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RESSOURCEN/171: Weltweiter Ausbau der Infrastruktur ja, aber bitte ethisch sauber (SB)


G20-Staaten wollen in den nächsten 15 Jahren zig Billionen in die Infrastruktur investieren

"Wir leben in der explosivsten Ära der Infrastrukturausdehnung in der menschlichen Geschichte" (Prof. William Laurance)


Der Glaube an ein nimmer endendes Wirtschaftswachstum, ohne daß hierdurch fortlaufend Verluste generiert werden, erweist sich für viele Menschen als Irrlehre mit gravierenden Folgen für ihre Lebensqualität oder gar Existenzsicherung.

Nun warnt eine Forschergruppe um Professor William Laurance von der James Cook University in Australien, daß die Ökosysteme auf der ganzen Welt durch die gegenwärtige, "explosive Ära" des Infrastrukturausbaus gefährdet sind. Die von Menschen vorangetriebene Entwicklung hat inzwischen eine so hohe Geschwindigkeit angenommen, daß empfindliche Habitate zerstört und Wildtiere vertrieben werden.

Der Schwerpunkt der im Journal "Current Biology" [1] veröffentlichten Untersuchung liegt auf der Erweiterung der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur. So werden bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich weltweit 25 Millionen Kilometer asphaltierte Straßen hinzukommen, was dem 600fachen des Erdumfangs entspricht, erklärte Laurance laut einer Presseerklärung der James Cook University. "Neun Zehntel der neuen Straßen werden sich in Entwicklungsländern befinden, die viele der biologisch reichhaltigsten und umweltmäßig bedeutendsten Ökosysteme beherbergen." [2]

In der Studie wird explizit Bezug auf die Ankündigung der G20-Staats- und Regierungschefs vom November 2014 genommen, bis zum Jahr 2030 weltweit sagenhafte 60 bis 70 Billionen US-Dollar in neue Infrastrukturmaßnahmen investieren zu wollen, weil diese "gebraucht" werden. [3]

Damit würden sich die Nettoinvestitionen in neue Straßen, Staudämme, Stromleitungen, Erdölpipelines und andere Energieinfrastrukturmaßnahmen verdoppeln, so Laurance. Wenn das nicht mit allergrößter Umsicht gehandhabt wird, gerate das zu einer fortgesetzten ökologischen Katastrophe. Und das gelte bereits für die geplanten Maßnahmen; hinzu kämen jedoch die vielen illegalen Aktivitäten des Ausbaus der Infrastruktur. Beispielsweise gebe es im Amazonas-Regenwald dreimal mehr illegal als legal angelegte Straßen.

Durch den Straßenbau werden empfindliche Habitate zerschnitten. Damit nicht genug, dienen die Straßen als Ausgangspunkt für illegale Waldrodungen und leisten somit der weiteren Zerstückelung des Regenwalds Vorschub. Begünstigt werden auch Wilderei, illegaler Bergbau, Brandrodungen und Landspekulation mit der Folge, daß indigene Völker vertrieben werden. Diese bereits heute unverkennbaren Folgen sind Ergebnis dessen, daß die Infrastruktur genau nicht "mit allergrößter Umsicht" ausgebaut wird, wie es Laurance gefordert hat. 95 Prozent aller Waldrodungen im Amazonasgebiet werden in einem Abstand von weniger als fünf Kilometern von einer Straße entfernt durchgeführt. Erst vor kurzem hat eine neue Auswertung von Satellitenbildern ergeben, daß die tropischen Regenwälder in den letzten Jahren viel stärker geschrumpft sind als angenommen. [4]

Die Forschergruppe um Laurance hat einen Neun-Punkte-Katalog mit Erklärungen bzw. Forderungen an die G20-Staaten zusammengestellt, wie sie mit den auf sie zukommenden Problemen umgehen sollten:

- Der beste Schutz der Habitate besteht darin, keine Verkehrswege zu bauen, und dazu empfiehlt es sich, so früh wie möglich einzugreifen und zu verhindern, daß es zum ersten Einschnitt kommt. Denn schmale Einschnitte in den Wald, so lehrt die Erfahrung, haben die Neigung, sich zu erweitern.

- Es muß bedacht werden, daß die Asphaltierung von Straßen Folgen hat: Asphaltierte Straßen ermöglichen das ganze Jahr über einen erleichterten Zugang zu Gebieten in der Wildnis und erlauben eine höhere Geschwindigkeit der Fahrzeuge, was die Wildtiere stärker gefährdet.

- Die Sekundäreffekte von Projekten beispielsweise zur Förderung von Energieträgern und des Bergbaus sind oftmals schlimmer als das Projekt an sich. Deshalb sollten Kosten-Nutzen-Analysen die Evaluierung sowohl direkter als auch indirekter Umweltfolgen einschließen.

- Mehr Aufmerksamkeit sollte auf sogenannten Offshore-Projekten liegen, die womöglich tief in der Wildnis angelegt werden, aber nicht den Bau neuer Straßennetze erfordern, da die Arbeiter mit Hubschraubern eingeflogen werden.

- Kreditgeber und andere beteiligte Interessen sollten frühzeitig in neue Projekte involviert werden, da es dann noch leichtfällt, Pläne zu verändern oder komplett zu streichen.

