder ob damit ein subtiles Verwertungssystem menschlicher Arbeitskraft zum Zwecke der fortgesetzten Ausbeutung etabliert werden sollte.

Der Wachstumszwang der vorherrschenden Wirtschaftsweise hat diese Entwicklung in den letzten beiden Jahrhunderten der Industrialisierung vorangetrieben. Aus der kleinen Feuerstelle in der Savanne oder Höhle zu Beginn der menschlichen Zivilisationsgeschichte erwuchsen rasch Hochöfen und Kernkraftwerke. Die aus dem Mangel an Energieträgern geborene Not ist so groß, daß der Mensch inzwischen globale Risiken für sich, die Umwelt und zukünftige Generationen einzugehen bereit ist, nur um den Nebeneffekt (Wärme, Antrieb) beim Verbrennen sogenannter Energieträger nutzen zu können.

Ein vergleichsweise jüngerer Trend zielt darauf, vermehrt sogenanntes unkonventionelles Erdgas wie zum Beispiel Schiefergas (shale gas) zu fördern. In den USA erhielt diese Nischentechnologie im Jahr 2005 einen kräftigen Schub. Seitdem wird an vielen tausend Stellen landauf, landab mittels einer speziellen Technik zunächst senkrecht, dann weiter horizontal in den Untergrund gebohrt, um teils mehrere tausend Meter tiefes Schiefergestein anzustechen. Dann wird unter extrem hohem Druck ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien ins Gestein gepreßt, damit es sich weitet, so daß das eingelagerte Gas zusammenströmen und abgepumpt werden kann.

Im Unterschied zur Förderung von konventionellem Erdgas, das in Hohlräumen unter der Erde liegt, müssen bei Schiefergestein zahlreiche Bohrungen (5 bis 6 Sonden pro Quadratkilometer) ausgebracht werden, da der Druck mit der Entfernung von der Bohrstelle abnimmt und das Gas normalerweise ortsfest ist. Das Verfahren ist sehr aufwendig. Es wird zwar schon seit Anfang des vorigen Jahrhunderts betrieben, aber es lohnt sich erst jetzt im größeren Ausmaß, weil Energie teurer wird und viele große Erdgasfelder weltweit das Maximum ihrer technischen Ausbeutbarkeit überschritten haben. Zudem wurden die technologischen Möglichkeiten der Gasförderung und des -transports in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt.

Die Nutzung von unkonventionellem Erdgas hat dazu beigetragen, daß die USA Rußland vom Spitzenplatz als weltweit größter Gasproduzent abgelöst haben. Auch die Bundesrepublik Deutschland und andere europäische Länder werden von den Energiekonzernen ins Visier genommen. Die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit entsprechende Erkundungslizenzen vergeben. Die von der Schiefergasförderung direkt oder zumindest allgemein berufsständisch profitierenden Geowissenschaftler versuchen die besorgten Anwohner der Bohrstellen zu beruhigen, indem sie behaupten, daß mit einer Kontamination des Grundwassers nicht zu rechnen sei und bislang nur Probebohrungen durchgeführt würden, es mithin noch gar nicht sicher sei, daß überhaupt Schiefergas gefördert werden solle. [1]

Nach dieser Argumentationslogik sollen die Anwohner solange tatenlos zusehen, wie kanzerogene (krebsauslösende) und biozide Chemikalien ins Erdreich gepreßt werden, bis feststeht, daß das Unternehmen Schiefergas fördern will. Denn genau dazu würde es kommen. Daß zum Zeitpunkt des Erkundungsabschlusses bereits hohe Investitionskosten angefallen sind und beim Unternehmen und der womöglich gar regresspflichtigen Landesregierung der Widerstand gegen die Aufgabe ihres Vorhabens quasi unüberwindlich angewachsen sein wird, wird von den Protagonisten der Gasförderung gern verschwiegen. "Nicht zufällig nimmt die Erschließung der Shale-Vorkommen in den USA erst seit der Lockerung der Umweltgesetze für Öl- und Gasfirmen im Jahr 2005 deutlich zu", schrieb Dr. Werner Zittel von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH in der Kurzstudie "Unkonventionelles Erdgas" für ASPO Deutschland und Energy Watch Group. [2] Dieses Urteil sollte der hiesigen Öffentlichkeit zu denken geben.

