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RESSOURCEN/214: Insektizide - und mit dem Arsch wieder umstoßen ... (SB)



Leicht hügelige Landschaft mit riesigem Weizenfeld bis zum Horizont - Foto: Pixabay, CC0 Creative Commons

Weizenwüste - für Bienen und andere Bestäuber ist
dies eine vollkommen unwirtliche Landschaft
Foto: Pixabay, CC0 Creative Commons

Die globale landwirtschaftliche Produktion, die auf Bestäuber angewiesen ist, hat sich seit 1961 vervierfacht. Doch in Nordwesteuropa und Nordamerika nimmt deren Zahl, insbesondere die der Wildbienen, ab, heißt es in einer 42seitigen Studie "The Pollination Deficit" (z. Dt. "das Bestäubungsdefizit"). Für andere Weltregionen liegen noch keine ausreichenden Daten vor. Die Autoren befürchten, daß sich der Insektenschwund weltweit negativ auf die Ernten auswirkt, und es werden Vorschläge unterbreitet, wie in Kooperation mit der Wirtschaft Maßnahmen zum Schutz vor allem der Insekten ergriffen werden könnten.

Weltweit sind 16 Prozent der sogenannten Wirbeltierbestäuber vom Aussterben bedroht, neun Prozent der Wildbienen und Schmetterlinge sind wenigstens örtlich verschwunden, und bis zu 50 Prozent der Wildbienen stehen auf der Roten Liste mindestens eines Staates. Wie problematisch diese Entwicklung werden könnte, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden oder diese nicht die erhoffte Wirkung haben, zeigt sich an der Bedeutung der Bestäubung für die menschliche Nahrungsproduktion: Dreiviertel der wichtigsten Feldfrüchte sind direkt auf Bestäubung angewiesen. Der Wert der auf diese Weise erzeugten Agrarprodukte beläuft sich auf jährlich 235 bis 577 Milliarden Dollar.

Auf die Bestäubung durch Wild- und Honigbienen, andere Insekten, Fledermäuse, Vögel und weitere Tierarten kann nicht verzichtet werden, auch wenn wichtige Nutzpflanzen wie Weizen, Reis und Mais nicht auf sie angewiesen sind. Ohne Bestäuber kämen entweder erst gar keine Ernten zustande oder sie wären von minderer Qualität. Die weltweiten Verluste bei Agrarerzeugnissen durch eine fehlende Bestäubungsleistung wird auf fünf bis acht Prozent geschätzt. Wollte man deren Fläche durch den Anbau anderer, nicht auf Bestäubung angewiesener Feldfrüchte kompensieren, müßte sie ein Mehrfaches so groß sein wie die gegenwärtige Agrarfläche, heißt es in der gemeinsamen Studie des University of Cambridge Institute for Sustainability Leadership (CISL), der University of East Anglia, des UN Environment World Conservation Monitoring Centre (UNEP-WCMC) sowie der Organisation Fauna & Flora International (FFI).

Ihnen zufolge ist die Problematik des Bestäubungsdefizits bei einer Reihe von Unternehmen durchaus angekommen. Auch mehrere Regierungen hätten nationale Strategien zum Schutz der Bestäuber beschlossen oder umgesetzt. Das Anliegen der Studie besteht nun darin, allen relevanten Unternehmen, die auf Bestäuberleistungen angewiesen sind, einen mehrstufigen Leitfaden an die Hand zu geben, wie sie ihre Produktion umstellen können, damit es nicht zum Worst-case-scenario kommt.

Ein Grundproblem wird in der Studie allerdings bestenfalls indirekt thematisiert: Kein Agro- oder sonstiges Unternehmen entlang der Produktionskette wird seine Betriebsabläufe und Produktionsweisen auf "bestäuberfreundlich" umstellen, wenn das mit wirtschaftlichen Verlusten verbunden wäre. Da würden gegebenenfalls auch die Banken oder Aktionäre nicht mitspielen. Anders sähe es dagegen aus, wenn die Unternehmen ihre mutmaßliche Bestäuberfreundlichkeit werbewirksam ummünzen könnten oder wenn sie von der Allgemeinheit dafür bezahlt werden, daß sie Flächen extensivieren, Blühstreifen anlegen oder andere Maßnahmen des Insektenschutzes fördern. Auch ein Verzicht auf Insektizide müßte dann von der Gesellschaft finanziert werden, da dies möglicherweise mit Ernteverlusten oder aber zusätzlicher Arbeit verbunden wäre.

Die Verwendung von Insektenvernichtungsmitteln gilt als wichtiger, aber nicht einziger Faktor, durch den die Gefahr eines Bestäuberdefizits entsteht. Auch die Intensivierung der Landwirtschaft und der Verlust an Lebensraum tragen erheblich dazu bei, daß zunächst Insekten und anschließend Insektenfresser wie beispielsweise Vögel verschwinden.

Was nutzt der blütenreiche Randstreifen, wenn es auf der vielfach so großen Fläche keine Wildkräuter mehr gibt? Verbucht man mit solchen "Lösungen" nicht Partialerfolge, die mit dem nächsten Schritt schon wieder umgestoßen werden? In Folge der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität der letzten Jahrzehnte wurden regelrechte Agrarwüsten geschaffen, in denen weder Beikräuter noch Insekten noch Vögel existieren. Wer heute Schmetterlinge, Hummeln und Vögel sehen will, muß Dörfer, Stadtränder oder städtische Parkanlagen aufsuchen. Selbst Naturschutzgebiete sind vor dem Insektenschwund nicht gefeit. Zwischen 1989 und 2016 hat die Biomasse von Insekten in Schutzgebieten von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg um über 75 Prozent abgenommen! Ob das für weitere Landesteile Deutschlands oder andere Länder ebenfalls gilt, weiß man nicht, da es dort nicht nach dieser Methodik untersucht wurde.

Die obige Studie verdeutlicht, daß der Mensch am eigenen Ast sägt, wenn er das Risiko des Bestäubungsdefizits weiterhin unterschätzt. Selbstverständlich muß die Wirtschaft in entsprechende Maßnahmen gegen den Trend des Insektenschwunds eingebunden werden. Indes sind Zweifel anzumelden, ob in einem Wirtschaftssystem der permanenten Profitsteigerung, Expansion und des Niederkonkurrierens sämtlicher Mitstreiter überhaupt so etwas wie ein wirksamer Gegentrend eingeleitet werden kann.


22. April 2018


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