- Es sind bessere Instrumente notwendig, damit Finanzinstitutionen und andere Akteure die Umwelt- und sozialen Folgen von Entwicklungsprojekten genauer evaluieren können.

- Finanzeinrichtungen sollten auch Personen mit angemessener Umwelt- und Sozialexpertise in ihre Teams berufen.

- Es sollte der Versuchung widerstanden werden, Projekte, die offensichtliche Umwelt- oder soziale Schäden verursachen, nur wegen der Sorge zu genehmigen, daß, wenn eine verantwortungsbewußte Entwicklungsbank dies nicht übernimmt, es jemand anderes mit weniger Skrupeln machen würde.

- Nichtregierungsorganisationen und die Öffentlichkeit, insbesondere wenn sie von einem Projekt direkt betroffen sind, sollten stärker eingebunden werden.

Es sei ganz entscheidend, so Laurance, daß diejenigen, die Infrastrukturprojekte begutachten, unterstützen oder finanzieren, nicht nur mit denjenigen Kontakt halten, die davon profitieren, sondern auch mit denen, die dadurch etwas verlieren.

Auch wenn manche dieser Forderungen wachsweich und ziemlich breit interpretierbar sind, wie zum Beispiel die Anstellung von Personen mit "angemessener" Umwelt- und sozialer Expertise, oder schon viele Male vorgebracht wurden - beispielsweise die Partizipation von NGOs und der Öffentlichkeit bei der Entscheidung für Infrastrukturprojekte - so sind diese neun Punkte doch wiederum im Verhältnis zu der im vergangenen Jahr veröffentlichten globalen Infrastruktur-Initiative der G20 [5] beinahe radikal. Denn im Rahmen des 27 Punkte umfassenden Plans der G20 stellen Umwelt- und Sozialverträglichkeit ein bloßes Feigenblatt dar, das allerdings nicht im mindesten die erforderliche Größe hat, um die an allen Ecken und Enden zutage tretende Industriefreundlichkeit zu kaschieren. Stets geht es um Dinge wie die Förderung privater Investitionen in Infrastrukturprojekte, das Absenken von Investitionsbarrieren, freiwillige Verpflichtungen der Wirtschaft, Stärkung von Infrastrukturmärkten.

Die Staaten der G20 verfolgen die gleichen Interessen wie die der G7 bzw. G8, was nicht verwundert, bilden doch die führenden Wirtschaftsmächte den Kern dieser unter anderem um die Schwellenländer erweiterten Staatengruppe. Mehrere Millionen Bohrlöcher zur Erdöl- und Erdgasförderung in den USA, gewaltige Kanalbauprojekte in China, Staudammkaskaden in Indien, Tausende Kilometer lange Pipelines zum Abtransport von flüssigen und gasförmigen Energieträgern in Kanada, ein wirres Netz aus kreuz und quer verlaufenden Erdölpipelines sowie Pumpstationen im Nigerdelta, ein geschrumpfter und zunehmend fragmentierter Amazonas-Regenwald oder auch ein dicht gewebtes Autobahnnetz in Deutschland - all das sind die zweifelhaften Errungenschaften der von der Wachstumsdoktrin bestimmten Produktionsverhältnisse.

Die Forderungen der Forschergruppe um William Laurance werden Abbau, Transport und Verarbeitung von Rohstoffen, das Ingebrauchnehmen der produzierten Waren und den Aufbau der für all diese Prozesse erforderlichen Infrastruktur keineswegs unterbinden, sondern lediglich regulieren, um bestenfalls die Spitzen des Raubbaus zu beschneiden. Eher schon münden solche Vorschläge in die Definition von Umwelt- und Sozialstandards, wobei sie der Legitimation der vorherrschenden Produktionsweisen dienen.

Die Schwellenländer der G20 müßten nicht den gleichen Weg wie die Industriestaaten gehen, stehen diesen aber hinsichtlich der aus der Wachstumsideologie geborenen Destruktivität in nichts nach. Innovative Produktionsweisen, die eine völlig andere Infrastruktur mit sich brächten, sind vorstellbar, setzen aber eine grundsätzlich andere Form des Zusammenlebens voraus, die eben nicht wie bisher vom Tauschverhältnis ihrer Mitglieder bestimmt wäre.


Fußnoten:

[1] Laurance, William F., Anna Peletier-Jellema, Bart Geenen, Harko Koster, Pita Verweij, Pitou Van Dijck, Thomas E. Lovejoy, Judith Schleicher und Marijke Van Kuijk (2015): "Reducing the global environmental impacts of rapid infrastructure expansion", in: Current Biology, DOI:10.1016/j.cub.2015.02.050.

[2] http://www-public.jcu.edu.au/news/JCU_145473

[3] https://g20.org/wp-content/uploads/2014/12/2014-G20-Agenda-Fact-pack_Nov-28_Full.pdf

[4] Näheres dazu unter:
SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → BRENNPUNKT
WALDSCHADEN/001: Grüne Lunge - mehr Kippunkte als vermutet? (SB)
US-Wissenschaftler widersprechen der Einschätzung, daß sich der Schwund des tropischen Regenwalds verlangsamt
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/brenn/ubwa0001.html

[5] http://www.g20australia.org/sites/default/files/g20_resources/library/g20_note_global_infrastructure_initiative_hub.pdf

10. März 2015


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