Das "fracking", Fracing oder Fraktionierung genannte Aufbrechen des Schiefergesteins wäre nur von kurzer Dauer und damit nutzlos, wenn das eingepreßte Gemisch aus Wasser (ca. 80 %) und Sand als Stützmittel zwischen den Klüften (bis zu 20 %) nicht zu 0,5 - 1 % Chemikalien und Biozide zum Abtöten von Keimen, die sich ansonsten im Laufe der Wochen und Monate vermehren und die Klüfte abdichten könnten, enthielte. Auch wurde bekannt, daß das Gemisch Diesel enthalten kann, was in der Umwelt nichts zu suchen hat.

Bevor mit der eigentlichen Gasförderung begonnen werden kann, muß das Gemisch aus dem aufgebrochenen Schiefer wieder entfernt werden. Je nach den örtlichen Bedingungen kann es vorkommen, daß 9 - 35 % des Gemischs im Gestein bleiben. Das hinaufgepumpte Abwasser kann aber auch das Mehrfache des eingebrachten Wassers betragen und radioaktive Nuklide enthalten. Sie werden aus dem Gestein herausgewaschen, was aus der konventionellen Erdöl- und Erdgasförderung hinlänglich bekannt ist. Die Radionukleotide werden N.O.R.M.-Partikel (normally occurring radioactive substances) genannt. Es handelt sich "nur" um Spuren, die allerdings in der Summe durchaus umweltrelevant sind. So berichtete Dr. Zittel, daß bei der Shale-Gas-Förderung im US-County Denton, unter dem das Schiefervorkommen Barnett Shale liegt, zwischen 2005 und 2007 dreizehn Kubikmeter radioaktiver Sondermüll mit Radium 227 und Radium 228 entsorgt werden mußten.

Zudem ist der Wasserverbrauch hoch. Beim Einpressen werden pro Bohrloch beispielsweise des Marcellus-Gasfelds im US-Bundesstaat New York 10 - 24 Mio. Liter Wasser benötigt, das sind 250 bis 600 Lastwagenladungen. Hinzu kommen noch die Transporte für den Sand und den anschließenden Abtransport ... sofern in der Nähe keine Teiche angelegt werden, was für die Umwelt allerdings nicht sonderlich nett ist. Das Schwerlastverkehrsaufkommen der Schiefergasförderung ist also gewaltig. Da pro Quadratkilometer durchaus fünf bis sechs Bohrungen ausgebracht werden und Schiefergasfelder womöglich mehrere tausend Mal angestochen werden, lassen sich die enormen Umweltauswirkungen und Lärmbelästigungen dieser Form der Gasgewinnung ahnen.

Um die rückläufige heimische Erdgasförderung durch das Forcieren der Schiefergasförderung zu kompensieren, hat die US-Regierung unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush im Clean Energy Act vom Juli 2005 festgelegt, daß die Förderung von Öl und Gas aus größerer Tiefe nicht mehr dem Trinkwasserschutzgesetz SWDA (Save Drink Water Act) vom 12. Dezember 1974 unterworfen sei, da es angeblich keine Berührung mit den oberhalb der gastragenden Schichten liegenden Trinkwasservorkommen gebe. Das trifft zwar nachweislich nicht zu, aber damit entfielen auf einen Schlag wichtige Umweltauflagen. Zuvor hatten die mit dem frac-Prozeß befaßten Unternehmen Halliburton, BJ Services und Schlumberger der US-Umweltbehörde zugesagt, daß ihre Injektionsflüssigkeiten in Zukunft kein Diesel mehr enthalten, schrieb Zittel und konstatiert:

"Diese Gesetzesänderung fällt zeitlich mit der raschen Ausweitung der Shale-Gasförderung zusammen, so dass ein direkter Zusammenhang vermutet werden kann. Sie bildet vermutlich den eigentlichen Grund für die neue Bewertung der unkonventionellen Gasvorkommen. Technische Neuerungen hatten - falls überhaupt - nur eine untergeordnete Bedeutung. [...] Bemerkenswert ist, dass im Vorfeld dieser Gesetzesänderung vor allem Dick Cheney - damals Vizepräsident der Bush Administration - sich für die entsprechenden Passagen einsetzte. Da ihn auch finanzielle Interessen mit der Firma Halliburton verbinden, wurde dies als 'Halliburton loophole' bezeichnet." [3]

Tatsächlich sei in der Zwischenzeit nachgewiesen worden, daß die Unternehmen weiterhin Diesel verwendeten. Generell hätten sich die Unternehmen "wenig kooperativ" gezeigt, Daten über die verwendeten Chemikalien zu liefern. Die Umweltbehörde New York veröffentlichte eine Studie, in der mehr als 200 verschiedene Chemikalien und Biozide aufgeführt werden. Dazu gehören laut Zittel BTEX-Chemikalien (Benzole, Toluol, Ethyle, Xoluol), Methanol, Propylalkohol, Aromate, Benzene, Naphtalene, Säuren und Chloride sowie jene nicht näher bezeichneten Biozide. "Etliche Substanzen", schreibt er, seien "der Umweltbehörde nicht bekannt". [4]

In einer wissenschaftlichen Studie des Tyndall-Zentrums der Universität von Manchester zur ersten Einschätzung der Förderung von Schiefergas mit Blick auf Klimawandel und Umweltfolgen in Großbritannien heißt es, daß "erhebliche potentielle Risiken für die Gesundheit und Umwelt" bestehen. Gefährliche Chemikalien könnten ins Grundwasser gelangen. Das müsse gründlich erforscht werden, noch bevor der Industrie grünes Licht gegeben werde, warnten die Autoren. Im übrigen deute nichts darauf hin, daß es sich hier um eine Übergangstechnologie zu einer kohlenstoffärmeren Zukunft handle, stellten sie fest. [5]

Auch Zittel gelangt zu dem Schluß:

"Umweltbeeinträchtigungen sind während der Vorbereitungsphase, der Bohrungs- und frac-Phase und während des Betriebs zu erwarten, wie sie technisch bereits beschrieben wurden. Sie reichen von Lärmbelästigungen und Flächenverbrauch über Schadstoffemissionen bis zur Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser. Die Vielzahl der bisherigen Bohrungen bestätigt, bieten viele Beispiele für Vorkommnisse. Es muss erwartet werden, dass die Probleme mit fortschreitender Erschließung zunehmen werden, da die Bohrungen zunehmend nahe bewohnter Gebiete durchgeführt werden." [6]

Letzteres ist insofern relevant, als daß durch die Schiefergasförderung bereits mehrmals Explosionen in privaten Wohngebäuden auftraten. Das Gas war ins Trinkwasser geraten und hatte sich entzündet. Recht anschaulich berichtet eine kritische US-Website [7] und der Dokumentarfilmer Josh Fox [8] von solchen und weiteren "Kollateralschäden".

Wenn aus einem Wasserhahn Gas austritt, das entflammbar ist, sollte man sich schon fragen, ob die Exploration von Schiefergas überhaupt so weit unterstützenswert sein sollte, daß die Unternehmen Vorerkundungen durchführen dürfen. Im US-Kongreß ist ein verbissener Streit zwischen Befürwortern und Kritikern der Fraktionierung ausgebrochen. Am 5. Januar forderten 32 Abgeordnete beider Parteien in einem Brief an Innenminister Ken Salazar, er möge keine übereilten Entscheidungen treffen, da weitere Regulationen die Kosten für die Verbraucher erhöhen, Jobs gefährden und die Entwicklung der USA zu größerer Energieunabhängigkeit behindern würde. [9]

Eine Woche darauf hielten 46 demokratische Abgeordnete dagegen und forderten ein größere Mitspracherecht der Gemeinden bei der Genehmigung von Fraktionierungsprozessen. Die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, welche Gifte im Untergrund in der Nähe ihrer Gemeinden verwendet werden und ihr Trinkwasser gefährden könnten, hieß es. Und das bringt uns nach Deutschland, wo sogenannte Erkundungsarbeiten begonnen werden sollen. Dagegen macht sich Widerstand breit. Es bilden sich Bürgerinitiativen, die über die Gasförderung informieren, dagegen mobilisieren und versuchen, über ihre Vertreter in den Landesparlamenten Einfluß auf die Politik zu nehmen. [10]

Die Sorge der Anwohner über die Bohrungen, in denen die Fraktionierung zum Einsatz kommen soll, ist nur allzu verständlich. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß herkömmliches Erdgas auch nicht ohne Umweltschäden gefördert wird, nur mit dem Unterschied, daß die unmittelbaren Folgeschäden in periphere Regionen ausgelagert werden, beispielsweise nach Sibirien, Algerien, demnächst Nigeria. Sollten die Bürgerinitiativen ausgesprochen oder unausgesprochen den Standpunkt vertreten, daß lediglich vor ihrer eigenen Haustür kein Schiefergas gefördert werden solle, ginge es ihnen letztlich um die Verteidigung eines Wohlstands und einer gehobenen Lebensqualität, für deren Erhalt die gesundheitlichen, umweltrelevanten und auch ökonomischen Schäden bzw. Nachteile externalisiert wurden und weiterhin werden. Die BI-Mitgliederinnen und -Mitglieder werden mit einer Gewalt konfrontiert, von der sie bisher profitiert haben und die im Rahmen der globalen Wirtschaftsordnung permanent Not und Mangel erzeugt.


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Anmerkungen:

[1] "Schiefergas: Bürger wehren sich gegen Probebohrungen", aus dem Internet abgerufen am 18. Januar 2011.
http://www.gastip.de/rubrik2/19987/2/Schiefergas-Bohrungen-Experten-versuchen-Aengste-zu-zerstreuen.html

Selbstverständlich spielen auch Lobbyverbände die Umweltrisiken herunter. Siehe: http://www.gas-shales.org/

[2] "Kurzstudie 'Unkonventionelles Erdgas'", Dr. Werner Zittel, Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, aus dem Internet abgerufen am 18. Januar 2011
http://energiekrise.de/news/gazette/2010/shale_gas_15_Mai2010final.pdf

[3] ebenda, S. 21,

[4] ebenda, S. 24.

[5] "Shale gas: a provisional assessment of climate change and environmental impacts", Dr. Ruth Wood, Dr. Paul Gilbert , Maria Sharmina, Professor Kevin Anderson, Anthony Footitt, Dr Steven Glynn, Fiona Nicholls; The Tyndall Centre, University of Manchester; für The Co-operative.
Aus dem Internet abgerufen am 18. Januar von der Website Energy Bulletin.
http://www.energybulletin.net/stories/2011-01-17/shale-gas-jan-17

[6] Zittel, S. 22.

[7] http://www.un-naturalgas.org/index.htm

[8] http://www.gaslandthemovie.com/

[9] "Opponents to Fracking Disclosure Take Big Money From Industry", Abrahm Lustgarten, ProPublica. Aus dem Internet abgerufen am 18. Januar 2011.
http://www.energybulletin.net/stories/2011-01-17/shale-gas-jan-17

[10] Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier genannt:
http://www.gegen-gasbohren.de/
http://www.unkonventionelle-gasfoerderung.de/
http://fracking.wordpress.com/

19. Januar 2011